Start Politik Deutschland Tabubruch mit Folgen Friedrich Merz und die AfD – ein gefährliches Spiel...

Tabubruch mit Folgen
Friedrich Merz und die AfD – ein gefährliches Spiel vor der Brandmauer mit dem Feuer

Baş: Langfristig riskiert die Union ihre Glaubwürdigkeit, schwächt die Mitte und stärkt die extremen Ränder. Ein gefährliches Spiel.

(Archivfoto: Screenshot/Phoenix)
Teilen

Ein Gastbeitrag von Yasin Baş

Merz’ Akzeptanz der AfD-Stimmen bedeutet eine Zäsur für die Demokratie. Langfristig riskiert die Union ihre Glaubwürdigkeit, schwächt die Mitte und stärkt die extremen Ränder. Ein gefährliches Spiel.

Der 29. Januar 2025 wird möglicherweise als ein denkwürdiger Tag in die deutsche Politikgeschichte eingehen. An diesem Tag beschloss der Bundestag mit den Stimmen der AfD einen migrationspolitischen Antrag der CDU/CSU.

Zum Glück ist dieser Antrag nicht rechtlich bindend. Was auf den ersten Blick wie ein taktischer Erfolg für Friedrich Merz und die Union wirkt, könnte sich allerdings bei näherer Betrachtung als ein gefährlicher Tabubruch entpuppen, der langfristige Konsequenzen für die deutsche Demokratie haben könnte. Denn erstmals nach dem 2. Weltkrieg ist im deutschen Bundestag ein Antrag mit den Stimmen der extremen Rechten verabschiedet worden.

Noch „um 12 Uhr gedachte der Bundestag der Opfer des Holocausts anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz“ und „um 14 Uhr dann begann der CDU-Chef Friedrich Merz mit der Demontage der Brandmauer“, so Gareth Joswig in der taz am Tag nach der historisch denkwürdigen Entscheidung.

Rote Linie überschritten

Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union, hat mit diesem Schritt eine rote Linie überschritten, die seit Jahrzehnten als unantastbar galt: die Zusammenarbeit mit der extremen Rechten. Zwar betont Merz, dass eine „richtige Entscheidung nicht dadurch falsch wird, dass die Falschen zustimmen“.

Doch diese Argumentation ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Sie öffnet Tür und Tor für eine Normalisierung der AfD als politische Kraft und untergräbt die demokratischen Grundprinzipien, auf denen die Bundesrepublik nach 1945 aufgebaut wurde.

Ein Sieg für die AfD, eine Niederlage für die Demokratie

Der Jubel in den Reihen der AfD nach der Abstimmung spricht Bände. Für die Abgeordneten der rechten und islamfeindlichen AfD dürfte der Tag als „Meilenstein“ gelten, und tatsächlich markiert dieser Tag einen Wendepunkt in Deutschland.

Die AfD, die bislang als politisch isoliert galt, hat erstmals eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung eines parlamentarischen Vorhabens gespielt. Dies ist ein Erfolg, den die Partei nutzen wird, um sich weiter zu legitimieren und ihre Position im politischen Spektrum zu stärken.

Für die Union hingegen ist dieser „Sieg“ ein Pyrrhussieg. Zwar konnte Merz kurzfristig demonstrieren, dass er entschlossen handelt – doch der Preis dafür ist hoch. Die CDU/CSU hat sich von ihrer historischen Rolle als Hüterin der demokratischen Mitte entfernt und sich stattdessen auf ein Spiel mit dem Feuer eingelassen.

Die Brandmauer, die über Jahrzehnte die demokratischen Parteien von der extremen Rechten trennte, bröckelt nun nicht mehr, sie ist durchbrochen.

Symbolpolitik ohne Substanz

Hinzu kommt, dass der beschlossene Antrag rein symbolischer Natur ist. Er hat keine bindende Wirkung und wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Migrationspolitik haben. Stattdessen dient er vor allem der Wahlkampfrhetorik – ein Versuch, Wähler von der AfD zurückzugewinnen, indem man deren Themen und Tonlage übernimmt.

Doch diese Strategie ist riskant. Sie könnte dazu führen, dass die Union nicht nur ihre Glaubwürdigkeit verliert, sondern auch ihre Wählerbasis weiter spaltet. Die liberalen Stimmen innerhalb der Union, aber auch in der Wählerschaft könnten sich immer mehr von den konservativen Hardlinern herausgefordert fühlen.

Die frühere Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel äußerte bereits ihre Bedenken. Auch der Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU bezeichnete die Geschehnisse im Bundestag als „bittere Stunde“.

Merz’ Behauptung, er suche keine Mehrheiten außerhalb der demokratischen Mitte, wirkt angesichts der Realität unglaubwürdig. Indem er die Stimmen der AfD akzeptiert, hat er genau das getan, was er noch im November 2024 kategorisch ausgeschlossen hatte: Er hat eine Mehrheit mit der extremen Rechten ermöglicht.

Dieses gebrochene Versprechen wird ihm im Wahlkampf und möglicherweise auch nach der Wahl bei der Suche nach Koalitionspartnern aus dem demokratischem Spektrum noch schwer auf die Füße fallen. All die Versprechen von Merz aus der Vergangenheit, niemals mit der AfD zu paktieren, waren demnach nur „heiße Luft“.

Somit ist die Vertrauenswürdigkeit des Kanzlerkandidaten nachhaltig und irreversibel dahin. Der Druck auf die staatstragenden Parteien wird größer, nicht mehr mit einem derart unglaubwürdigen Politiker zusammenzuarbeiten: „Ich fordere Robert Habeck und Olaf Scholz auf, eine Koalition unter einem Kanzler Merz auszuschließen“, fordert beispielsweise Jan van Aken, Parteivorsitzender der Partei „Die Linke“.

Die Gefahr der Normalisierung

Der größte Schaden liegt jedoch in der langfristigen Wirkung dieses Tabubruchs. Indem die Union die AfD als Mehrheitsbeschafferin akzeptiert, trägt sie dazu bei, diese Partei als normalen Akteur im politischen System zu etablieren.

Dies ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern und Kommunen Nachahmer finden könnte. CDU-Ministerpräsidenten in Ostdeutschland, die bereits jetzt mit knappen Mehrheiten regieren, könnten sich in Zukunft gezwungen sehen, auf die Unterstützung der AfD zurückzugreifen.

Die Folgen wären verheerend: Die AfD würde weiter an Einfluss gewinnen, und die demokratischen Parteien würden sich immer weiter in Richtung populistischer Positionen bewegen. Dies wäre nicht nur ein Rückschlag für die deutsche Demokratie, sondern auch ein gefährliches Signal für ganz Europa.

Ein Appell an die Vernunft

Friedrich Merz und die Union stehen an einem Scheideweg. Sie können weiterhin auf die Stimmen der AfD setzen und damit die demokratischen Grundwerte aufs Spiel setzen – oder sie können zurück zu einer Politik der Mitte finden, die auf Kompromissen und Zusammenarbeit basiert.

Die Herausforderungen der Migrationspolitik sind real und erfordern dringend Lösungen. Doch diese Lösungen müssen im Rahmen des Grundgesetzes und in Zusammenarbeit mit den demokratischen Parteien gefunden werden. Eine Politik, die auf Symbolik und Populismus sowie auf Kooperation mit extremen Rechten setzt, wird Schaden anrichten – und dabei nicht nur die Union, sondern die gesamte Demokratie beschädigen.

Es ist an der Zeit, dass Friedrich Merz und die CDU/CSU die Konsequenzen ihres Handelns erkennen und zu einer verantwortungsvollen Politik zurückkehren. Die Alternative wäre ein weiterer Abstieg in die Polarisierung – und das ist ein Risiko, das Deutschland sich nicht leisten kann.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor, freier Journalist, Übersetzer und Berater. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?”, „nach-richten: Muslime in den Medien” sowie Almanya’da Medya [„Medien in Deutschland″].