Von Peter Z. Ziegler
Basel (BZZ) – Im NSU-Komplex sind offenbar erneut Daten vernichtet worden. Das berichtete zunächst Dirk Laabs in der Welt. Inzwischen ist der Prozess für den Zeitungsleser so unübersichtlich geworden, dass die ZEIT sich dazu entschlossen hat in einem „NSU-Prozess-Blog“ nahezu täglich über die neusten Entwicklungen im Gerichtsaal zu berichten. Der ist im Internet gebührenfrei abrufbar. Wenigstens die Presse soll die Ehre des Rechtsstaats Deutschland retten.
Die Bundesanwaltschaft, verantwortlich für die Anklage im Prozess, ließ laut Dirk Laabs im November 2014 trotz eines Vernichtungsverbots Notizbücher aus dem Besitz des Zeugen Jan W. schreddern, die 2001 bei diesem sichergestellt worden waren. W. soll den Auftrag gehabt haben, dem NSU eine Waffe zu besorgen. In den Notizbüchern waren auch Kontakte verzeichnet – ob darin womöglich unentdeckte Verbindungen in das NSU-Netzwerk steckten, lässt sich nun nicht mehr nachprüfen.
Dem Bundeskriminalamt wurden die Bücher nie vorgelegt, „obwohl sie eine Phase betrafen, in der der NSU bereits aktiv war“. Die Schredderaktion kam heraus, weil der Untersuchungsausschuss des Bundestags die Beweisstücke kürzlich bei der Karlsruher Behörde angefordert hatte.
Vertreter der Nebenklage wollen die Panne bei der Bundesanwaltschaft nun strafrechtlich aufklären lassen: Sie erstatteten in Karlsruhe Anzeige gegen zwei Vertreter des Generalbundesanwalts und gegen Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamts, wie Spiegel Online berichtet. Die Anwälte Mehmet Daimagüler und Seda Basay-Yildiz, Vertreter dreier Opferfamilien, halten möglicherweise die Straftatbestände der versuchten oder vollendeten Strafvereitelung im Amt sowie der Urkundenunterdrückung für erfüllt.
In der Anzeige heißt es dem Bericht zufolge, die Unterlagen „hätten näheren Aufschluss zu den Kontakten des Beschuldigten W. zu den Mitgliedern des NSU, namentlich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sowie anderen Personen, die das Netzwerk unterstützt haben, geben können“. Nach der Schredderaktion hält Anwalt Daimagüler die Glaubwürdigkeit der Anklagebehörde für gefährdet. Er fragt, wie die Bundesanwaltschaft bei Sicherheitsbehörden wie dem Verfassungsschutz Akten anfordern könne, „wenn sie es mit der Aktensicherung möglicherweise selbst nicht so genau nimmt“.
Mit der Aktion wurde „mögliches NSU-Ermittlungsmaterial beseitigt“, heißt es in der taz. „Sollten die Vorwürfe zutreffen, muss man leider fragen: Sind manche Beamte der Bundesanwaltschaft noch Teil der Lösung oder schon Teil des Problems?“, so Anwalt Daimagüler.
Der „NSU-Prozess-Blog“ der ZEIT fasst die wesentlichen Berichte der Medien zum Prozess zusammen. Er ist jetzt noch lesenswerter geworden.
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