Ankara – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte in einer Rede, dass die internationale Gemeinschaft mit einer Migrationskrise konfrontiert ist, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben habe.
„Heute gibt es fast 260 Millionen Migranten, mehr als 68 Millionen Vertriebene und über 25 Millionen Flüchtlinge auf der Welt. Diese Zahl steigt von Tag zu Tag, und zwar nicht nur wegen wirtschaftlicher Faktoren, sondern auch aufgrund von Hungersnöten, Dürren, Bürgerkriegen, Terroranschlägen und politischen Unsicherheiten“, sagte Erdoğan bei einem Abendessen im Çırağan-Palast.
„Es ist die Verzweiflung, die das Mittelmeer in einen Flüchtlingsfriedhof verwandelt hat“
„Wir haben niemanden, der aus Syrien, wo die Konflikte seit 2011 andauern, gekommen ist und in der Türkei Schutz gesucht hat, zur Rückkehr gezwungen“, sagte der türkische Staatschef weiter und fügte hinzu:
„Wir haben die Unschuldigen, die sich an uns gewandt haben, nicht der Gnade mörderischer Organisationen wie der DAESH/IS und der PKK oder des Regimes* überlassen, das Staatsterror gegen seine eigenen Bürger verübt. Wir haben alle mit offenen Armen aufgenommen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Sprache oder ihrer Religion, und haben ihnen einen schützenden Unterschlupf geboten.“
*Assad-Regime, Anm. d. Red.
Weiter betonte Erdoğan, dass die Formel der sicheren Zone in Nordsyrien, die er nach eigenen Angaben bei Ausbruch der Flüchtlingskrise vorgeschlagen hatte, die praktischste Lösung für die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat sei:
„Damit diese Formel umsetzbar ist, sollte die sichere Zone von der Türkei kontrolliert werden, wobei andere Länder logistische Unterstützung leisten. Wir werden diese Formel bald vor Ort umsetzen. Wir haben die notwendigen Vorbereitungen entlang unserer Grenzlinie getroffen und unsere Pläne und Strategien beschlossen. Wir haben diese Frage auch letzte Woche in Sotschi mit Herrn Putin und Herrn Rouhani eingehend erörtert. Ich glaube, dass auch unsere europäischen Freunde unserem Land die notwendige Unterstützung bei der Einrichtung der Sicherheitszone geben werden.“
Sicherheitszone in Nordsyrien
Erdogan legte seine Absichten erstmals 2013 offen und legte dann 2019 vor den Vereinten Nationen eine detaillierte Karte über eine Sicherheitszone für Zivilisten vor. Sein Plan wurde von den Vereinigten Staaten, Europa und Russland jedoch abgelehnt.
Ankara gelang es dennoch, durch verschiedene politischen und militärischen Operationen eine gewisse Kontrolle in dem Gebiet zu erlangen. Dies wurde u. a. durch vier Militäroperationen erreicht: mit dem Euphrates Shield in Jarablus im Norden Aleppos im Jahre 2016, mit der Militäroffensive Olive Branch in Afrin im Umland von Aleppo im Jahre 2018, mit Peace Spring in Tal Abyad und Ras al-Ain östlich des Euphrat Ende 2019 und mit der Errichtung eines militärischen Gürtels namens Spring Shield um die Region Idlib im Frühjahr 2020.
Dieser lange Prozess erforderte auch eine Reihe von Vereinbarungen: Ankara, Moskau und Teheran unterzeichneten u. a. 2017 in Astana ein Abkommen über Idlib; dann unterzeichnete Ankara 2018 und 2020 eine Reihe von Vereinbarungen mit Moskau; 2018 unterzeichnete Ankara ein Abkommen mit Washington über die „Roadmap“ für die Region Manbij und im Oktober 2019 ein weiteres über die Region des Friedensschildes.
Diese Vereinbarungen ermöglichten es der Türkei, die IS und die PKK zurückzudrängen und ihre Einflusszonen einzurichten, die etwa 10 Prozent der syrischen Fläche ausmachen, also etwa doppelt so groß wie der Libanon.
Migrationsabkommen EU-Türkei
- Rückführung von Migranten: Asylsuchende, die die Türkei als Transitland nutzen und auf den griechischen Inseln ankommen, sollen in die Türkei zurückgeführt werden.
- 1:1-Mechanismus: Für jeden Syrer, der aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt wird, soll ein anderer Syrer aus der Türkei in die EU aufgenommen werden.
- Finanzielle Unterstützung: Die EU hat zugesagt, 6 Milliarden Euro für die Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei bereitzustellen (3 Milliarden für 2016-2017 und weitere 3 Milliarden für 2018-2019).
- Visaliberalisierung: Es war geplant, die Visumpflicht für türkische Staatsbürger in EU-Ländern aufzuheben, jedoch wurde dies aufgrund politischer Spannungen und mangelnder Erfüllung der Kriterien zurückgestellt.
- Beitrittsverhandlungen: Eine Wiederbelebung der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU wurde in Aussicht gestellt.