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Türkei-Deutsche bezeichnen Medienberichte als unwahr

Der ehemalige Axel-Springer-Mitarbeiter Holger Vorbeck (73) aus Hamburg schildert in einem Kommentar seine Eindrücke zur deutschen Berichterstattung über die Türkei. Es werde massiv gegen die Türkei Stimmung gemacht. Das meiste davon sei "schlicht die Unwahrheit und frei erfunden".

Holger Vorbeck (Foto: Privat)
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Ein Gastkommentar von Holger Vorbeck

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nichts im Zusammenhang mit dem Corona-Virus zu schreiben. Es wird schon genug Sinnvolles und Unsinniges, Wahres und Falsches, Verharmlosendes und Panikschürendes darüber geschrieben und viele Kommentare zu anderen Meinungen sind dermaßen unterirdisch, dumm, beleidigend, bösartig, dass man vermuten kann, dass die Menschheit nicht nur unter dem Corona-Virus leidet, sondern auch unter dem Mangel an Intelligenz und Anstand. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass die Verfasser derartiger Kommentare gar nicht darunter leiden, sondern ganz im Gegenteil ihre Bösartigkeit geradezu genießen und von ihrer Dummheit sowieso nichts bemerken.

Aber zurück zum Beginn. Der Grund, aus dem ich doch einige Worte schreiben möchte, ist wieder einmal die deutsche Presse. Das, was man in den letzten Tagen von Spiegel, Focus, Der Welt und anderen „Qualitätsmedien“ über die Situation in der Türkei lesen kann, ist weit unterhalb der Schwelle des seriösen Journalismus. Da wird der türkische Präsident Erdoĝan als Corona-Ignorant bezeichnet, es wird von mangelnder medizinischer Versorgung, von überfüllten Krankenhäusern, von Massengräbern, von unkoordinierten Maßnahmen, von Vertuschung und Beschönigung, von Panikkäufen der Bevölkerung und dergleichen mehr berichtet!

Das meiste davon ist schlicht die Unwahrheit und frei erfunden! Ja, selbstverständlich hat man auch hier den einen oder anderen Fehler begangen, nicht anders als in anderen Ländern auch. Die Fakten sprechen allerdings eine deutliche Sprache!
Zu Beginn der Corona-Krise hatte Deutschland 28 – 34 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, die Türkei dagegen 46 – 49. Die exakten Zahlen variieren je nach Quelle. Von mangelnder medizinischer Versorgung kann wohl keine Rede sein! Vor einigen Tagen war ich im staatlichen Krankenhaus in Alanya, um einen Test machen zu lassen. In der Empfangshalle hielten sich im wesentlichen Mitarbeiter und Sicherheitspersonal auf, im Labor wuselten bis zu 8 Mitarbeiter, Ärzte, Schwestern, Übersetzer, Laboranten usw. um mich herum und schienen froh zu sein, etwas zu tun zu haben. In anderen Krankenhäusern sieht es ähnlich aus. So viel zu den überfüllten Krankenhäusern.

Bereits seit Anfang der Krise wurde jeder Bus nach jeder Fahrt jeweils an der Endhaltestelle komplett desinfiziert. In Deutschland haben Geschäftsführer von Nahverkehrsunternehmen zu der Zeit in Interviews noch behauptet, das sei nicht möglich. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt wurden Steuerschulden gestundet, die Mehrwertsteuer für bestimmte Warengruppen auf ein Prozent gesenkt, die Gehälter für medizinisches Personal für 3 Monate verdoppelt, 32.000 zusätzliche Ärzte und Pfleger eingestellt, bedürftigen Familien ein Einmal-Bonus gezahlt und einige weitere Maßnahmen getroffen.
Seit der Ausgangsbeschränkung für Risikogruppen, kann man über eine landesweit gültige Telefonnummer Hilfe anfordern und Polizeibeamte oder Mitarbeiter des Ordnungsamtes (Zabita) gehen für mich einkaufen oder zur Bank.

Seit zirka zwei Wochen ist der Verkauf von Schutzmasken untersagt, um der Preistreiberei den Boden zu entziehen! Masken müssen kostenlos abgegeben werden, sowohl von Apotheken als auch von Behörden oder Supermärkten, die in ihren Geschäftsräumen das Tragen einer Maske fordern. Zudem kann jetzt jeder Einwohner der Türkei online ein wöchentliches Kontingent von Masken bestellen, die dann umgehend nach Hause geliefert werden.

In Deutschland wird von der Politik gerade eine Maskenpflicht für bestimmte Bereiche diskutiert. Die Frage dabei ist, woher nehmen wir die Masken und wer soll sie verteilen? Die Türkei hat binnen kürzester Zeit eine eigene Produktion aufgebaut und produziert jetzt ausreichend Masken für die eigene Bevölkerung und für Hilfslieferungen an andere Länder wie Italien, Spanien, USA oder Deutschland. Ebenso hat die Türkei binnen kürzester Zeit ein eigenes Beatmungsgerät entwickelt, das jetzt in Serie produziert wird und ebenfalls im Rahmen der Corona-Hilfe an andere Länder geliefert wird.
Die Türkei veröffentlicht wie jedes andere Land auch täglich die Zahlen der Infizierten, allerdings detaillierter als z.B. Deutschland. Es werden auch die Anzahl der durchgeführten Tests, die Anzahl der stationär aufgenommenen Erkrankten und die Anzahl der davon Beatmeten veröffentlicht. Die tägliche Statistik sieht typischerweise so aus:

Bis zum 13. April 2020 wurden insgesamt 410.556 Personen getestet, von denen 61.049 positiv waren und 1.296 starben. Von den Infizierten liegen 1.786 im Krankenhaus und 1.063 von ihnen müssen beatmet werden. 3.957 Personen sind genesen. Auf der rechten Seite finden sich die Tageswerte, 34.456 Tests, 4.093 davon positiv, 98 Todesfälle und 511 Genesene.

Ich wünschte wirklich, dass die Medien in Deutschland zu einem seriösen Journalismus zurückkehren würden. Aber vielleicht gerät dieser Text irgendwie in die Hände von Herrn Poschardt oder Herrn Dr. Döpfner und bewirkt ein Nachdenken. Dann könnte ich zumindest wieder Die Welt lesen und stolz auf die ehemaligen Kollegen sein.

Holger Vorbeck war 14 Jahre beim Springer-Verlag tätig, davon 6 Jahre bei der WELT. Seit 2011 ist er nun im Ruhestand und lebt seit Anfang 2016 in der Türkei.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.

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