Von Arn Strohmeyer
Die historisch-politische Situation ist günstig, so denkt man wohl in der zionistischen Politelite Israels.
Gerade hat US-Präsident Donald Trump Jerusalem als die Hauptstadt Israels anerkannt, da beschließt die zweitstärkste Regierungspartei, der auch der gegenwärtige Regierungschef Benjamin Netanjahu angehört, die Annexion des größten Teils des Westjordanlandes. Das ist nicht nur so irgendein Partei-Beschluss.
Die Absicht genießt auch in den anderen Fraktionen der Regierungskoalition allerhöchste Priorität. Mit Trumps Unterstützung im Rücken glauben die israelischen Nationalisten und Nationalreligiösen nun wohl, endgültige Fakten schaffen zu können und das alte zionistische Ziel realisieren zu können: aus dem früher rein arabischen Palästina ein jüdisches „Eretz Israel“ machen zu können – aber ohne Palästinenser natürlich.
Bei der Verfolgung dieses Ziels sind die Zionisten immer äußerst strategisch vorgegangen und haben nie etwas dem Zufall überlassen. Ihre Siedlungen, die eigentliche Wehrdörfer waren, wurden von Anfang so angelegt, dass man Stück für Stück neues Land erobern konnte. Genauso ging man auch im Westjordanland mit dem Siedlungsbau vor – eben Fakten schaffen, bis einem der reife Apfel in den Schoß fällt – eben ganz Palästina.
Die einheimischen Palästinenser, die seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden dieses Land bewohnen, haben dabei nie eine Rolle gespielt, sie waren und sind nur ein Störfaktor für die Realisierung des zionistischen Projekts. Eigentlich gibt es dieses Volk in der zionistischen Sichtweise gar nicht. Und da sie nun doch da sind, erklärte man sie zu „Terroristen“ und „Nazis“, um eine Rechtfertigung für ihre Unterdrückung und den Kampf gegen sie zu haben. Die ganze „Schuld“ dieses Volkes besteht allein darin, Palästinenser zu sein, im „falschen“ Land zu existieren, das ja nach zionistischer Auffassung allein den Juden gehört.
Wenn der Likud-Beschluss in nicht allzu ferner Zukunft politische Realität werden sollte (und daran besteht kein Zweifel, auf allen offiziellen israelischen Landkarten ist das Westjordanland – Judäa und Samaria – längst ein Teil Israels), dann ist den Palästinensern das Schicksal zugedacht, in übervölkerten Reservaten zu leben, die den Bantustans im Apartheid-Südafrika gleichen, die man gut und gerne auch Freiluftgefängnisse nennen kann.
Der Gazastreifen dient da als Vorbild. Mögen sie das „Staat“ nennen, hat schon Ariel Sharon gesagt, den Israelis ist das egal. Mit wirklichem Frieden, der immer die Gleichheit der Partner voraussetzt, hat das gar nichts zu tun. Der Likud-Beschluss beweist auch: Was man in den letzten Jahrzehnten als „Friedensprozess“ bezeichnet hat, war nicht als eine Farce, eine lächerliche Veranstaltung, die nur dazu diente, Israel die Möglichkeit zu geben, endgültige Fakten zu schaffen.
Der Likud hat mit seinem Annexionsbeschluss den Startschuss gegeben, der Rest wird mit Sicherheit bald folgen. Dass hier einer der schlimmsten Völkerrechtsbrüche der letzten Jahrzehnte vorbereitet wird, die Zionisten schert es nicht. Justizministerin Ayelet Shaked hat ja gerade erst bekannt, dass der Zionismus (die israelische Staatsideologie) mit Völkerrecht und Menschenrechten nichts zu tun habe, weil er seine eigene Gesetzlichkeit und Moral verfolge.
Noch ist die Annexion kein offizieller Regierungs- und Parlamentsbeschluss, aber er wird kommen. Die internationale Staatengemeinschaft, vor allem der Westen und die EU, haben diesem Staat, für den kein internationales Gesetz gilt, bisher alles durchgehen lassen. Schweigend wird jeder Bruch von Völkerrecht und Menschenrechten Israels hingenommen.
Ja, dieser Staat wird noch mit enger wirtschaftlicher, militärischer und kultureller Zusammenarbeit für seine Untaten belohnt. Wenn die Annexion spruchreif wird, gibt es keine Ausreden und keine Entschuldigungen mehr. Dann muss die Staatengemeinschaft – auch Deutschland, „Staatsräson“ hin oder her – eindeutig und klar reagieren. Auch Sanktionen können dann nicht mehr ausgeschlossen werden, will man sich nicht zum Komplizen eines fatalen internationalen Rechtsbruchs machen.
Eines hat der Likud-Beschluss jetzt schon bewirkt: Jedes gegen die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) vorgebrachte Argument, die ein Ende der Besatzung fordert, fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
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