Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Der ehemalige amerikanische Botschafter Daniel B. Shapiro hat in der Internetausgabe von Haaretz (Why the Khashoggi Murder Is a Disaster for Israel) eine nüchterne und, wie mir scheint, in aller Knappheit völlig zutreffende Analyse der Folgen der Kashoggiaffäre gegeben. Der Hergang der Ereignisse im saudiarabischen Konsulat in Istanbul ist inzwischen hinreichend klar. Es bleibt abzuwarten, ob, wann und inwieweit die türkischen Ermittlungsbehörden weitere Details mitteilen.
Die Beziehungen der Türkei mit Saudi-Arabien sind derzeit gespannt, aber auch nicht unbedingt feindlich. Die Türkei hat bisher und wird auch in Zukunft ihre Karten somit geschickt ausspielen, um die Saudis im geeignet erscheinenden Maße unter Druck zu setzen. Letztendlich gilt dies für alle anderen Akteure ebenfalls, die Alliierten wie die Feinde der Saudis: jeder wird versuchen, die Affäre entweder zu seinen Gunsten zu nutzen oder den Schaden zu begrenzen.
Um Schadensbegrenzung geht es nicht nur für für Saudi-Arabiens Alliierte, darum geht es zunächst auch für die Saudis. Der Versuch, dies durch eine Erklärung des Todes von Kashoggi zu erreichen, die besser für ein Satiresendung als eine staatliche Nachrichtenagentur geeignet wäre, zeigt, wie dilettantisch die Saudis agieren. Schon der Versuch, zunächst alles abzustreiten, von dem man hätte wissen können, dass er angesichts eines so gut funktionierenden Geheimdienstes wie des türkischen nicht aufrechterhalten werden könnte, war naiv. Umso dilettantischer war aber der Tathergang selbst.
Missliebige Personen, wenn nötig auch auf dem Territorium anderer souveräner Staaten zu töten, ist gängige Praxis Israels: sog. Terroristen, iranische Atomwissenschaftler. Das ist nichts Neues. Einen besseren Geheimdienst als den Israels gibt es nicht.
Da wird das elegant mit Minimalaufwand erledigt. Putin werden derartige Praktiken in die Schuhe geschoben, obwohl – wie gerade in der laufenden Skripal-Affäre – nichts bewiesen ist. Also wenn er’s war, auch elegant gemacht!
Die Tötung Osama bin Ladens auf dem Territorium Pakistans durch die USA ist schon weniger elegant, aber das war ein beabsichtigter Werbegag; es gibt Vermutungen, dass der pakistanische Geheimdienst bin Laden längst festgesetzt hatte und den USA den Zutritt zu ihm ermöglicht hat: man hätte ihn verhaften und vor Gericht stellen können. Das hat man wohlweislich nicht getan. Eine saubere gerichtliche Untersuchung hätte unbequeme Details zu 9/11 zutage fördern können, und so hält man ja auch den angeblich Hauptverantwortlichen, Khalid Sheik Mohammed, bis heute lieber in Guantanamo fest, als ihn vor Gericht zu stellen.
Es steht die Vermutung im Raum, der Tod Kashoggis könnte etwas damit zu tun haben, dass er durch seine enge frühere Verbindung zum saudischen Geheimdienst, besonders zu dessen langjährigen Chef, Turki al Faisal, der kurz vor 9/11 nach 23 Jahren an der Spitze zurücktrat, brisante Details kannte.
Dann würden die Hintergründe seines Todes die USA direkt involvieren. Das können natürlich nur Vermutungen bleiben. Derartige Vorgänge werden, solange sie aktuell sind, niemals an die Öffentlichkeit gelangen – wie die volle Wahrheit zu 9/11 sicher unsere Generation nie erfahren wird. Darüber weiter zu spekulieren, ist somit sinnlos.
Kommen wir also zur Politik Saudi-Arabiens, den Reaktionen und den möglichen Folgen der Kashoggi-Affäre zurück! Die Ermordung Kashoggis ist nur ein Mord in einer wohlbekannten Serie von Säuberungen des saudischen Establishments und des saudischen Klerus‘ von Gegnern des notorischen De-facto-Herrschers Mohammed bin Salman. Das interessiert im Ausland natürlich keinen; wenn man saudische Kleriker umbringt, wird das westliche Staaten nur freuen und das Vertrauen in Salmans Wille und Fähigkeit zur Reform steigern.
Diese ,Säuberung‘ geht unverändert weiter: man hat Sündenböcke für die Kashoggiaffäre gefunden, Personen entlassen, eine mutmaßlich am Mord Kashoggis beteiligte Person starb ,zufällig‘ bereits bei einem Verkehrsunfall (bemerkenswert elegant für saudische Verhältnisse).
Die Art der Ausführung des Mordes an Kashoggis freilich ist – wenn sie nicht so grauenhaft für die Betroffenen wäre – eigentlich der größte Witz im Agieren der Saudis bisher. Um eine missliebige Person im Ausland zu beseitigen, braucht Saudi-Arabien ein Spezialteam von fünfzehn Mann samt Gerichtsmediziner mit Knochensäge und Ohrstöpseln! Eine andere Tötungsmethode als Kopf-ab scheint Saudis nicht einzufallen.
Wie sie ja auch zur Bedienung ihrer High-tech-Waffen fremder Hilfe bedürfen. Der Kashoggi-Mord ist nun freilich nur die Krönung einer ganzen Serie von gravierenden Fehlern der saudischen Politik seit der Machtübernahme von Salman. Der Jemenkrieg bringt nur Tote und langsam auch eine immer saudifeindlichere öffentliche Meinung, aber die Saudis kommen keinen Schritt weiter.
Die Blockade Katars schlug ebenso fehl. Das war vorauszusehen; ich jedenfalls war von Anfang an sicher, es würde fehlschlagen. Wenn ich das sehen kann, wie kann dann professionelle Politik es nicht sehen? Aber über die politische Kompetenz eines 33-jährigen Salman muss man wohl kein Wort verlieren. Auch die Entführung eines amtierenden Premierministers eines anderen Landes kann man nur als Eselei bezeichnen.
Der Kashoggimord setzt dem Ganzen die Krone auf. Auf solch eine Politik passt das Wort – von wem es auch stammt – über die Hinrichtung von Louis Antoine de Bourbon auf Befehl Napoleons: ,es ist schlimmer als ein Verbrechen, es ist ein Fehler‘ (dass es im Falle Napoleons einer war ,würde ich bezweifeln). Salman für einen Mann zu halten, der das dringend reformbedürftige Saudi-Arabien ernsthaft in eine sinnvolle Richtung reformieren könnte, wäre so naiv, dass ich nicht glaube, irgendein ernstzunehmender Politiker im Westen, besonders den USA hat jemals so etwas geglaubt.
Salman war und ist für Israel und radikale Vertreter einer US-Hegemonie ein bequemes Hilfsobjekt, ihre Ziele zu erreichen: ein ehrgeiziger kleiner Junge, den man mit der Aussicht auf Befriedigung seiner kindischen Machtgelüste beliebig manipulieren und – bevor er seine Eseleien beging – auch gut als jungen Reformer verkaufen konnte. Mit ihm glaubte man, Saudi-Arabien endgültig in der Tasche zu haben. Für diejenigen, die ganz auf Salman gesetzt hatten – Israel ganz besonders-, ist der jetzt entstandene Schaden am größten. Gewiss wird man alles tun, um ihn trotz allem zu halten (um zu sehen, wie weit man in der Argumentation zu gehen bereit ist, muss man nur die Antwort von Tzvia Greenfeld vom Tag danach lesen: Why We Should Go Easy on the Saudi Crown Prince
Dasselbe gilt gewiss für den saudischen König, die Frage ist, ob es möglich sein wird. Lange haben die Alliierten der USA sich mit größter Vorsicht geäußert.
Seitdem jedoch die lächerliche Erklärung der Saudis auf dem Tisch liegt, haben etwa Deutschland und Großbritannien, die EU eine etwas deutlichere Sprache gewählt, als zuvor, wo man noch meinte, man müsse das Ergebnis der saudisch-türkischen Ermittlungen abwarten, um dann, wenn der Tathergang zweifelsfrei geklärt sei, mit den Freunden beraten, oder auch einfach erklärte, Saudi-Arabien sei ein wichtiger Partner – trotz allem. In den USA gab es schon vorher laute Stimmen, die den Prinzen die Verantwortung für eine Tat zuschreiben, die die Glaubwürdigkeit der USA, falls Sie untätig blieben, untergraben würde, und die offen seine Ablösung fordern.
Wie groß der Druck auf Salman noch werden wird, wie sich der Machtkampf, der sich im saudischen Königshaus abspielt, am Ende ausgeht, kann man von außen nicht beurteilen. Gewiss ist, die Position Salmans ist angeschlagen. Die Position Saudi – Arabiens ist angeschlagen. Die Gegner der Saudis reiben sich die Hände, warten ab: die Türkei hat einige Trümpfe in der Hand.
Letztlich geht es in der Bewältigung der Kashoggi-Affäre allen Parteien um ihre politischen Interessen. Sich über die Hypokrisie des Westens aufzuregen, der bei Putin und Erdogan immer davon ausgeht: schuldig bis zum Beweis des Gegenteils, die Saudis hingegen, solange man eben glaubt, es sei möglich, deckt, ist naiv: welcher Mensch, der bei Verstand ist, wird von westlichen Staaten etwas anderes erwarten?
Die Frage, die sich stellt, ist nur die: wird sich ein Mann wie Mohammed bin Salman halten, obwohl er ganz offensichtlich nichts anderes tun kann, als den Interessen seines eigenen Landes auf die groteskeste Art zu schaden? Er schadet freilich so nicht nur den Interessen seines Landes, er schadet auch der Clique, die es regiert und die Macht behalten will. Er schadet letztendlich auch denjenigen, die Saudi -Arabien und seine dem Westen verbundene Clique für ihre Zwecke benutzen.
Letzten Endes ist ein instabiles, unberechenbares Saudi-Arabien im Interesse von keinem der Akteure. Die Alliierten der Saudis brauchen Stabilität, um ihre Ziele langfristig zu erreichen, auch der Gegenseite wird, sofern sie nüchtern und pragmatisch denkt, Instabilität und Unberechenbarkeit nicht behagen: man hat es leichter, wenn man mit einem Gegner zu tun hat, bei dem man weiß, woran man ist. Insbesondere dann, wenn man selbst an Stabilität interessiert ist. Stabilität erreicht man durch Kompromisse, erfolgreiche Politik ist eine Politik des Kompromisses.
Die Gegenseite des Westens, ob Russland, Türkei oder Iran ist ohne Zweifel an Stabilität interessiert und strebt nach Kompromiss und Ausgleich. Jeder dieser Akteure kann durch Konfrontation nur verlieren, durch Erhalt des jetzigen Status-quo seine Macht sichern. Es kommt nur darauf an, ob 1) sich im Westen die Vernunft durchsetzt, dass nur ein stabiles und professionell regiertes Saudi-Arabien ein langfristig nützlicher Partner sein kann, und man deshalb auf Maximaldruck umschaltet. 2) ob das verrottete saudische Establishment noch einmal die Kraft aufbringt, einen Mann, der seinen vitalen Interessen an Machterhalt eminent schadet, zu beseitigen.
Was zeigt dieses Szenario also? Es zeigt überdeutlich etwas, was letzten Endes immer wieder in der Politik, der Geschichte deutlich wird: in der Politik braucht man zunächst einmal, um erfolgreiche Politik zu machen, die Moral nicht zu bemühen: es genügt, Nüchternheit und Kalkül walten zu lassen. Dummheit schadet, rein realpolitisch betrachtet, jeder Seite, schadet allen, nüchternes Kalkül – auch des Gegners – ermöglicht allen Parteien nachhaltigen Erfolg. Das ist aber nicht alles.
Nüchternheit und Pragmatik implizieren Mäßigung und Augenmaß, implizieren die Fähigkeit zum Kompromiss. Erfolgreiche Politik zielt letztendlich auf Stabilität, die eben nur durch auf nüchternem Kalkül basierende Kompromisse erreicht werden kann. Stabilität bedeutet Verzicht auf unnötige Gewalt, bedeutet letztendlich Streben nach Frieden.
Das ist zugleich ein hoher moralischer Wert. Eine Politik roher Gewalt, eine Politik der Macht nur um der Macht willen, ohne anderes Ziel, ohne einen unvermeidlicherweise letztendlich ,moralischen‘ Zweck kann nie erfolgreich sein – ebenso wie es unumgänglich ist, sich im politischen Geschäft die Hände auch schmutzig zu machen, je mächtiger man ist, desto mehr. Das ist eine Lehre aus der Geschichte, die schon der antike Geschichtsschreiber Thukydides in seinem Werk formuliert hat.
Diese Lehre haben sich erfolgreiche Staatsmänner zu Herzen genommen, selbst diejenigen, die zugleich auch Massenmörder waren oder sind, wie etwa Stalin oder Henry Kissinger, die beide – was auch immer sie verbrochen haben – im Großen immer eine Politik des Augenmaßes verfolgt haben und deshalb mit all ihren Verbrechen erfolgreich waren.
Der Kashoggi-Fall ist somit ein Prüfstein für die politische Vernunft. Er ist ein Prüfstein, ob es heute auf allen Seiten insgesamt genügend Vernunft gibt oder nicht. Das gilt letzen Endes für alle aktuellen Konflikte. Der Kashoggifall demonstriert das unter dem Vergrößerungsglas im Kleinen, und im Kleinen könnte es leichter sein, dass die Vernunft sich durchsetzt.
Wenn Salman über diese Affäre stolpert, hat sie letztendlich etwas Positives bewirkt.
Ich habe die Laufbahn Jamal Kashoggis nicht aufmerksam genug verfolgt, um ein qualifiziertes Urteil über ihn als Person abzugeben. Sicherlich war er aber eine Persönlichkeit mit einer ernstzunehmenden politischen Vision – ob man sie teilt oder nicht. Sicherlich war er ein (saudi)arabischer Patriot. Wenn seine grauenhafte, unverzeihliche Ermordung etwas zum Guten für sein Land bewirken sollte, so war sein Tod auch in Jamal Kashoggis Sinne nicht umsonst.
Zum Thema
– Fall Khashoggi –
Interview: Khashoggi sah in der Türkei ein neues Osmanisches Reich
Jamal Khashoggi, der Berichten zufolge im saudischen Konsulat in Istanbul getötet wurde, betrachtete die Türkei als ein Schlüsselland für einen neuen Nahen Osten.
Interview: Khashoggi sah in der Türkei ein neues Osmanisches Reich
Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden
Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung
Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.
Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.
Ausgebildet in Freiburg und Oxford. Stipendiat der DFG und der Alexander von Humboldt -Stiftung. Gerhard Hess Preis der DFG.
Zahlreiche Publikationen (ca. 40 Bücher, u.a. Brill’s Companion to Propertius, Brill’s Companion to Horace) im Bereich der antiken Philosophie und Literatur, der Byzantinistik, Neogräzistik, modernen Literatur und Philosophie, Ethik und Politik. Zahlreiche Versübersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen, Neugriechischen, Georgischen, Japanischen und Chinesischen.
Lehrt regelmäßig in Italien, zahlreiche Gastaufenthalte in der Schweiz, Polen, Georgien, Indonesien, Iran, Seoul, Tokyo und vielen chinesischen Universitäten. Herausgeber mehrerer Buchreihen, im wissenschaftlichen Beirat zahlreicher wissenschaftlichen Zeitschriften.