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Wie Begrifflichkeiten zu Heuchelei führen können
Kommentar: Ein Vergleich des G20-Gipfels mit den Gezi-Protesten

Nach den gewalttätigen G20-Demonstrationen in Deutschland entbrannte in Deutschland eine kontroverse Diskussion über Linksextremismus, Gewalt und das Gewaltmonopol des Staates. Die Unruhestifter wurden von manchen als „Chaoten“, „Horden“, „Kriminelle“, „Krawallmacher“ oder „Randalierer“ bezeichnet. Ein Kommentar.

(Archivfoto: AA)
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Von Yasin Baş

Nach den gewalttätigen G20-Demonstrationen entbrannte in Deutschland eine kontroverse Diskussion über Linksextremismus, Gewalt und Gewaltmonopol des Staates. Die Unruhestifter wurden von manchen als „Chaoten“, „Horden“, „Kriminelle“, „Krawallmacher“ oder „Randalierer“ bezeichnet.
Einige hochrangige Politiker und Kabinettsmitglieder nannten sie gar „Terroristen“.

Wie sieht es aus, wenn Terroristen in Ländern wie z.B. in der Türkei, der Ukraine, in Venezuela und Brasilien marodierend durch Straßen und Stadtteile ziehen und ihrer Zerstörungswut freien Lauf lassen? Werden sie dann auch als das bezeichnet, was sie sind, nämlich Terroristen? Oder sprechen viele unserer Politiker und Journalisten dann von „demokratischen Demonstranten“, „friedlichen Aktivisten“ oder „Bürgern, die Gerechtigkeit fordern“?

Auf der einen Seite erhalten die Beamten, die für unsere und die Sicherheit der Öffentlichkeit verantwortlich sind, den gebührenden Dank für ihre „großen Leistungen“ und ihren „heldenhaften Einsatz“. Auf der anderen Seite jedoch werden genau solche Beamte als „brutale Polizisten“ und „Handlanger des Regimes“ gebrandmarkt, wenn sie woanders die öffentliche Ordnung wahren wollen. Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit? Wieso unterscheiden viele von uns immer noch zwischen guten und bösen Terroristen oder zwischen guten und bösen Plünderern?

Doppelmoral durch und durch

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Artikel von mir verweisen, den ich im Jahr 2013, nach den so genannten „Gezi-Protesten“ in Istanbul verfasst hatte:

„[…] Wochenlang haben westliche Medien, insbesondere auch unsere Anstalten und Blätter, über die, wie sie es nannten, ‚Volksaufstände‘ in der Türkei berichtet. Die – um es diplomatisch zu formulieren: stark monoperspektivisch geprägte – Berichterstattung wurde zweifellos auch bei den in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen registriert. Tagtäglich wurden planmäßig Berichte und Bilder angeblicher oder tatsächlicher ‚brutaler Polizeigewalt‘ in Print- und Onlinemedien sowie TV-Nachrichten lanciert.

Interviews wurden dabei fast ausschließlich von Regierungsgegnern und so genannten ‚Opfern der Polizeigewalt‘ verbreitet. Ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin, das seit einigen Jahren eher auf dem Niveau hiesiger Boulevardzeitungen berichtet, hat sogar erstmals einen Teil seiner Ausgabe auch in türkischer Sprache produziert. Politiker aller Parteien haben die Türkei mit Belehrungen in punkto Rechtsstaatlichkeit überhäuft. Einige sind sogar selbst zu den Protesten gereist, um sich später mit geschwollenem Gesicht von Pressefotografen ablichten zu lassen und so der Stadt und dem Erdkreis zu demonstrieren, wie schlimm doch die ‚Polizeibrutalität‘ beim EU-Beitrittskandidaten wäre.

Gewaltmonopol liegt beim Staat

In demokratischen Gesellschaftssystemen liegt das Gewaltmonopol beim Staat, sprich bei der Polizei. Niemand hat das Recht, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden. Diesem Grundsatz wird bei Bedarf notfalls auch unter Einsatz unmittelbarer Zwangsmittel Geltung verschafft. Wer das nicht glauben mag, kann sich die Bilder der Mai-Demonstrationen der letzten Jahre in Berlin und Hamburg ansehen, kann einen Blick auf die tagelangen, gewalttätigen Ausschreitungen während des G8-Gipfels in Heiligendamm, auf das Vorgehen der Polizei gegen die Castor-Gegner, Stuttgart 21 oder der ‚kapitalismuskritischen‘ Occupy-Bewegung vor Augen führen.

Wenn Demonstranten Sitzblockaden veranstalten, sich an Gleise ketten oder sogar Gewalt gegen die Polizei anwenden, öffentliche Einrichtungen oder Privatbesitz zerstören und in Brand setzen, dann ist es wohl nicht unmöglich, nachzuvollziehen, dass die Polizei irgendwann mal gezwungen ist, zu reagieren. ‚Die Freiheit eines jeden hört dort auf, wo die Freiheit eines anderen beginnt.‘ Dieses Credo, das man schon in der Grundschule lernt, sollte eigentlich auch den ‚Freiheitsfalken‘ und Universitätsabsolventen vom Taksim-Platz und dem Gezi-Park bekannt sein.

Die Bilanz des Zerstörungswahns durch die in hiesigen Medien als ‚Freiheitsaktivisten‘ gelobten Randalierer in der Türkei: 45 Rettungsfahrzeuge, 90 öffentliche Verkehrsbusse, 60 öffentliche Gebäude, Bushaltestellen, 12 Parteibüros, 215 private PKW, 340 Geschäfte, 240 Polizeifahrzeuge und 70 öffentliche Überwachungskameras. Ein toter und ein schwerverletzter Polizeibeamter. […]“

In Hamburg sind ebenfalls hohe Schäden zu beklagen. Einen Großteil dieser Schäden werden wohl wir als Steuerzahler tragen. Zudem erlitten fast 500 Beamte zum Teil schwere Verletzungen. Gewalt gehört auf keine Demonstration. Und das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Sowohl in Istanbul als auch in Hamburg.


Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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