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Kommentar
Missbrauchsfälle in Koranschulen: Die Konstruktion der Wirklichkeit

Der Journalist Frank Nordhausen hat sich jüngst in einem Artikel über Missbrauchsfälle in Koranschulen in der Türkei befasst.

Sultan Ahmet Moschee in Istanbul (Symbolfoto: pixa)
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Ein Gastkommentar von Nabi Yücel

Der Journalist Frank Nordhausen hat sich jüngst in einem Artikel über Missbrauchsfälle in Koranschulen in der Türkei befasst.

Sein Resümee: „Die Erdogan-Regierung reagiert – mit Nachrichtensperren.“ und „in den vergangenen 15 Jahren wurden in der Türkei immer mehr Fälle missbrauchter Kinder angezeigt. Beschuldigte waren zumeist Koranlehrer illegaler, aber vom Staat geduldeter Islam-Sekten.“

Nordhausen versucht diese These untermauern zu wollen, in dem er auch Burak Copur, Politikwissenschaftler und Türkei-Experte an der privaten Hochschule IUBH Dortmund, zu Rate zieht, der einen Zusammenhang zwischen den sexuellen Übergriffen und der „frömmlerischen Regierungspolitik Erdogans“ vermutet.

Kennen Sie die Geschichte „Die verscheuchten Elefanten“ von Paul Watzlawick? Nein? Dann rate ich ihnen, das zu lesen, denn Nordhausen und Copur zeigen die gleichen Verhaltensmuster auf, wie der Mann in der Geschichte, der vorgibt, Elefanten verscheuchen zu wollen, die es gar nicht gibt. Man kann daher eine herbei halluzinierte amtierende Regierung auch nicht mit lautem Klatschen verjagen, auch nicht zu zweit. Aber zurück zum Artikel „Missbrauchsfälle in Koranschulen erschüttern die Türkei“ von Frank Nordhausen.

Alles Blödsinn…, denn, wenn man der These folgt, gibt es somit auch einen Zusammenhang zwischen der Bundesregierungspartei mit dem „C“ und den Missbrauchsfällen in der Römisch-Katholischen Kirche, die ja in diesem Sinne in den letzten 15 Jahren begünstigt wurden. Man kann es ja auch weiterspinnen und behaupten, die CDU/CSU hat der Römisch-Katholischen Kirche nicht energisch genug auf die Finger geklopft. Schlimmer noch, die Aufklärung in dieselben Hände gegeben, die ja die Missbrauchsfälle lange Zeit gedeckt oder totgeschwiegen haben.

Aber zurück zum Artikel, der sich ausschließlich mit der amtierenden türkischen Regierungspartei mit dem „A“ beschäftigt, die ja die Missbrauchsfälle sehr wohl ernst nimmt, nur nicht kommentieren will und nur sicherstellt, dass die Fälle auch strafrechtlich verfolgt werden, und zwar konsequent und nicht wie bei der Römisch-Katholischen Kirche, die selbst die Aufgabe übernommen hat, Henker und Richter spielen zu dürfen. Offenbar hat nicht nur die türkische Opposition es gerne so, dass die türkischen Missbrauchsfälle ähnliche Dimensionen aufweist wie der Missbrauch in der Römisch-Katholischen Kirche, sondern auch die „deutsche“ Opposition, die in die selben Hände klatschen. Nun, diese „islamischen Sekten“ haben jedenfalls keine politische gebilligte Aufklärungs- und Ahndungsbefugnis, wie die Römisch-Katholische Kirche in Deutschland.

Die Vorwürfe, ob aus der türkischen oder deutschen Opposition, stützen sich auf nicht vorhandene und verlässliche bzw. belastbare Fakten, wie auch dieser Artikel zwischen den Zeilen zähneknirschend einräumen muss. Es gibt diese empirischen Belege ganz einfach nicht. Bei Lichte betrachtet erschöpft sich der Artikel ganz einfach in unbelegten Spekulationen und verdingt sich daher den Ruf eines reißerischen Artikels, dessen einzige Intention es ist, die amtierende türkische Regierung zu belasten.

Es gibt doch dieses ungeschriebene Gesetz, wonach die sexuelle Veranlagung angeboren ist und diese Veranlagung sich folglich nicht um politische oder konfessionelle Zugehörigkeit schert. Was tut nun naturgemäß ein pädophil-veranlagter Mensch? Er versucht in die nähere Umgebung von Menschen zu gelangen, die diese Veranlagung befriedigen. Es ist daher nicht außergewöhnlich, dass der Missbrauch von Kindern dort begangen wird, wo auch Kinder am häufigsten anzutreffen sind: in Kindergärten, Schulen, Nachhilfeunterricht etc.. Hieraus erklärt sich auch schlüssig, warum der Anteil an pädophil-veranlagten Menschen gerade in der deutschen Römisch-Katholischen Kirche oder in Kindergärten deutlich höher sein dürfte, als in allen anderen Bereichen, Orten oder Ansammlungen von Menschen.

Ob autoritäre Strukturen derartiges begünstigen, ist genauso spekulativ wie die Frage, ob hier überhaupt ein größeres Problem vorliegt. Es gibt schlichtweg nicht den Hauch eines belastbaren Belegs dafür, dass man es in der Türkei mit einem weit verbreiteten strukturellen Problem zu tun hat. Statistisch betrachtet kann es leider nicht ausbleiben, dass es in Einrichtungen auf dem Erdball, in denen Erwachsene auf Kinder treffen, auch zu solchen Vorfällen kommt, völlig egal, ob religiös oder profan, autoritär oder liberal.

Und wenn Nordhausen und Copur sich dabei nicht der Frage stellen, dass Pädophilie eine biologisch determinierte sexuelle Veranlagung ist, macht ihre gesamte Argumentationskette auch keinen Sinn, da – auch hier wiederhole ich mich – das autoritäre Wesen des Verhältnisses Erwachsener-Kind, völlig unabhängig vom religiös-weltanschaulichen Charakter, in der Natur der Sache selber veranlagt ist, mithin völlig unabhängig vom weltanschaulichen Kontext der Institutionen existiert, in denen Erwachsene auf Kinder treffen.

In diesem Sinne ist es bezeichnend, dass gerade führende intellektuelle Vertreter einer links-alternativen antiautoritären Weltanschauung, wie etwa Daniel Cohn-Bendit, ihre sexuellen Erfahrungen in Kindergärten frei und unbefangen zu beschreiben und zu legitimieren bestrebt waren, lange bevor die Öffentlichkeit für den Themenkomplex „sexueller Missbrauch“ sensibilisiert wurde. In gewisser Weise waren die Cohn-Bendits und Volker Becks wenigstens konsequent und redeten offen darüber und machten daraus keinen Hehl. Lange bevor Weltanschauungen eklektisch zusammengewürfelten beliebigen Konstrukten entsprachen, haben sie lediglich die logische Konsequenz aus einer Dynamik gezogen, die sich das Aufbrechen von Tabus auf die Fahnen geschrieben hat.

Das Bestreben der Herren Nordhausen und Copur, den sensiblen Themenkomplex sexueller Missbrauch politisch-weltanschaulich zu instrumentalisieren, ist nicht nur intellektuell und moralisch in höchstem Maße unredlich und niederträchtig, sondern wird angesichts der Tatsache, dass gerade diese links-alternative antiautoritäre Strömung in der jüngeren Ideengeschichte die einzige Bewegung ist, die Kindesmissbrauch intellektuell zu rechtfertigen bestrebt war, zu einem lupenreinen Eigentor.

Ferner, man könnte aufgrund der Ausführungen von Nordhausen und Copur sogar so weit gehen und ja auch behaupten, dass es einen Zusammenhang zwischen ausufernder sexueller Freizügigkeit und Beliebigkeit und Phänomenen wie Kindesmissbrauch gibt. Aber wieso wollen Nordhausen und Copur genau das im anderen Gewand nicht an den Mann oder Frau bringen? Es geht ausschließlich um politisch-weltanschauliche Kampfrhetorik! Das ist keine rationale Argumentation, sondern reine Ideologie. Rational wäre es, wenn z.B. Copur erklärt hätte, weshalb es per Definition zunächst einmal von autoritärer Natur ist, wenn Erwachsene auf Kinder zusammen treffen. Völlig egal, ob religiös oder profan, in solchen Konstellationen übt der Erwachsene ja naturgemäß Macht über das Kind aus – und läuft somit immer potenziell Gefahr, diese Macht zu missbrauchen.

In der Türkei werden solche Fälle von Machtmissbrauch nun vermehrt entdeckt, aufgeklärt, juristisch geahndet, auch weil die Betroffenen solche Fälle freizügiger zur Anzeige bringen oder darüber berichten als in den Jahren und Jahrzehnten zuvor. Jetzt einen Zusammenhang mit der Regierungspartei zu sehen, blendet alle anderen Umstände und Situationen völlig aus. Was besagt das nun?


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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