Nahrungsmittelknappheit
    Ukraine-Krieg verschärft Hungersnot in Afrika

    Am Horn von Afrika droht die vierte enttäuschende Regensaison in Folge, was befürchten lässt, dass die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten katastrophale Folgen haben könnte.

    Flüchtlingslager Baidoa, Somalia
    Teilen

    Am Horn von Afrika droht die vierte enttäuschende Regensaison in Folge, was befürchten lässt, dass die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten katastrophale Folgen haben könnte.

    Mehr als 16 Millionen Menschen in Somalia, Kenia und Äthiopien sind bereits dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die Krise wird durch den Krieg in der Ukraine verschärft, der die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt und die internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, so Save the Children.

    In Kenia und Äthiopien fielen seit Beginn der Regenzeit im März nur leichte Schauer, und Prognosen deuten auf eine unterdurchschnittliche Saison hin, was noch mehr Menschen in eine verzweifelte Lage bringen könnte. Bereits jetzt haben 3,5 Millionen Menschen in Kenia zu wenig zu essen, und bis zu 6,5 Millionen Menschen in Südäthiopien benötigen Hilfe.

    In Somalia ist fast ein Drittel der Bevölkerung (4,8 Millionen Menschen) von akuter Nahrungsmittelknappheit betroffen. Die UNO hat vor einer drohenden Hungersnot in spätestens drei Monaten gewarnt: Die humanitäre Hilfe ist völlig unzureichend, die Lebensmittelpreise steigen und das Wetterphänomen La Niña facht die Dürre zusätzlich an. Auch hier deuten die aktuellen Prognosen auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit unterdurchschnittlicher Niederschläge in Zentral- und Südsomalia hin, wo schon Millionen von Hirten ihre Heimat auf der Suche nach Nahrung und Wasser für sich und ihre Tiere verlassen mussten.

    Dies weckt die Befürchtung, dass sich die Hungersnot von 2011 wiederholen könnte, bei der 260.000 Menschen starben, die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Dazu kommen die steigenden Nahrungsmittelpreise, die in der Region bereits durch Klimaschocks, Heuschreckeninvasionen, Konflikte, die COVID-19-Pandemie und nun durch den Krieg in der Ukraine massiv in die Höhe getrieben wurden.

    „Die Zeit zum Handeln und zur Abwendung einer Katastrophe – sie ist jetzt gekommen“, sagt Mohamud Mohamed Hassan, der Landesdirektor von Save the Children für Somalia. „Somalia steht vor einer weiteren Dürreperiode, und die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Der Krieg in der Ukraine hat die ohnehin schon gefährliche Situation weiter verschärft. Somalia ist in hohem Maße auf Lebensmittelimporte angewiesen, um seine Bevölkerung zu ernähren. Mehr als 90 Prozent der Weizenmehleinfuhren kommen aus Russland und der Ukraine, und jeder Rückgang des Handels wird die Auswirkungen der Dürre verstärken. Lebensmittel- und Treibstoffpreise in Somalia und am Horn von Afrika insgesamt sind in die Höhe geschnellt.“

    Brot ist ein Grundnahrungsmittel in Ostafrika; Weizen und Weizenprodukte machen ein Drittel des durchschnittlichen Getreideverbrauchs in der Region aus. Der Bedarf wird hauptsächlich durch Importe (84 Prozent) gedeckt, wobei 90 Prozent der Weizeneinfuhren aus Russland (72 Prozent) und der Ukraine (18 Prozent) stammen. Die Preise sind in den letzten sieben Wochen enorm gestiegen. Auf Russland und die Ukraine entfallen auch fast drei Viertel der weltweiten Ausfuhren von Sonnenblumenöl, das in der Region viel genutzt wird.

    Im somalischen Bundesstaat Puntland ist der Preis für Weizenmehl von 26 auf 32 Dollar pro 50-kg-Sack gestiegen, in den Städten Garowe und Qardho sogar auf 36 Dollar. In der Hauptstadt Mogadischu verdreifachte sich der Preis für einen Drei-Liter-Behälter Speiseöl von Januar bis März auf neun Dollar. In den ländlichen Gebieten sind die Preise noch weiter gestiegen – auf bis zu zwölf Dollar pro Behälter – was auf den Anstieg der Transportkosten infolge der höheren Kraftstoffpreise zurückzuführen ist.

    In Somalia haben in den letzten acht Monaten mehr als 720.000 Menschen ihre Häuser auf der Suche nach Nahrung und Wasser verlassen. Ihre Resilienz ist durch jahrzehntelange Konflikte, politische Instabilität, Klimaschocks und COVID-19 bereits geschwächt. Nach Schätzungen der UNO könnten bis Mitte des Jahres 1,4 Millionen Kinder akut unterernährt sein – 64 Prozent mehr als vor zwei Jahren.

    Durch höhere Preise für Kraftstoff und Düngemittel sind auch Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion in Gefahr. Russland ist der weltweit größte Exporteur von Stickstoffdünger, und der Krieg treibt die Preise während Afrikas Hauptsaison für die Aussaat (März bis Mai) in die Höhe.

    In Kenia ist der Preis für einen Sack Düngemittel bereits im vergangenen Jahr um 50 Prozent auf etwa 60 US-Dollar gestiegen und hat sich seit dem 24. Februar auf 70 US-Dollar erhöht. Kleinbauern können weniger Düngemittel verwenden und haben dadurch schlechtere Ernten, während Großbauern von den hohen Treibstoffkosten für Traktoren und andere Maschinen betroffen sind.

    Die Fälle von Unterernährung steigen in Kenia sprunghaft an: 755.000 Kinder müssen wegen akuter Unterernährung behandelt werden. 103.000 schwangere und stillende Mütter sind akut unterernährt und benötigen dringend eine ärztliche Behandlung.

    „In den trockenen und halbtrockenen Regionen Kenias herrscht ein Lebensmittelnotstand, und die Kinder müssen sich mit einer Mahlzeit pro Tag begnügen“, berichtet Yvonne Arunga, die Landesdirektorin von Save the Children für Kenia. „Ohne schnelles Eingreifen werden Familien und Kinder jede Stunde näher an den Rand des Hungertodes gedrängt. Wir appellieren dringend an die internationale Gemeinschaft, mehr Mittel für die Dürrebekämpfung bereitzustellen, bevor die Situation außer Kontrolle gerät.“

    Für Äthiopien, Kenia und Somalia liegt ein humanitärer Aufruf der Vereinten Nationen in Höhe von 4,4 Milliarden US-Dollar vor, doch die Mittel sind knapp, da der Ukraine-Konflikt Krisen wie diese in den Schatten stellt.

    Auch in Äthiopien warnt Save the Children davor, dass eine langanhaltende und verheerende Dürre an der Widerstandskraft von Kindern und Familien nagt, die bereits durch 16 Monate Konflikt und zwei Jahre COVID-19-Pandemie zermürbt sind. Mindestens 8,1 Millionen Menschen benötigen sofortige Nahrungsmittelhilfe, und mehr als 286.000 Menschen waren gezwungen, ihre Häuser auf der Suche nach Nahrung und Wasser zu verlassen. Laut Save the Children haben Hirtenfamilien inzwischen über 1,46 Millionen Tiere verloren. Dies hat dazu geführt, dass Kinder keine Milch mehr bekommen – ihre Hauptnahrungsquelle – und dass bis zu 890.000 Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung leiden.

    Zudem steigen auch hier die Preise lebenswichtiger Güter, zum Beispiel für Sorghum (eine Hirse-Gattung) und Mais um neun bzw. vier Prozent in nur einem Monat, während die Preise für das eiweißreiche Grundnahrungsmittel Teff (Zwerghirse) um ein Prozent von 0,93 Dollar pro Kilo im März auf 0,94 Dollar im April stiegen. Mitarbeitende von Save the Children berichten auch von massiven Preissteigerungen bei Sonnenblumenöl.

    „Die Hungerkrise in Äthiopien wird sich in den kommenden Monaten aufgrund der prognostizierten vierten unterdurchschnittlichen Regenzeit und der bevorstehenden mageren Jahreszeit von Juni bis September voraussichtlich verschärfen“, betont der Landesdirektor von Save the Children für Äthiopien, Xavier Joubert. „Berichten zufolge sind Familien in der Dawa-Zone in der Somali Region aufgrund der Nahrungsmittelknappheit gezwungen, Essen zu rationieren und Mahlzeiten auszulassen.“

    Auch interessant

    – Klimakrise –
    Somalia: Schlimmste Dürre seit Jahrzehnten zwingt über 450.000 Menschen zur Flucht

    In Somalia herrscht die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. In den ersten zehn Wochen dieses Jahres mussten bereits mehr als 450.000 Menschen ihr Zuhause auf der Suche nach Wasser und Nahrung verlassen.

    Somalia: Schlimmste Dürre seit Jahrzehnten zwingt über 450.000 Menschen zur Flucht