Start Politik Ausland NEX24-Interview „Internationale Menschenrechtsorganisationen haben Griechenland ermahnt“

NEX24-Interview
„Internationale Menschenrechtsorganisationen haben Griechenland ermahnt“

Interview mit dem Vorsitzenden der Türkischen Union von İskeçe Ozan Ahmetoğlu. Wegen "anti-demokratischer Haltung Griechenlands äußerst beunruhigt".

Vorsitzender der Türkischen Union von Xanthi (İskeçe), Ozan Ahmetoğlu, bei einer Stellungnahme vor den abmontierten Schildern des türkischen Vereins.
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NEX24 sprach mit dem Vorsitzenden der Türkischen Union von Xanthi (İskeçe), Ozan Ahmetoğlu über die Ablehnung des griechischen Kassationsgerichts zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und die Folgen des Urteils.

Zu den Urteilen des EGMR im Fall der Türkischen Union von Xanthi (İskeçe) klicke hier

NEX24: Herr Ahmetoğlu, können Sie uns über den augenblicklichen Rechtsstreit der Türkischen Union von İskeçe erläutern und was ist der Grund für das seit Jahrzehnten andauernde Gerichtsverfahren? 

Ahmetoğlu: Der Prozess über die Türkische Union von İskeçe [Xanthi] läuft seit dem Jahr 1983. Weil der Verein in seinem Titel den Begriff Türkisch verwendete, wurden in jenem Jahr in Griechenland als Reflexion der Leugnungspolitik über die Existenz der Türken von Westthrakien bei drei Vereinen der Minderheit, darunter die Türkische Union von İskeçe, zunächst die Vereinsschilder durch Sicherheitskräfte entfernt. Betroffen waren auch die Türkische Jugendunion von Gümülcine [Komotini] und die Türkische Lehrerunion von Westthrakien, bei dem die damals amtierenden Gouverneure Verbotsanträge beim Gericht einreichten. Nach der Einreichung wurden Verbotsverfahren gegen die drei erwähnten Vereine eröffnet.

Erster Rechtsstreit dauerte 22 Jahre

Der Rechtsstreit der Türkischen Union von İskeçe – man kann es auch den ersten Rechtsstreit nennen – von der Entfernung des Vereinsschilds angefangen, die 1983 begann und bis 2005 währte, dauerte 22 Jahre, was ein sehr langer Zeitraum ist. Leider hatte das griechische Kassationsgericht gegen die Türkischen Union von İskeçe entschieden und das Verbot des Vereins bestätigt. Nach diesem Urteil haben wir uns an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt und der Gerichtshof hat uns in einem einstimmig beschlossenen Urteil 2008 Recht gegeben. Bei diesem Verfahren wurde Griechenland vom Gerichtshof rechtskräftig verurteilt.

Tsipras-Regierung verabschiedete 2017 ein Gesetz zur Umsetzung der EGMR-Urteile

Damit das Urteil in Griechenland wieder umgesetzt werden sollte, haben wir wieder den innerstaatlichen Rechtsweg beschritten, um zum einen das Verbot aufheben zu lassen und zum anderen den alten Rechtsstatus sowie unseren korrekten Vereinsnamen von vor 1983 wiederzuerlangen. Nachdem wir einen weiteren juristischen Anlauf genommen hatten, das war die zweite Klage, hatte das griechische Kassationsgericht 2012/2013 trotz der Entscheidung des EGMR, wieder unseren Einwand abgewiesen.

2017 verabschiedete die griechische Regierung ein spezielles Gesetz, das die Umsetzung von Entscheidungen des EGMR ermöglichen sollte. Nebenbei bemerkt: Die Frage ist doch, ob es überhaupt erforderlich war, ein solches Gesetz zu verabschieden, aber das ist ein anderes Thema. Bezug nehmend auf dieses Gesetz begannen wir 2017 erneut vor einem nationalen Gericht in Griechenland mit einer Verfahrenseinleitung. Unsere Klage wurde nach langer Dauer schließlich am 30. Juni 2021 leider zuungunsten der Türkischen Union von İskeçe entschieden.

Nach der Entscheidung des EGMR hatten wir zweimal den innerstaatlichen Rechtsweg beschritten und trotz des EGMR-Urteils wurde unser Antrag zurückgewiesen. Warum hatten wir diesen Schritt unternommen? Um das Urteil des EGMR umsetzen zu lassen und den Rechtsstatus unseres Vereins vom Gericht wieder zu erhalten. Dieses Verfahren ist das Ergebnis der Leugnung zur Existenz der Türken Westthrakiens unseres Landes Griechenland, das politisch motiviert ist und die Gerichte deshalb in dieser Form geurteilt haben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass seit 13 Jahren der Europarat Ermahnungen ausgesprochen und internationale Menschenrechtsorganisationen an Griechenland appelliert sowie ermahnt haben. Wir haben nach der Entscheidung des EGMR zweimal vor Gericht geklagt und zweimal das innerstaatliche Recht Griechenlands ausgeschöpft. Trotzdem beharrt Griechenland auf seiner Position.

Sie können in Griechenland einen Verein für Kanarienvogelfreunde gründen, aber keinen Verein, der den Begriff Türkisch in seinem Namen führt

Sie können in Griechenland, in Westthrakien, insbesondere aber in Westthrakien irgendeinen Verein gründen, der die ethnische Zugehörigkeit benennt. Zum Beispiel den Griechischen Verein der Kanarienvogelfreunde oder der Deutsche Verein der Sportfreunde, der Britische Verein der Freunde für Literatur und Dichtung oder einen Verein zur Förderung der Sprache und Kultur der Roma, aber nicht einen Verein, der den Begriff Türkisch in seinem Namen führt.

Uns ist das in all der Zeit der Auseinandersetzung seit 38 Jahren und in unserem Kampf um Gerechtigkeit bewusst geworden. Wir stehen vor der Situation, dass tatsächlich ausschließlich der Begriff Türkisch verboten ist, trotz des EGMR-Urteils und der Appelle sowie Erwartungen von Institutionen und Organisationen wird es auf keinen Fall akzeptiert und umgesetzt. Hier hat der Respekt vor Werten wie Demokratie und Menschenrechte sowie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte großen Schaden davongetragen. Wenn es um die türkische Minderheit geht, werden Werte, Konventionen und Verträge einfach ignoriert. Wenn es um uns geht, existieren diese Gesetze, Werte und Konventionen einfach nicht. Das ist ein schwerwiegender Vorgang und aus unserer Sicht besorgniserregend.

Ahmetoğlu bei einer Demonstration gegen die Verbote (Foto: Millet Gazetesi)

NEX24: Griechenland gehört zu den Ländern, die die Europäische Konvention für Menschenrechte ratifiziert haben. In diesem Fall weigert sich Griechenland das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen, obwohl es vertraglich dazu verpflichtet wäre. Sind Sanktionen gegen Athen denkbar?

Dieses System oder der Verlauf sieht in einem solchen Fall keine Sanktionen vor. Vielleicht könnte Griechenland in nächster Zeit im Europarat den Status von Ländern einnehmen, die Urteile des EGMR nicht umsetzen. Dieser Sachverhalt wird von unseren Juristen überprüft. In nächster Zeit wird es möglicherweise zu solch einem Schritt kommen, aber man sollte abwarten. Der Fall hat leider eine politische Dimension erreicht. Griechenland hat mit der Ignoranz zur Existenz der Türken aus Westthrakien zweifellos eine politische Entscheidung getroffen. Das ist unlogisch und ist ohne Rechtsgrundlage.

Welche Begründung führt Griechenland bei dem Verbot ihres Vereins vor?

Griechenland beruft sich bei seiner Argumentation auf den Vertrag von Lausanne, wonach in Westthrakien von einer muslimischen Minderheit die Rede sei. In dem gleichen Vertrag ist die Rede von nicht-muslimischen Minderheiten in Istanbul, von einer griechischen Minderheit ist in dem Abkommen nichts zu finden. Wenn Sie aber in die Türkei reisen, sprechen Vertreter der Regierung oder des Staates als auch Behörden von der griechischen Minderheit. Wenn man dort eine Kirche oder eine Schule [der griechischen Minderheit] besucht, sind an Gebäuden Schilder mit der Aufschrift griechische Grundschule oder griechische Kirche angebracht und Restriktionen sind nicht bekannt.

Obwohl in dem Lausanner Vertrag der Begriff nicht-muslimische Minderheiten enthalten ist, finden sich diese Bezeichnungen und Schilder für Griechen, Armenier und Juden.
Der Lausanner Vertrag beinhaltet nicht die ethnisch-nationale Definierung der griechischen Minderheit in Istanbul und der türkisch-muslimischen Minderheit in Westthrakien, sondern gewährt ihnen Rechte in Bezug auf den Schutz ihrer Sprache, Religion und kulturellen Besonderheiten. Es ist kein Vertrag, der unsere ethnisch-nationalen Eigenschaften definiert. Wir sind wegen der anti-demokratischen Haltung Griechenlands gegen die Türken von Westthrakien sehr beunruhigt.

Fast jeden Tag wird in der griechischen Öffentlichkeit und in den Medien verlautbart, wenn die Institutionen der türkischen Minderheit die Themen Recht, Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechten und Respekt thematisieren, werden sie zur Zielscheibe auserkoren. Diese [die Türken von Westthrakien] werden als Gefahr und Bedrohung reflektiert und eine derartige [künstliche] Wahrnehmung geschaffen. In unserer Region werden damit die Demokratie und der Respekt vor den Menschenrechten beschädigt. Das muss sich ändern und wir wollen normale Verhältnisse und eine positive Entwicklung. In diesem Punkt gibt es Verpflichtungen, die die EU gegenüber Griechenland erfüllen und daran erinnern muss.

Das Interview führten Kemal Bölge und Polat Karaburan/Xanthi

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