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Gastkommentar
Bosnien: Wir dürfen kein zweites Srebrenica zulassen

Çelik: "Die Welt sah damals weitgehend tatenlos zu. Und nun, fast 30 Jahre später, stehen wir erneut vor einer gefährlichen Entwicklung."

(Foto: aa)
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Ein Gastkommentar von Özgür Çelik

Bosnien-Herzegowina – ein Land, das in den 1990er Jahren einen der brutalsten Kriege Europas erlebt hat. Der Krieg, der mit dem Zerfall Jugoslawiens begann, brachte ethnische Säuberungen, Massaker und vor allem den Völkermord in Srebrenica mit sich. Die Welt sah damals weitgehend tatenlos zu. Und nun, fast 30 Jahre später, stehen wir erneut vor einer gefährlichen Entwicklung.

Bosnien-Herzegowina am Abgrund: Droht eine neue Krise?

Milorad Dodik, der Führer der serbischen Entität Republika Srpska, bedroht mit seinen separatistischen Plänen die territoriale Integrität Bosniens. Unterstützt von Serbien und Russland, ignoriert er das Dayton-Abkommen und untergräbt systematisch die staatlichen Strukturen des Landes. Das Ziel? Eine Abspaltung der Republika Srpska und womöglich die Annexion durch Serbien.

Erinnern wir uns: So begannen auch die Konflikte der 1990er Jahre. Damals wie heute ist die internationale Gemeinschaft erstaunlich passiv. Wird sie wieder tatenlos zusehen, bis es zu spät ist? Wer trägt die Verantwortung für die aktuelle Krise?

Die Situation ist komplex, aber die Hauptakteure sind klar:

1. Milorad Dodik: Der Brandstifter

Seit Jahren fordert Dodik offen die Unabhängigkeit der Republika Srpska. In den letzten Monaten hat er die Lage weiter eskaliert: Er lehnt Entscheidungen des bosnischen Verfassungsgerichts ab, will eine eigene Armee für die Republika Srpska aufbauen und sabotiert die Institutionen des Gesamtstaates. Kurz gesagt: Er betreibt eine Politik der gezielten Destabilisierung.

2. Serbien: Offene oder stille Unterstützung?

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić gibt sich nach außen hin diplomatisch und beteuert seine Unterstützung für die Souveränität Bosniens. Doch gleichzeitig stärkt er Dodiks Position – sei es finanziell, politisch oder durch die serbischen Medien, die separatistische Narrative verbreiten. Die Parallelen zu den 1990er Jahren sind unverkennbar.

3. Russland: Ein geopolitisches Spiel auf dem Balkan

Während Russland durch den Krieg in der Ukraine international isoliert ist, nutzt es den Balkan als Druckmittel gegen den Westen. Moskau unterstützt Dodik aktiv – mit politischen Statements, wirtschaftlichen Abkommen und möglicherweise sogar mit verdeckten Operationen. Für Russland ist Bosnien nur ein weiteres Schlachtfeld im geopolitischen Ringen mit der EU und der NATO.

4. Der Westen: Gefährliche Passivität

Die EU und die USA haben zwar einige Sanktionen gegen Dodik verhängt, aber sie bleiben insgesamt zögerlich. Die NATO hat Truppen in Bosnien stationiert, doch ihre Präsenz ist begrenzt. Europa scheint die Tragweite der Bedrohung nicht wirklich zu begreifen. Die Geschichte lehrt uns jedoch: Wer zu lange wartet, muss am Ende einen viel höheren Preis zahlen.

Was steht auf dem Spiel?

Sollte die Republika Srpska tatsächlich versuchen, sich von Bosnien-Herzegowina zu lösen, könnte das fatale Folgen haben:

• Ein neuer Krieg: Die bosnische Regierung würde eine Abspaltung niemals akzeptieren. Ein bewaffneter Konflikt wäre die Konsequenz.

• Ethnische Spannungen: Erinnern wir uns an die Massaker der 1990er Jahre. Wer kann garantieren, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen?

• Ein Flächenbrand auf dem Balkan: Kroatien, Montenegro, der Kosovo und Albanien könnten involviert werden. Ein regionaler Krieg wäre nicht ausgeschlossen.

• Eine weitere Schwächung Europas: Ein instabiles Bosnien würde Russland in die Hände spielen und den Einfluss der EU auf dem Balkan schwächen.

Was muss jetzt getan werden?

Die internationale Gemeinschaft muss handeln – und zwar sofort. Hier sind einige Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden sollten (Kurzform):

1. Härtere Sanktionen gegen Dodik und seine Unterstützer

Die EU und die USA müssen Dodik und seine Verbündeten finanziell treffen. Auch Serbien sollte unter Druck gesetzt werden, falls es weiterhin separatistische Bewegungen unterstützt.

2. NATO-Mitgliedschaft für Bosnien beschleunigen

Ein NATO-Beitritt würde Bosnien militärisch absichern und die Abschreckung gegen serbische Separatisten verstärken.

3. Mehr internationale Truppen in Bosnien stationieren

Die derzeitigen EUFOR-Kräfte sind nicht ausreichend. Die NATO sollte ihre Präsenz verstärken, um eine Eskalation zu verhindern.

4. Klare Botschaften an Serbien senden

Wenn Serbien weiterhin die Integrität Bosniens untergräbt, sollte seine EU-Beitrittsperspektive ernsthaft infrage gestellt werden.

5. Stärkere Rolle der Türkei und westlicher Staaten

Die Türkei hat historisch enge Beziehungen zu Bosnien und kann eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Auch Deutschland, Frankreich und die USA müssen sich stärker engagieren.

Kein zweites Srebrenica zulassen!

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen. In den 1990er Jahren hat die Welt zu lange gezögert – mit katastrophalen Folgen für Bosnien. Heute stehen wir wieder an einem kritischen Punkt.

Wenn wir diesmal rechtzeitig handeln, können wir eine Katastrophe verhindern. Aber dafür braucht es Mut, Entschlossenheit und schnelles Handeln. Die Zukunft Bosniens – und des gesamten Balkans – hängt davon ab.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor

Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland


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