Start Panorama Ausland Weltverfolgungsindex 2016 Christenverfolgung in der Türkei: „Open Doors“-Bericht weist romanhafte Züge auf

Weltverfolgungsindex 2016
Christenverfolgung in der Türkei: „Open Doors“-Bericht weist romanhafte Züge auf

Die evangelikale Vereinigung Open Doors veröffentlichte jüngst ihren jährlichen „Weltverfolgungsbericht“. Darin wirft sie der Türkei religiöse Intoleranz vor. Kritiker betrachten jedoch die Arbeit der Organisation hinsichtlich Objektivität und Transparenz der Erhebungsgrundlagen als durchaus zweifelhaft.

. In Istanbul gibt es insgesamt 35 armenische Kirchen und Kapellen. (Foto: IHA)
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Ein Kommentar von Thorsten Reuters

Vor einigen Tagen veröffentlichte die christlich-evangelikale Organisation „Open Doors“ ihren jährlichen „Weltverfolgungsindex“. In dem Bericht will die Vereinigung einen Überblick über die weltweite Verfolgung von Christen geben – und Aussagen wie jene, dass „100 Millionen verfolgter Christen“ weltweit diese zur „weltweit am stärksten verfolgten Glaubensgruppe“ machen, finden immer wieder gerne den Weg in die Schlagzeilen der Medien.

Ohne Zweifel gibt es eine Reihe von Staaten, in denen es entweder staatliche Repression, Übergriffe vonseiten organisierter nichtstaatlicher Akteure oder eine systematische Diskriminierung gegen Menschen gibt, die ausschließlich oder vorwiegend durch deren Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche oder Gemeinschaft oder christlicher Glaubensüberzeugung herrührt.

Dass es in einer steinzeitkommunistischen Diktatur wie Nordkorea seit deren Bestehen eine brutale Verfolgung von Christen gibt und dass Regime in seiner Willkür gegen vermeintliche oder tatsächliche Staatsfeinde keinerlei Grenzen kennt, liegt auf der Hand, ebenso, dass eine Ausweitung des Machtbereiches der Terrormiliz IS regelmäßig mit Massakern, Entrechtung und Unterdrückung Andersdenkender und Andersgläubiger verbunden ist.

Die Aussagen, dass sich die Zahl ermordeter Christen im Jahre 2015 weltweit von 4344 auf 7100 deutlich erhöht und jene der Angriffe auf Kirchen sogar verdoppelt habe, dürften mit Blick auf die Intensivierung zahlreicher konfessionell aufgeladener Bürgerkriege wie jenen im Irak, in Syrien, in Libyen oder der Zentralafrikanischen Republik nicht weit von der Realität entfernt sein.

Bei manchen Beobachtern erweckt jedoch die stets mit Nachdruck verfochtene Behauptung, die meistverfolgte religiöse Gruppe der Welt zu sein – und nicht wenige Christen sehen die vermeintliche Tatsache, dass sie die „am meisten Verfolgten“ von allem seien, sogar als Beweis dafür, dass ihr Glaube der einzig richtige wäre – Skepsis. Aus diesem Grund haben einige Kommentatoren in säkularen wie religiösen Medien, aber auch in kirchlichen Einrichtungen selbst Kritik an der Art und Weise geübt, wie Open Doors seine Zahlen ermittelt und wie die Organisation zu der Einschätzung gelangt, 100 Millionen Christen würden weltweit verfolgt und sie wären deshalb die global am meisten verfolgte Glaubensgruppe.

In der Tat bleibt Open Doors eher vage, um nicht zu sagen, recht beliebig, wenn es darum geht, die Bewertungsparamater darzustellen, die der eigenen Einschätzung hinsichtlich des Verfolgungsgrades von Christen in diversen Ländern zugrunde liegen. Entscheidend ist dabei ein aus 96 Fragen bestehender Fragebogen, der von hauseigenen Analysten und Forschern ausgefüllt wird, die allerdings von sich selbst sagen, in stetigem Kontakt zu Einzelpersonen und Gemeinden vor Ort zu stehen.

An Objektivität und Präzision gewinnt die Analyse dadurch am Ende nicht. Obwohl selbst betont christliche Medien wie kath.net im Interview mit Open-Doors-Chef Markus Rode Vorbehalte hinsichtlich der Schwammigkeit anmelden, welche die Definition des Begriffs der „Verfolgung“ aufweist, die dem „Weltverfolgungsindex“ zugrunde liegt, heißt es dazu nur:

„Es steht uns nicht zu, Christen per Definition vorzuschreiben, ob sie erst dann als verfolgt gelten, wenn sie gefoltert oder ins Gefängnis geworfen werden, oder bereits wenn ihre Kinder von Ausbildungs- und Berufschancen bewusst ausgeschlossen werden. Verfolgung hat viele Facetten, die auch von den Christen vor Ort subjektiv, und somit unterschiedlich stark erlebt werden.“

Verfolgung muss dem Staat zuzurechnen sein

Zusätzlich zu diesem stark subjektivierten Zugang zu dem Themenkomplex kennt Open Doors keinerlei Abgrenzung zwischen staatlicher Beschränkung religiöser Rechte und solchen, die dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind. Nur Erstere stellen jedoch Menschenrechtsverletzungen dar. Letztere lediglich dann, wenn der Staat vorsätzlich oder fahrlässig seiner Garantenpflicht für Sicherheit, Ordnung und Rechtsstaatlichkeit nicht nachkommt.

In diesem Sinne stellt es zwar beispielsweise zweifellos einen Akt der Verfolgung dar, wenn der Staat Gläubige auf Grund ihrer religiösen Überzeugung inhaftiert, ihnen den Gottesdienst untersagt, Verbote religiöser Bekleidung in der Öffentlichkeit verhängt, an Schulen in religionsfeindlicher Weise indoktriniert oder Eltern ihre Kinder auf Grund der religiösen Erziehung im Elternhaus weggenommen werden. Auch wäre es dem Staat zuzurechnen, wenn dieser – obwohl er die Mittel und die Wege dazu hätte – organisierte Angriffe auf die Rechtsgüter von Gläubigen oder kirchlichen Einrichtungen vonseiten privater Akteure nicht verhindert.

Dies könnte im Fall des Wütens privater Milizen oder auch im Fall der organisierten Kriminalität der Fall sein. Wenn hingegen jedoch beispielsweise ein früherer Muslim nach einem Übertritt zum Christentum von seiner Familie verstoßen wird, ist das zwar – ebenso wie im umgekehrten Fall – für ihn persönlich bitter, erst recht dann, wenn starke Familien- oder Klanstrukturen lokal starken Einfluss ausüben, aber es ist mit Sicherheit keine Angelegenheit, die in erster Linie einem Staat zuzurechnen wäre. Es soll selbst in Deutschland heute noch dörfliche und familiäre Strukturen geben, in denen Übertritte von einer christlichen Konfession zu einer anderen mit familiärer oder sozialer Ächtung verbunden sind.

Ideologisch bedingtes Geschmäckle

Ein gewisses Geschmäckle hat der Duktus des Berichtes zudem, wenn ein Nebeneinander von islamischer und christlicher Religionsausübung offenbar nicht wirklich vorgesehen ist, da es als „Verfolgung“ angesehen wird, wenn Missionierungsbemühungen nach außen (die in evangelikalen Kreisen oft mit sehr großer Beflissenheit vonstattengehen) auf gesellschaftliche Widerstände stoßen, es aber als Ausdruck eines Rückgangs von Verfolgung betrachtet wird, wenn irgendwo mehr Muslime zum Christentum konvertieren.

Augenscheinlich steht aus Sicht von Open Doors die Möglichkeit zur evangelikalen Missionierung doch sehr stark im Vordergrund bei der Bewertung der Verfolgungsintensität in einem Land, zumal mit Mexiko und Kolumbien auch zwei stark katholisch geprägte Länder aufscheinen, in denen jedoch regional oft sozialer Druck auf Evangelikale vonseiten katholischer Mehrheiten ausgeübt wird. Dies jedoch als „Christenverfolgung“ zu etikettieren, erscheint als durchaus pikant – gibt es doch nicht wenige „bibeltreue“ Gemeinden, die beispielsweise die Katholische Kirche gar nicht als christliche Gemeinschaft anerkennen.

Bezüglich der Türkei, die im „Weltverfolgungsindex“ Rang 45 belegt, wird das Land in vielen Bereichen geradezu als Hort finsterster Unterdrückung des Christentums dargestellt und so ziemlich jeder westliche Narrativ von der vermeintlichen „Islamisierung“ der Türkei durch Präsident Erdoğan bis hin zur These, dass statt des IS nur die PKK bekämpft würde, unkritisch wiedergekaut. Dies alles geschieht ungeachtet der Tatsache, dass die in der Türkei existierenden Beschränkungen und Benachteiligungen hinsichtlich der Ausübung christlicher Religion allesamt aus der Ära vor 2002 herrühren und seit dem Amtsantritt Erdoğans – wie etwa die katholische „Tagespost“ bemerkte – die Freiräume für Christen gewachsen seien, Gebäude restauriert wurden, Seminare wiedereröffnet und beschlagnahmte Güter zurückgegeben wurden.

Open Doors „spielt Religionen gegeneinander aus“

Dass Open Doors sein gemeinnütziges Engagement und auch seine Arbeit mit Blick auf die Verteidigung religiöser Rechte auf Christen beschränkt, ist zwar das gute Recht dieses Vereins. Es stellt sich dennoch die Frage, ob zum einen Schwanzvergleiche in Bereichen wie der Betroffenheit durch staatliche Unterdrückung wirklich sinnvoll sind, um berechtigte Anliegen wie die Verteidigung religiöser Rechte tatsächlich voranzubringen.

Insbesondere die zunehmenden Erscheinungsformen säkularer Intoleranz in westlichen Staaten, vor allem in Europa, die sich am Ende gegen alle abrahamitischen Religionen gleichermaßen richten, sollte es als nahe liegend erscheinen lassen, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Gerade evangelikale Organisationen fallen jedoch, sobald beispielsweise Muslime im Westen zum Ziel säkularer Intoleranz und antimuslimisch-rassistischer Bestrebungen werden, eher dadurch auf, diese noch zusätzlich anzustacheln als ihnen entgegenzutreten.

Dass eine Zusammenarbeit im Einsatz für religiöse Rechte aufseiten von Open Doors möglicherweise gar nicht gewünscht sein könnte, mutmaßt unter anderem der Nürnberger Theologe und Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats Heiner Bielefeld. „Ich habe große Zweifel daran, dass diese Zahlen solide sind“, sagte dieser im Jahr 2012 über den „Weltverfolgungsindex“ von Open Doors. Er warf der Organisation vor, vorzugsweise den Islam für die Diskriminierung von Christen verantwortlich zu machen und auf diese Weise „Religionen gegeneinander auszuspielen“.

 

 

 

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