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Jamal Karslı: „Die einseitige Berichterstattung über die Türkei ist sogar vielen meiner Freunde aufgefallen“

"Was mich jedes Mal erheitert, sind die EU-Drohgebärden, die gegenüber der Türkei gebetsmühlenartig wiederholt werden", so Karslı.

(Foto: Privat)
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Ein Kommentar von Jamal Karslı

Liebe Leserinnen und Leser,

können Sie sich Folgendes vorstellen? Die deutschen Kampfflugzeuge F16 der Luftwaffe zerstören Teile des Bundestages und des Bundeskanzleramtes. Und viele deutsche Soldaten fliegen mit den Hubschraubern der Luftwaffe zum Urlaubsort der Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit dem Auftrag sie zu verhaften oder zu töten.

Andere Hubschrauber zerstören das Hauptquartier der deutschen Antiterroreinheit der Bundespolizei (GSG 9) in Bonn und töten etwa 50 Polizisten. Und gleichzeitig bombardieren andere Hubschrauber die Zentrale des deutschen Nachrichtendienstes in Berlin und beschießen das Innenministerium mit Raketen. Parallel dazu versucht die Bundeswehr, die Flughäfen Frankfurt, Berlin, München, Hamburg und Düsseldorf zu kontrollieren. Darüber hinaus unterstützen alle Mitglieder und Sympathisanten der Partei AfD einen Militärputsch in Deutschland.

Und von mehreren benachbarten Ländern werden viele Terroristen nach Deutschland geschleust, um Terroranschläge in verschiedenen deutschen Städten zu verüben und die deutsche Wirtschaft zu destabilisieren. Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat ihre Terroraktivitäten in Deutschland wieder aufgenommen und ihre Kommandozentrale in den Alpen an der deutsch-österreichischen Grenze eingerichtet und leitet von dort ihre Terroroperationen gegen den deutschen Staat. Viele Generäle der Bundeswehr haben einen gescheiterten Putschversuch unternommen, der hunderte von Menschenleben gekostet hat. Und die Bundesregierung ist sich sicher, dass dieser Putschversuch von mehreren internationalen Geheimdiensten unterstützt wurde. Können Sie sich das vorstellen??

Wenn all dies auf deutschem Boden geschehen wäre, würde es irgendjemand wagen, der Bundesregierung Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen, wenn sie auch Hunderttausende von Putschisten verhaftet hätte?
Es ist sehr auffällig, wie viele westliche Länder nur dann ihre Ablehnung des Putschversuches offenlegten, als sie sicher waren, dass dieser gescheitert war. Ihre ersten Reaktionen waren halbherzig. Sie erkundigten sich nicht mal nach den Opfern, sondern ermahnten und warnten die türkische Regierung bezüglich ihres Umgangs mit den Putschisten.

Hat jemand die USA gewarnt, wie sie mit Guantanamo-Häftlingen umgehen sollten? Bis heute haben die USA keine unwiderlegbaren Beweise vorlegen können, die die Jahre lange Verhaftung von vielen Menschen rechtfertigen können, ganz zu schweigen davon, dass diese Menschen nicht verurteilt werden konnten wegen fehlender Beweise, aus welchem Grund sie am Ende freigelassen wurden. Hat irgendeiner Staat überlegt, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA zu beenden, weil in den meisten Staaten der USA die Todesstrafe existiert? Hat irgendjemand die belgischen, französisch oder britischen Behörden nach jedem Terroranschlag in Bezug auf ihren Umgang mit den Terroristen gewarnt ?

Nach dem Putsch vom 12. September 1980 in der Türkei wurden etwa 650.000 Menschen verhaftet; unter ihnen waren etwa 50.000 Kurden. Es wurde 517 Mal die Todesstrafe ausgesprochen, es wurden 30.000 Menschen von ihrer Arbeit suspendiert, 14.000 Menschen ausgebürgert, 30.000 des Landes verwiesen, viele hunderte Menschen sind unter mysteriösen Umständen verschwunden, viele Journalisten wurden verhaftet und mehr als 900 Filme verboten. Warum wurden die Putschisten damals nicht ermahnt?

Leider ist es bewiesen, dass die CIA an den letzten drei Militärputschen in der Türkei beteiligt war und es ist sehr gut möglich, dass sie auch bei diesem gescheiterten Putsch ihre Finger im Spiel hat.

Es ist zu bedauern, dass die demokratischen Länder die Putschisten unterstützen, die frei gewählten Parlamente und Regierungen zu beseitigen. Ich frage mich, wo die Glaubwürdigkeit der demokratischen Länder bleibt, die behaupten, dass sie für die Demokratie in der Welt eintreten würden.

Das Verhalten der westlichen Welt den Putschisten gegenüber, wie zum Beispiel in Algerien, Ägypten und jetzt auch in der Türkei, zeugt von einer eindeutigen Doppelmoral. Es wird immer noch mit den weniger entwickelten Ländern so umgegangen, als gehöre die Ära der Kolonialzeit nicht zu Geschichte. Den westlichen Ländern fällt es immer noch außerordentlich schwer, ihre Bevormundungsmanieren zu unterdrücken.

Die Berichterstattung über die Türkei in den meisten deutschen Medien ist einseitig und gegen die türkische Regierung gerichtet und sie konzentriert sich so sehr auf die Person des türkischen Präsidenten, dass man den Eindruck bekommt, als gäbe es in der Türkei nur den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und keine anderen Staatsapparate, Organisationen oder Institutionen. Die Absicht dahinter ist, die Person Erdogans angreifbar zu machen, um ihn leichter verleumden und dämonisieren zu können.

Die Verleumdungskampagne gegen den Präsidenten Erdogan läuft nicht seit dem 15. Juli, dem Tag, an welchem der Putschversuch in der Türkei gescheitert ist, sondern seit Jahren. Diese Kampagne wird umso heftiger, je näher eine Wahl in der Türkei rückt. Jeder Beobachter bekommt den Eindruck, als würden die Wahlen in Deutschland stattfinden und nicht in der Türkei und als wären manche Medienorgane in Deutschland damit beauftragt, die Gegner der türkischen Regierung zu unterstützen. Die einseitige Berichterstattung über die Ereignisse in der Türkei ist sogar vielen meiner Freunde aufgefallen, die nicht mit der aktuellen türkischen Politik einverstanden sind.

Was mich jedes Mal erheitert, sind die EU-Drohgebärden, die gegenüber der Türkei gebetsmühlenartig wiederholt werden, dass man die laufenden Eintrittsverhandlungen der Türkei in die EU in Brüssel beenden will, wenn die Türkei dies oder jenes machen oder nicht machen würde.

Die Türkei ist seit 1952 NATO-Mitglied und hatte im Jahr 1963 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, der allerdings bis 2005 auf Eis gelegt worden war. Seitdem wird immer noch über die Beitrittsbedingungen der Türkei verhandelt, obwohl inzwischen die Zahl der EU-Staaten sehr erweitert wurde und mehrere neue Mitglieder aufgenommen wurden, die zum Anti-NATO-Pakt gehörten – nämlich Warschauer Pakt – und weniger entwickelt sind als die Türkei.

Hier scheint es, als ob die EU ein „christlicher Club“ bleiben müsse und kein muslimisches Land EU-Mitglied werden dürfe. Das zuletzt in Großbritannien stattgefundene Referendum zeigt, dass dieser „Club“ auch eine Belastung für seine eignen Mitglieder geworden ist und deshalb manche ihn so schnell wie möglich verlassen wollen.

Die westlichen Länder sollten endlich mit den Kolonialmanieren und mit der Bevormundungspolitik aufhören. Sie sollten die jungen Demokratien in der Welt unterstützen und nicht die Militärdiktaturen. Ansonsten bekommt man den Eindruck, als ob die Demokratie in diesen Ländern ein Hindernis für deren Ausbeutung darstellt und dass deshalb Militärdiktaturen bevorzugt werden. Der Wille der jeweiligen Völker muss akzeptiert werden, weil sie auch letztendlich unbesiegbar ist.

Jamal Karsli / Landtagsabgeordneter NRW, a. D

 


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