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Kommentar
Polen schränkt Sprachunterricht für deutsche Minderheit ein

Die polnische Regierung erachtete es für nötig, den Deutschen per Verordnung beim muttersprachlichen Unterricht die Wochenstunden drastisch zu kürzen.

(Symbolfoto: pixa)
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Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Stellen Sie sich einmal vor: Ein AKP-Innenpolitiker fordert von Süleyman Soylu zu Unterstützung von Türken in Deutschland auf. Der AKP-Politiker würde das als „identitätsbedrohend“ bezeichnen, wenn in Deutschland die Muttersprache oder der Religionsunterricht der türkischen Minderheit eingeschränkt werde.

Die moralische Überlegenheit

Nun, dieses Gedankenspiel wird überflüssig, weil es hierzu ein Paradebeispiel gibt. Der SPIEGEL berichtet unter dem Titel „CDU-Innenpolitiker fordert Faeser zu Unterstützung von Deutschen in Polen auf“, dass der CDU-Politiker Christoph de Vries die Befürchtung geäußert hat, dass die deutschen Muttersprachler in Polen um ihre Identität bangen müssen.

Die polnische Regierung erachtete es für nötig, den Deutschen per Verordnung beim muttersprachlichen Unterricht die Wochenstunden drastisch zu kürzen. Für andere Minderheiten in Polen gelte das aber nicht. Jetzt will de Vries, dass die Bundesregierung handelt und sogar den Polen in Deutschland dafür entgegenkommt. Sprich, man soll mit bereitgestellten Sonderfonds etwaigen „zusätzlichen Mehrbedarf“ an polnischem Muttersprachunterricht in den Bundesländern zur Verfügung stellen, damit die Polen wiederum der deutschen Minderheit ihre gewohnten Wochenstunden bewilligt.

Offensichtlich fühlen sich die polnischen Muttersprachler in Deutschland auch „identitätsbedroht“, wenn nun de Vries das in Aussicht stellt. Was fühlen denn dann die türkischen Muttersprachler, die nicht nur Sprechverbote auf dem Pausenhof aufgebrummt bekommen, sondern für jede türkische Silbe € 0,10- berappen sollen? Von der Kriminalisierung ihrer Eltern, Großeltern oder Geschwister sprechen wir erst gar nicht, bei der sich besonders Christoph de Vries ständig zum Besten gibt.

Moralisch unterbelichtet

Ein russischer Frachter, der die Bosporus-Meerenge passieren wollte, wurde von türkischen Behörden festgesetzt. Offensichtlich handelt es sich beim Frachtgut um ukrainisches Getreide. Die Ukraine hatte zuvor die Türkei darauf gedrängt, das Schiff zu beschlagnahmen, weil das Getreide von Russland gestohlen worden sei.

Der WELT-Editor Daniel-Dylan Böhmer meint, man müsse die „natürliche Grundspannung“ zwischen Russland und der Türkei für den Westen ummünzen, weil Erdogan eher auf „Freunde“ angewiesen sei, die finanzkräftig sind, um die wirtschaftliche Lage des Landes wieder in Lot zu bringen, als Putin, der ja sowieso bald tot gequatscht wird. Sorry, aber die Grundspannung hat die Türkei seit ihrer Gründung auch mit dem „Westen“. Aber Russland ist ein viel angenehmerer Widersacher als der Westen, weil Russland die Moral nicht für sich beansprucht.

Als der Westen noch in Weihnachtsstimmung war und auf Schneefall hoffte, beschäftigte sich Erdogan lange Zeit mit russischen Söldnern und dem libyschen Generalissimus Haftar, die die von der UN-anerkannte libysche Einheitsregierung bekämpften.

Als die Deutschen im Sommerloch waren, begann der Karabach-Krieg von 2020. Da flogen türkische Drohnen mit aserbaidschanischem Hoheitszeichen Angriffe auf armenische Separatisten und bedrohten die russische Sicherheitsarchitektur der Region. Da hatten die Deutschen wieder etwas zum Stänkern.
Und nun soll die Türkei dafür haftbar gemacht werden, wenn Moskau von Ankara nicht adäquat genug sanktioniert wird? Wenn das Erdgas in Deutschland zur Neige geht, hat man offenbar schon ein Sündenbock parat!

Was hat denn Berlin bislang getan, um nach den hehren Wünschen von Selenskyj Sanktionen vollumfänglich umzusetzen? Muss man indessen Berlin dafür haftbar machen, weil sie bislang 5.000 Stahlhelme, 10.000 Verbandsmulden und jetzt eine handvoll Artillerie geliefert hat und modernere Waffen die Ukraine für teure Euros selbst einkaufen müssen?

Sollte Deutschland abgestraft werden, weil sie in Libyen nicht der UN-anerkannten Regierung, sondern Haftar die Stiefel leckte? Sollte Berlin dafür geradestehen, was sie sich im jugoslawischen Bürgerkrieg, ja sogar in Syrien geleistet hat? Was machen wir eigentlich mit einer Bundesregierung, die von Moskau noch Erdgas geliefert bekommt?

Deutschland ist doch schon gestraft genug, zumindest bald, wenn die ersten Industrieanlagen für lange Zeit abgestellt werden, weil der Gasvorrat bereits jetzt einen kritischen Punkt erreicht hat. Dann erheben vielleicht jetzt die Bundesbürger den erhabenen moralischen Finger gen Berlin, statt von ihr ständig moralisch getäuscht zu werden.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar


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