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Depression: Die Angst vor der Diagnose

"Stell dich nicht so an, du hast es doch gut!" - Was für Außenstehende oft wie ein privilegierter Gesamtzustand aussieht, etwa ein sicheres Auskommen, eine feste Partnerschaft oder eine stabile Gesundheit, schützt nicht selbstverständlich vor jeglichem Leiden.

(Symbolfoto: © Dr Karsten Wolf)
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Erftstadt – „Stell dich nicht so an, du hast es doch gut!“ – Was für Außenstehende oft wie ein privilegierter Gesamtzustand aussieht, etwa ein sicheres Auskommen, eine feste Partnerschaft oder eine stabile Gesundheit, schützt nicht selbstverständlich vor jeglichem Leiden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der aktuellen Pandemie ist, dass man Leid nicht gegen Leid stellen darf und das persönliche Empfinden jedes Individuums entscheidend ist.

„Viel zu häufig höre ich von meinen Patienten, dass sie dachten, es gehe ihnen nicht schlecht genug für eine Depression – nur, damit sie ein halbes Jahr später mit einer schweren Depression in der stationären Behandlung ankommen“, sagt Dr. Karsten Wolf, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Leiter der privaten Akutklinik Schloss Gracht. „Dabei ist die Früherkennung bei psychischen Erkrankungen sehr wichtig und erleichtert den Heilungsweg enorm.“

Legitimiertes Leiden – der Grund muss gut genug sein

Weshalb fällt es vielen Betroffenen so schwer, das eigene Leiden richtig einzuschätzen und anzuerkennen? „Wir müssen aufhören, unser seelisches Leid vor uns selbst durch äußere Faktoren legitimieren zu wollen“, fordert Dr. Karsten Wolf. „Natürlich gibt es viele Fälle, in denen eine Depression durch äußere Trigger begünstigt wird – etwa durch ein Trauma oder durch Trauer. Allerdings gibt es ebenso viele Fälle, bei denen sie sich scheinbar über Nacht einstellt und es keine offensichtlichen Gründe in den Lebensumständen gibt.“ Es ist wichtig, die Depression als Krankheit zu verstehen, für die es viele verschiedene Gründe, aber kein Verschulden gibt.

Für Betroffene kann es schwer sein, sich selbst und anderen gegenüber die Erkrankung einzugestehen, weil sie damit „echt“ wird, ein Gesicht bekommt, und häufig ein Eingeständnis vermeintlicher Schwäche damit einhergeht. „Die Angst vor dem Stigma spielt für viele Depressive eine große Rolle“, sagt Dr. Karsten Wolf. „Während der Burnout beispielsweise zwar für Sorge und Betroffenheit, aber häufig auch für unterschwellige Bewunderung für den fleißigen, gestürzten Helden sorgt, stoßen Depressive zu häufig auf betretenes Schweigen und Verständnislosigkeit.“

Ist das nur ein Tief oder schon eine Depression?

Das Zögern der Betroffenen, sich Hilfe und eine professionelle Diagnose zu holen, hängt neben der Angst vor Stigmatisierung an vielen weiteren Faktoren. „In ganz schweren Fällen schafft der Patient es schlicht nicht mehr eigenständig, das Prozedere zu durchlaufen – ihm fehlen Kraft, Energie, Sinn und Antrieb“, erklärt der Facharzt. „Andersherum kann es bei leichteren Erkrankungen auch an der Unsicherheit liegen, ob der eigene Zustand ernst genug ist.“

Stimmungstief, Krise, Depression – die Grenzen sind fließend, und eine Unterscheidung ist für Betroffene und deren Angehörige häufig nicht leicht. Grundsätzlich gilt: Es ist nie zu früh. „Je früher ein Patient bei uns Psychiatern ankommt, desto glücklicher sind wir und desto einfacher ist der Weg zur Heilung“, sagt Dr. Karsten Wolf. Neben den gesellschaftlichen Hürden wie der Stigmatisierung stehen einer frühzeitigen Erkennung häufig auch die Grenzen des Gesundheitssystems im Weg. Seriöse Selbsttests für Depressionen und andere psychische Leiden können ein Baustein sein, um diese Lücke zu schließen.

Welche Hilfe können Angehörige leisten?

Die Nähe zu vertrauten Personen spielt für mutmaßlich Depressive eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur Diagnose. „Man sollte sich unbedingt jemandem anvertrauen und die Stille durchbrechen – ein Gespräch kann Linderung bringen, oder aber Klarheit über die Schwere des Zustandes schaffen“, erklärt Dr. Karsten Wolf. „Wer in einer Krise steckt und seine Sorgen einem anderen Menschen anvertraut, bemerkt meist schon durch das Gespräch einen heilsamen Effekt. Für Depressive gilt das eher nicht – die tiefe Herabgestimmtheit ist meist nachhaltiger.“ Der ‚perfekte Angehörige‘ eines Depressiven würde in seinen Augen diese Beobachtung nun widerspiegeln, die Kommunikation weiterführen und ihn ermutigen, den Hausarzt aufzusuchen oder diesen gar dabei begleiten.

„Leider fehlt dem Umfeld häufig die nötige Empathie – das liegt auch daran, dass die Depression ein Leidenszustand ist, den psychisch gesunde Menschen qualitativ nicht erfassen können“, erklärt der Psychiater. „Wenn der Partner dagegen beispielsweise eine Kiefer-OP durchmacht, müssen wir nur einen quantitativen Transfer machen, um Empathie zu zeigen. Wir erinnern uns an das Gefühl von Zahnschmerzen und können uns vorstellen, welches Leid unseren Partner plagt.“ Umso wichtiger ist es im Falle von Depressionen, den Betroffenen möglichst früh mit einem professionellen therapeutischen Umfeld in Kontakt zu bringen.

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