Von Fabian Köhler
Alle Jahre wieder erscheint der „Weltverfolgungsindex“. Zeitungen schreiben dann von „100 Millionen verfolgten Christen“ und Politiker zeigen sich entsetzt über das Schicksal der „am stärksten verfolgten Glaubensgruppe“. Dabei handelt es sich bei der meistzitierten Untersuchung zur Christenverfolgung lediglich um eine stümperhafte Studie eines kleinen evangelikalen Vereins.
Zugegeben, man kann den Kommentar-Trolls, die sich unter diesem Beitrag wieder versammeln werden, auch schwerer machen. Relativiert da der Blogger, der sonst immer für Verständnis für die eine Glaubensgruppe wirbt, nicht das Leid der anderen Glaubensgruppe? Sollen hier Christen und Muslime gegeneinander ausgespielt werden? Denkt der, irgendwelche Religiösen hätten die Diskriminierung für sich gepachtet? Opfer-Abo, oder was!?
Nein. Und genau deshalb ist es wichtig, den Weltverfolgungsindex von Open Doors zu kritisieren.
Open was?
Einmal im Jahr gibt die Organisation Open Doors ihren Weltverfolgungsindex heraus. Die Studie untersucht Diskriminierung und Verfolgung von Christen weltweit. Oder besser: Sie gibt vor, es zu tun. Das Ergebnis ist ein Negativ-Ranking von 50 Staaten und Schlagzeilen wie diese:
Wann auch immer ein Politiker sich über das Schicksal der „am stärksten verfolgten Glaubensgruppe“ entsetzt zeigt oder Medien über „100 Millionen verfolgte Christen“ berichten, berufen sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf Open Doors und seinen Weltverfolgungsindex.
Und was ist daran verkehrt?
So ziemlich alles. Open Doors ist ein kleiner evangelikaler Verein mit Sitz im hessischen Kelkheim. 60 Mitarbeiter kümmern sich von dort aus um die verfolgten Christen dieser Welt. oder jene, die evangelikale Organisation dafür hält. Denn, ab wann ein Christ als verfolgt oder diskriminiert gilt, entscheidet Open Doors auf sehr eigenwillige Weise.
Die Mängel der Studie werden schon auf den ersten Seiten offensichtlich. In vergleichbaren Berichten wird dort meist erklärt, wie man das Ausmaß von Verfolgung und Diskriminierung herausfinden will. Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch verweisen dann auf eigene Untersuchungen vor Ort, repräsentative Umfragen und Interviews, die Auswertung von Medienberichten, Statistiken lokaler Behörden und Erhebungen durch Vereinten Nationen und NGOs. Die einzige Quelle der weltweit einflussreichsten Studie zur Christenverfolgung hingegen: ein Fragebogen.
Auf seiner Website erklärt Open Doors knapp, dass ein Katalog aus 96 Fragen im Zentrum der Studie steht. Dieser wird nicht an potenziell verfolgte Christen weltweit oder an lokale NGOs versandt, stattdessen füllen ihn „Analysten, Forscher und Fachleute von Open Doors“ aus – also die eigenen Mitarbeiter. Zwar würden die Ergebnisse von „externen Experten“ geprüft, schreibt Open Doors auf seiner Website, doch scheinen auch diese weder wirklich „extern“ noch „Experten“ zu sein. Zuständig für die Überprüfung ist das „Internationale Institut für Religionsfreiheit“. Der Verein mit Sitz in Bonn stammt aus demselben evangelikalen Umfeld wie Open Doors selbst.
Also stimmen die „100 Millionen“ gar nicht?
Zumindest lässt sich das anhand der Untersuchung von Open Doors nicht feststellen. Denn Open Doors richtet sich bei der Entscheidung, wer als verfolgt gilt, nicht – wie andere Organisationen – nach völkerrechtlich bindenden Festlegungen zur Religionsfreiheit. Stattdessen legen die Evangelikalen für ihr Ranking eine eigene, sehr weit gefasste Definition von Verfolgung zugrunde.
Als verfolgt gelten Christen zum Beispiel auch dann, wenn „Kinder aufgrund ihres Glaubens oder des Glaubens ihrer Eltern keine oder nur eine schlechte Schulbildung bekommen.“ Vom katholischen Online-Magazin kath.net in einem Interview darauf angesprochen, dass Verfolgung etwas anderes sei als schlechte Bildungschancen, antwortete Open Doors-Chef Markus Rode einmal
Es steht uns nicht zu, Christen per Definition vorzuschreiben, ob sie erst dann als verfolgt gelten, wenn sie gefoltert oder ins Gefängnis geworfen werden, oder bereits wenn ihre Kinder von Ausbildungs- und Berufschancen bewusst ausgeschlossen werden. Verfolgung hat viele Facetten, die auch von den Christen vor Ort subjektiv, und somit unterschiedlich stark erlebt werden.
Das klingt sympathisch aus dem Mund von jemanden, der Angst um verfolgte Glaubensgenossen hat. Als Grundlage für eine glaubwürdige Studie einer Menschenrechtsorganisation taugt das nicht.
Sind Christen dann etwa auch nicht die meistverfolgte Glaubensgruppe?
Davon steht auf jeden Fall nichts in der Studie. Denn um den Grad der Verfolgung zwischen verschiedenen Gruppen vergleichen zu können, müsste der Weltverfolgungsindex ersteinmal die Verfolgung verschiedener Gruppen untersuchen. Das tut er aber nicht: Juden, Zoroastrier, Muslime, Buddhisten usw. kommen in der Studie gar nicht vor.
Stattdessen erklärt Open Doors Christen allein aufgrund der absoluten Zahl von 100 Millionen Verfolgten zur meistverfolgten Glaubensgruppe. Sieht man einmal davon ab, dass die Wahrscheinlichkeit individueller Verfolgung bei kleinen Glaubensgruppen wie den Bahai wesentlich höher sein dürfte, zeigt auch der Umkehrschluss, wie absurd diese Logik ist: Auf Basis der Zahlen von Open Doors könnte man das Christentum mit 1,9 Milliarden Anhängern, die nicht verfolgt werden, auch zur am wenigsten verfolgten Glaubensgruppe erklären.
Und das alles ist bisher niemandem aufgefallen?
Doch. Open Doors steht immer mal wieder in der Kritik für seine islamfeindliche Agenda, dafür eigentlich eine Missionsgesellschaft zu sein oder dafür, dass es als eine der wenigen großen gemeinnützigen Organisationen in Deutschland seine Seriösität nicht vom „Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen“ hat überprüfen lassen und deshalb auch nicht das“Deutsche Spendensiegel“ trägt.
Kritisiert wird Open Doors auffällig oft von Institutionen, denen der Schutz von Christen tatsächlich ein Anliegen ist: „Ich habe große Zweifel daran, dass diese Zahlen solide sind“, sagte einmal der Nürnberger Theologe und Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats Heiner Bielefeld im Jahr 2012 und kritisierte die Tendenz der Organisation, vorzugsweise den Islam für die Diskriminierung von Christen verantwortlich zu machen und „Religionen gegeneinander auszuspielen.„
Noch schärfer fiel im Jahr 2013 die Kritik der beiden großen staatlichen Kirchen in Deutschland aus. In einem eigenen Bericht zur Christenverfolgung kamen Deutsche Bischofskonferenz und Evangelische Kirche ebenfalls zum Ergebnis, dass Christen in vielen Ländern verfolgt werden. Superlative à la „keiner wird mehr verfolgt als wir“ findet man in dem Bericht allerdings nicht. Stattdessen endete die Studie mit einem unverhohlenen Seitenhieb auf Open Doors:
Besondere Glaubwürdigkeit gewinnt ein solches Engagement dadurch, dass der Einsatz für die Religionsfreiheit bedrohter Glaubensgenossen nicht isoliert geschieht, sondern Teil eines umfassenden kirchlichen Engagements für alle Menschenrechte und deren Durchsetzung ist. Es ist im besten Interesse der christlichen Kirchen, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit als Gemeingut zu verstehen, als Freiheitsrecht aller, dessen Verwirklichung ohne Ab- und Ausgrenzung auskommt.
Erschienen auf Schantall und die Scharia
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