Berlin (dts) – Trotz des Booms am Arbeitsmarkt ist die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren kaum gefallen. Dies geht aus Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor, die der „Welt am Sonntag“ vorliegen. „Die Abgabenbelastung der Bürger ist in den letzten zehn Jahren nur geringfügig gesunken“, sagte ZEW-Forscher Andreas Peichl.
So verringerte sich für einen Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 20.000 Euro die Belastung im vergangenen Jahrzehnt marginal von 31,3 auf 30,8 Prozent. Für einen Durchschnittsverdiener mit 40.000 Euro Bruttoeinkommen ging die Belastung von 41,9 auf 39,5 und für einen Spitzenverdiener mit 80.000 Euro von 45,9 auf 43,9 Prozent zurück. Auch die am Freitag vom Bundesrat beschlossene Absenkung der kalten Progression und des Grundfreibetrags bringt für die Steuerzahler kaum Entlastung, wie Berechnungen des Rheinisch-Westfälisches-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) für die „Welt am Sonntag“ zeigen. So führe der höhere Grundfreibetrag in diesem Jahr zu einer Entlastung von 850 Millionen Euro. Durch die zweite Stufe im kommenden Jahr – eine weitere Erhöhung des Freibetrags und den Abbau der kalten Progression – kämen 2,5 Milliarden Euro hinzu. Auch Berechnungen des Bundes der Steuerzahler zeigen, dass der beschlossene Abbau der kalten Progression nur wenig Entlastung für die Steuerzahler bringt. So liege die Entlastung für das Jahr 2016 für einen Arbeitnehmer mit einem Bruttojahresverdienst von 30.000 Euro bei 72 Euro im Jahr. Ein Single mit einem Einkommen von 50.000 Euro habe 128 Euro mehr in der Geldbörse. Bei Ehepaaren mit einem Einkommen liege die Entlastung bei 110 Euro im Jahr und bei 50.000 Euro bei 124 Euro im Jahr 2016. Ökonomen fordern, einen größeren Anteil von den Haushaltsüberschüssen an den Steuerzahler zurückzugeben.
„Trotz der Tarifreform 2009 und der weiteren Anhebungen des Grundfreibetrags sind seit dem Jahr 2005, dem Jahr der letzten großen und politisch so gewollten Steuerreform, rund zehn Milliarden Euro bei der kalten Progression aufgelaufen“, sagte Wirtschaftsweise Lars Feld der „Welt am Sonntag“. „Die Steuer- und Abgabenlast für die Mittelschicht ist zu hoch.“ Feld fordert eine „vollständige Korrektur“ der kalten Progression der letzten Jahre. Auch in der Politik wird der Ruf nach Steuersenkungen lauter. „Nachdem wir die kalte Progression angegangen sind, muss als nächstes der Soli fallen: wie versprochen 2019 und zwar endgültig“, sagte CDU-Politiker Carsten Linnemann. Auch die SPD spricht sich für Entlastungen aus. „Die Entscheidung zum Wahlprogramm fällt erst 2017, aber eine Entlastung für die arbeitende Mitte ist anzustreben“, sagte SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider und weiß dabei die Gewerkschaften an seiner Seite. „Es läuft grundsätzlich was falsch in der Steuerpolitik“, findet DGB-Vorstand Stefan Körzell. „Einerseits wird der Staatshaushalt immer stärker durch Lohn- und Mehrwertsteuer finanziert, was vor allem Gering- und Durchschnittsverdiener belastet. Anderseits verlieren Steuern auf Gewinne und große Vermögen ständig an Bedeutung.“ Deshalb müsse der „Anstieg des Steuertarifs für geringere Einkommen abgeflacht werden“, fordert Körzell.