ein Gastbeitrag von Klaus Jürgens
Wenn man sowohl aus beruflichen als auch aus privaten Gründen in der Vergangenheit aber auch gerade während der letzten zwei Jahre viel Zeit in Stockholm und Schweden verbrachte, kann man besser verstehen, wie sowohl hiesige Entscheidungsträger als auch „normale Bürger“ die Türkei und den laufenden NATO-Beitrittsprozess sehen.
Nachdem was man inoffiziell und offiziell vor Ort hört wird das nun in Kürze erwartete „Ja“ Ankaras zu einem schwedischen NATO-Beitritt sehr begrüßt. Das Gleiche galt übrigens auch für Helsinki und die finnische Bevölkerung.
Ganz wichtig ist hierbei zu bedenken, dass mittlerweile in Stockholm ein Denkprozess begonnen hat, an dem auch die ehemalige Außenministerin Ann Linde beteiligt ist, die vor kurzem zugab dass die PKK-Terror-Organisation finanzielle Unterstützung aus Schweden erhält; natürlich nicht von der Regierung sondern von illegalen Geldwäschern, die auf schwedischem Boden tätig sind.
Beobachter gehen davon aus, dass die bi-lateralen Beziehungen zwischen Stockholm und Ankara bald eine neue Blüte erleben werden; eine neue positive Phase, in der die schwedischen Behörden sowohl die PKK/YPG als auch die FETÖ-Sympathisanten, die sich in Schweden verstecken, viel genauer unter die Lupe nehmen werden. Dies gilt für das benachbarte Finnland weniger da es dort nur vereinzelte Terrornester gibt. Dies wiederum wird eine vollständige Umstrukturierung der bi-lateralen Beziehungen zwischen Stockholm und Ankara (Handel, Tourismus, Bildung, intelligente Städte, Energie und so weiter und so fort) ermöglichen.
Richtungswandel in schwedischer Sozialdemokratie war auschlaggebend
Man muss fairerweise sagen, dass der Vorschlag der NATO beizutreten eine der schwierigsten internen Entscheidungen war, die die schwedischen Sozialdemokraten je zu treffen hatten. Sie muss im Rahmen von zwei völlig gegensätzlichen Paradigmen analysiert werden.
Erstens sind die Sozialdemokraten von ihrer Geschichte her eine friedensfördernde Partei, und das schließt den Kampf gegen Unterdrückung in der ganzen Welt ein. Das einzige Land, der einzige Terrorclan, den sie immer völlig falsch verstanden haben, war und ist die PKK und ihr YPG-Satellit, die sie mit und für Freiheitskämpfer verwechseln anstatt was sie wirklich sind – Babymörder.
Weder ein Beitritt zur EG noch zur NATO stand jemals auf ihren Karten
Dann änderten sich die Zeiten, der Europarat verlor den größten Teil seiner Glaubwürdigkeit, Brüssel hatte damit begonnenen Stück für Stück einen Binnenmarkt aufzubauen, und schließlich kam das Jahr 1995 als Schweden der EU beitrat. Bald reichlich fließendes europäisches Geld war zweifellos ein wichtiger Anreiz, ebenso wie die Erlangung führender Verwaltungspositionen in Brüssel und natürlich die Entsendung von zahlreichen Abgeordneten ins Europäische Parlament. Erhöhtes internationales Ansehen durch den Beitritt zur EU? Fragen Sie Deutschland, natürlich!
Der NATO-Beitritt war jedoch ein völlig anderes politisches Spiel. Er stellte die sozialdemokratischen Neutralitätswerte auf den Kopf. Aber Stockholm konnte dem Ukraine-Krieg und der Invasion durch Moskau nicht tatenlos zusehen; es gab sogar vermehrt warnende Stimmen, ob Russland wie bereits in der Geschichte, erneut Schweden angreifen könnte. Also wie die Ostflanke absichern? Finnland allein Mitglied werden lassen? Nein – die einzige logische Lösung: Schweden muss der NATO beitreten.
Und nicht zuletzt hatte sich das politische Spektrum Schwedens dramatisch verändert. Die rechte Mitte begann das politische „Sweden First“- Spiel, also müssen die Sozialdemokraten dasselbe tun, um an der Wahlurne wieder zu gewinnen. Ein starkes Schweden in einer starken NATO gegen den „ausländischen Aggressor“ – vielleicht eine Erfolgsformel?
Nur dass diese Wahlkalküle der Sozialdemokraten nicht unbedingt aufgingen – es ist wohl Ironie des Schicksals das nun die derzeitige konservative Regierung den NATO-Beitritt als Trumpfkarte ausspielen darf.
Was kommt danach?
Bi-laterale Beziehungen zwischen Schweden und der Türkei werden prosperieren. NATO wird besser aufgestellt sein. Der Kampf gegen globalen Terror wird eine neue Bandbreite erhalten.
Somit kommen wir zu unserer abschließenden Frage: wäre NATO nicht bestens beraten, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen und anzuerkennen, dass Ankara nicht nur ein führendes Mitgliedsland ist, sondern tatsächlich den Weg zu einer politisch viel umfassenderen Struktur gewiesen hat? Warum sollte also ein zukünftiger NATO-Generalsekretär nicht aus der Türkei ernannt werden, um diesen Punkt vor der ganzen Welt zu unterstreichen? Ein NATO-Generalsekretär aus der Türkei – das hieße doch Vorhang auf für NATO 2.0. in der Tat!
Klaus Jurgens – London School of Economics Postgraduate Degree Government. Vormals Uni-Dozent Ankara, Schwerpunkt BWL und KMU. Über zehn Jahre vor Ort Erfahrung Türkei. Zur Zeit wohnhaft in Wien. Politischer Analyst und freiberuflicher Journalist.
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