Klaus J. Bades neues Buch über „Kritische Politikbegleitung“ in Sachen Migration, Flucht und Integration.
Von Yasin Baş
Klaus J. Bade ist Begründer der modernen historischen Migrationsforschung in Deutschland. Er lehrte und forschte als Neuzeithistoriker bis 2007 an der Universität Osnabrück und baute dort auch das Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) auf. Publizistik, Politikberatung und kritische Politikbegleitung wurden ihm dabei neben seinen akademischen Aufgaben zu einer Art zweitem Beruf, dem dieser kapitale Rückblick mit über 600 DINa4-Seiten gilt.
Bades neues Buch besteht aus zwei Teilen mit insgesamt zwölf Kapiteln: Im ersten Teil beleuchtet er die interdisziplinäre Neuorientierung der Migrationsforschung und sein Engagement in Forschungsorganisation, wissenschaftlich fundierter Öffentlichkeitsarbeit, Politikberatung und kritischer Politikbegleitung von den frühen 1980er Jahren bis zur Gegenwart. Der zweite, bei weitem längere Teil bietet eine Auswahl seiner an Politik und weitere Öffentlichkeit gerichteten Beiträge.
Die Interventionen der Migrationsforschung wurden von Politik in Regierungsverantwortung auf der Bundesebene lange geflissentlich überhört. Defensive Erkenntnisverweigerung unter dem Motto „Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland“ hatte jahrzehntelang geradezu chronischen Charakter. Bade war hier, zusammen mit wenigen anderen Stimmen aus der Scientific Community, als Mahner und Warner oft seiner Zeit weit voraus:
Das betraf seine Einschätzung, dass sich die sogenannte Gastarbeiterfrage schon seit den späten 1970er Jahren immer deutlicher in eine echte Einwanderungsfrage verwandelte und für das Versagen der Politik vor einer angemessenen Begleitung dieses Wandel.
Es betraf seine Anprangerung der mangelnden politischen Einsicht in die Realität der kulturellen Vielfalt, in die Notwendigkeit von aktiver Migrationspolitik sowie von präventiver, begleitender, bald auch schon nachholender Integrationspolitik. Auch Forderungen der von Bade so genannten „Angewandten Migrationsforschung“ nach interkultureller Öffnung des öffentlichen Dienstes und nach Monitoringsystemen zur Beobachtung von Integrationsprozessen stießen lange auf mehr oder minder taube Ohren.
Auf der kommunalen Ebene entfaltete sich schon frühzeitig weithin selbstläufig eine pragmatische, nur gelegentlich auch wissenschaftlich begleitete Integrationspolitik. Auf der Bundesebene hingegen kam es, allen wissenschaftlich begründeten Anstößen und publizistischen Forderungen zum Trotz, von Schäubles Reform des Ausländerrechts (1990) einmal abgesehen, im Grunde erst mit und seit der rotgrünen Koalition zu richtungweisenden legislativen Innovationen – von der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (2000) bis zum Zuwanderungsgesetz (2005). Die folgenden Regierungskoalitionen bauten auf diesen neuen Fundamenten auf. Bade hat auch diesen Weg beratend und publizistisch begleitet.
Vor dem Hintergrund der steigenden Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylsuchenden hat Bade frühzeitig für eine Bekämpfung der Ursachen unfreiwilliger Wanderungen in den Ausgangsräumen plädiert. Später kritisierte er nachdrücklich europäisch-afrikanische Abwehrverträge mit zum Teil selber fluchttreibenden Despoten, um unerwünschte Wirtschafts- und Fluchtwanderungen nach Europa zu verhindern. Andererseits kritisierte er im Innern manche politische Maßnahme zur vermeintlichen Integrationsförderung in ihren absehbaren Folgewirkungen zu Recht als nicht intendierte Integrationsbehinderung.
Bade erinnert sich in seinem Buch aber auch an seine öffentliche Kritik an der bereichsweise nur vordergründig als „Islamkritik“ daherkommenden publizistischen Islamophobie. Deren publizistische Vertreter und Anhänger wiederum beschimpften den „Integrationspapst“ und Gründungsvorsitzenden des von ihm konzipierten Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration als „Generalsekretär eines Politbüros für Migrationsforschung“ und überzogen ihn zeitweise mit Hassmails. Das Buch behandelt aber auch Bades Auseinandersetzung mit dem erst spät aufgedeckten türken- und islamfeindlichen Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und dem eklatanten Behördenversagen in diesem Zusammenhang.
Mit seinem mutigen Eintreten für eine aktive Akzeptanz der kulturellen Vielfalt, die sich in der Einwanderungsgesellschaft unverkennbar herausbildete, hat sich Bade lange nicht nur Freunde gemacht. Später wurde oft wie selbstverständlich behandelt, was er und wenige andere Wissenschaftler oft zum Teil jahrzehntelang vergeblich gefordert hatten. Bade pointiert: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen.“
So markierte Bade frühzeitig die Themen Migration und Integration als Zentralbereiche der Gesellschaftspolitik. Er regte an, ein besonderes Integrationsministerium einzurichten oder doch die zentrale Zuständigkeit für Fragen von Migrations- und Integrationspolitik, deren Umsetzung ohnehin Ländersache ist, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu übertragen, um sie aus dem im Bundesministerium des Inneren vorherrschenden Denken in Kategorien von Sicherheitspolitik und Gefahrenabwehr zu befreien. Nicht zuletzt verlangte Bade lange vergeblich eine gewaltige Investitionsanstrengung zur Förderung von Migrations- und Integrationsforschung wie sie erst heute, vor dem Hintergrund der ‚Migrationskrise’, Wirklichkeit zu werden beginnt.
Das Buch bietet Bestandsaufnahmen, Kritik und Denkanstöße in Erinnerungen und Beiträgen des heute knapp 73jährigen Migrationsforschers, Politikberaters und kritischen Politikbegleiters, verbunden mit vielen Fragen an die Zukunft: Wo stehen wir heute in Sachen Migration, Flucht und Integration? Worauf müssen wir uns einrichten? Woran können wir uns orientieren? Bades Buch blickt in menschenfreundlicher Prosa hinter die Kulissen und ist für Politik, Kommunen und weitere Öffentlichkeit sehr zu empfehlen.
Das Buch ist ein leserfreundlicher Hybrid: Es erscheint in einer Hardcover-Version und zugleich zu kostenfreiem Zugang in einer Netzedition. Sie wird am 21.4. freigeschaltet; denn an diesem Tag wird Bades Buch in einer Veranstaltung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin vorgestellt, verbunden mit einer anschließenden Podiumsdiskussion über aktuelle Probleme und Zukunftsfragen von Migration, Flucht und Integration.
Info: Klaus J. Bade: Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der ‚Gastarbeiterfrage‘ bis zur ‚Flüchtlingskrise‘. Erinnerungen und Beiträge. Karlsruhe 2017 Von Loeper Literaturverlag, ISBN: 978-3-86059-350-9, 650 S., € 32 (Subskriptionspreis bis 30.04.2017 € 25).
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Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.