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Türkei-Deutsche: Die haben hier schneller reagiert als in Deutschland

Obwohl die Türkei zu den Ländern gehört, die am schnellsten mit Maßnahmen auf die sich anbahnende Corona-Krise reagierte, bezeichnete das Nachrichtenmagazin Focus den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als "Corona-Ignoranten" und behauptete, er habe zu lange gezögert.  In der Türkei lebende Deutsche widersprechen den Behauptungen des Focus jedoch.

(Foto: Privat)
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Antalya – Obwohl die Türkei zu den Ländern gehört, die am schnellsten mit Maßnahmen auf die sich anbahnende Corona-Krise reagierte, bezeichnete das Nachrichtenmagazin Focus den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als „Corona-Ignoranten“ und behauptete, er habe zu lange gezögert.

Nur einen Tag nach Bekanntwerden des ersten Corona-Falles, berief Erdogan jedoch sein Kabinett ein. Nahezu zeitgleich wurde die Schließung der Schulen und Universitäten beschlossen. Der Unterricht wird seitdem online abgehalten.

Italien benötigte dafür 39 Tage, Spanien 40, Großbritannien 47 und Deutschland und Frankreich sogar 49 Tage. Ebenso wurden innerhalb von ein bis vier Tagen die vorübergehende Schließung von Cafés, Bars und Restaurants, Unterhaltungszentren, Einkaufszentren, Bibliotheken und Gotteshäusern beschlossen. Deutschland brauchte hierfür fast zwei Monate. Bereits am 12. März wurde auch beschlossen, Sportveranstaltungen ohne Zuschauer abzuhalten.

Der Bildungsminister des Landes, Ziya Selcuk, kündigte an, dass die Grund- und Sekundarschulen am 23. März mit dem digitalen Fernunterricht beginnen würden. Der öffentliche türkische Rundfunk TRT richtete zu diesem Zweck einen neuen Kanal ein. In einem am 20. März veröffentlichten Präsidialerlass wurde bekannt gegeben, dass alle wissenschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Treffen und Veranstaltungen bis Ende April verschoben würden.

Nur wenige Tage nach Bekanntwerden des ersten Falles stoppte die Türkei Flüge in zahlreiche Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien, Norwegen, Dänemark, Belgien, Schweden, Österreich und die Niederlande. Umfangreiche Reisebeschränkungen begannen in Italien und Deutschland erst 39 Tage nach der Entdeckung der ersten Coronavirus-Fälle, 43 Tage in Spanien, 53 Tage in Großbritannien und 53 Tage in Frankreich. Präsident Erdogan kündigte am 27. März an, dass alle internationalen Flüge eingestellt worden seien und der Binnen-Verkehr nur mit Genehmigung der Gouverneure durchgeführt werde. Er sagte auch, dass die Ein- und Ausfahrt von Fahrzeugen in 30 Großstädte, darunter die Schwarzmeerprovinz Zonguldak, am 3. April gestoppt wurde. Darüber hinaus wurden Quarantänemaßnahmen für Menschen, die aus dem Ausland zurückkehrten, durchgeführt.

Am 21. März verhängte das Innenministerium eine Ausgangssperre für Personen über 65 Jahre und für Personen, die an chronischen Krankheiten leiden. Am 3. April wurde die teilweise Ausgangssperre auf Personen unter 20 Jahren ausgedehnt, und es wurde für alle Bürgerinnen und Bürger verbindlich vorgeschrieben, an öffentlichen Orten Masken zu tragen. Umfassende Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen begannen 38 Tage nach Auftreten des ersten Coronavirus-Falls in Italien, 43 Tage später in Spanien, 52 Tage in Großbritannien, 53 Tage in Frankreich und 54 Tage in Deutschland.

In der Türkei lebende Deutsche widersprechen den Behauptungen des Focus jedoch. In einem Gespräch mit der Tageszeitung Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), sagte etwa die in Side lebende Marion Füller, dass die Türkei viel früher reagiert habe als Deutschland. Sie finde, dass sich dort sehr um die Einwohner gekümmert werde. „Es klappt bisher ganz gut“, so Füller. Ihre Freundin, die ebenfalls in der Türkei lebt, habe ihr erzählt, dass das Gesundheitsamt bei ihr angerufen und sich nach ihrem Befinden erkundigt habe. „Obwohl sie gar nicht durch Vorerkrankungen registriert ist“, sagte Füller.

NEX24 sprach mit der in Side lebenden Deutschen.

Sehr geehrte Frau Füller, haben Sie die Ausgangssperre in der Türkei am vergangenen Wochenende gut überstanden? 

Füller: Da ich eh nicht raus gehen darf, da ich der Risikogruppe angehöre, hat es mir nichts ausgemacht. Da wir uns in einem hotelähnlichen Gebäude befinden, kam auch kein Bäcker vorbei. So rief ich die 112 (Notruf, Anm. d. Red.) an und nach zirka einer halben Stunde stand ein Bäcker vor der Tür. Ansonsten haben wir immer Vorrat im Haus. 2 Tage sind leicht zu überbrücken.

In einem Gespräch mit der Tageszeitung Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) sagten Sie, dass man einfach die Polizei anrufen könne, wenn man etwas benötigt oder Sie sogar zum Arzt oder zur Post gefahren würden. Einige Nutzer in sozialen Medien haben Ihnen das nicht abgenommen. Kommen die wirklich zu jedem der anruft? Eine Freundin von ihnen, die ebenfalls in der Türkei lebt, sei sogar vom Gesundheitsamt angerufen worden und man habe sich nach ihrem Befinden erkundigt.

Füller: Wenn wir die 112 anrufen, bringt einen die Polizei zur Bank, Arzt oder wo man hin muss. Auch eingekauft wird einem, wenn es nötig ist, weil man nicht raus darf, wie die über 65-Jährigen oder wenn man zur Risikogruppe gehört. Mein Lebensgefährte war bei der Bank und hat es mit eigenen Augen gesehen, dass ältere Menschen in Begleitung der Polizei dort waren. Auch das mit dem Einkaufen stimmt. Siehe Fotos.

(Fotos: Manavgat Belediyesi))

Selbst am Wochenende hat uns die Polizei angerufen und gefragt, ob wir noch etwas benötigen, da ja Ausgangssperre für alle war. Ich habe bis jetzt schon von einigen gehört, dass sich immer nach dem Befinden der älteren und kranken Menschen per Telefon erkundigt wird. Da ich nicht gelistet bin, kann ich nur meinen deutschen Freunden glauben.

Ich leide unter COPD, habe aber meinen Lebensgefährten, Michael Wiegand, der ja für mich sorgen kann. Sollte es ihm aber auch mal nicht gut gehen, bekommen wir zu 100 Prozent Hilfe. Auch unser Vermieter und unsere Nachbarn haben uns Hilfe angeboten, sollte es meinem Lebensgefährten mal nicht gelingen selbst einzukaufen. Dies kann man uns in Deutschland auch glauben, denn was hätte ich davon, wenn ich lügen würde?

In den kommenden Wochen könnten die Maßnahmen noch enger werden. Die nächste Ausgangssperre wird bereits am kommenden Wochenende in Kraft gesetzt. Glauben Sie, dass Ihre Versorgung dann weiterhin gewährleistet wird?

Auch wenn es letztes Wochenende nicht ganz so gut war und alles für zwei Stunden etwas aus dem Ruder lief, wurde auch von unserer Politik eingeräumt, so sehen wir keine Problem, dass wir hier Hunger schieben müssen. Die Leute können sich mit Lebensmitteln eindecken und auch die Bäcker drehen wieder mehrmals am Tag ihre Runden um uns mit frischem Brot zu versorgen. Sollte man etwas aus der Apotheke benötigen, ruft man die 112 an und es wird gebracht. Also auch die Gesundheit ist gesichert.

(Foto: Füller)

Obwohl die Türkei schneller als die meisten europäischen Länder reagierte, bezeichnete der Focus den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als „Corona-Ignoranten“ und behauptet, er habe zu lange gezögert. Gegenüber der HNA sagten Sie jedoch, dass die Türkei viel schneller als europäische Länder reagiert habe.

Füller: Ich selbst war hier in einem Hotel und bekam alles hautnah mit. Am 13.03. hieß es, keiner kommt mehr aus der Türkei raus, da keine Flüge mehr raus gehen. Eine Stunde später kam dann die Nachricht, dass jeder bis zum 21. ausgeflogen wird. Ich war dort mit zwölf deutschen Frauen. Alle sind wohlbehalten nach Deutschland gekommen. Es war unser letzter Abend im Hotel. Also mir persönlich geht die deutsche Presse allmählich auf die Nerven. Hätte Erdogan nicht so schnell reagiert, hätte die Türkei wohl noch mehr Infizierte.

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