Start Panorama Ausland NEX24-Interview Historiker Murat Derin: Einreiseverbot nach Griechenland verstößt gegen europäische Normen

NEX24-Interview
Historiker Murat Derin: Einreiseverbot nach Griechenland verstößt gegen europäische Normen

Im Interview mit NEX24 kritisiert der Forscher Murat Derin das Einreiseverbot Griechenlands gegen ihn, da es gegen die Meinungs- und Reisefreiheit verstoße und an den Universitäten in der Türkei viele griechische Wissenschaftler lehrten und forschten.

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Im Interview mit NEX24 kritisiert der Forscher Murat Derin das Einreiseverbot Griechenlands gegen ihn, da es gegen die Meinungs- und Reisefreiheit verstoße und an den Universitäten in der Türkei viele griechische Wissenschaftler lehrten und forschten.

Murat Derin wurde 1982 in Ipsala geboren und machte sein Abitur am beruflichen Gymnasium in Keşan. Er arbeitet als Computeranwender an der Trakya-Universität und schloss seinen Master 2018 an der Çanakkale-Universität mit dem Thema „Eine politische Partei in Westthrakien: Die Partei für Freundschaft, Gleichheit und Frieden“ ab. Derin promoviert derzeit im Fachbereich Internationale Beziehungen an der Trakya-Universität in Edirne. Von ihm sind zahlreiche Artikel über die Geschichte und Völker des Balkans erschienen. Der Wissenschaftler ist Vorstandsmitglied des Strategischen Forschungszentrums Rumelien Balkan (RUBASAM).

NEX24: Herr Derin, am vergangenen Samstag wurde Ihnen von Beamten am Grenzübergang Kipi die Einreise nach Griechenland verwehrt. Können Sie noch einmal erläutern, was genau passiert ist?

Murat Derin: Wegen eines Forschungsaufenthalts kam ich am 9. April 2022 etwa gegen 11 Uhr am Grenzübergang Kipi an, um nach Griechenland einzureisen. Nachdem ich eine Weile warten musste, wurde mir von den diensthabenden Polizeibeamten mitgeteilt, dass gegen mich ein Einreiseverbot vorliegt und ich deshalb nicht in ihr Land einreisen dürfe. Als ich fragte, welches Problem vorliege und was der Grund des Einreiseverbots sei, wurde zuerst ‘Wir wissen es nicht’ und später ‘Du wirst den Grund kennen’ geantwortet.

Ich habe eine amtliche Bescheinigung verlangt. Sie haben ein ‘Formular für zurückgewiesene Reisende’ ausgefüllt. Als ich mir das Formular durchgelesen habe, sah ich ein Häkchen beim Kästchen ‘Nationalen Informationssystem’. Von den diensthabenden Polizeibeamten wurde ich zurückgeschickt. Obwohl keine Straftat oder Ermittlungen vorliegen und bei dieser Sache nichts dergleichen verlautbart wurde, bin ich doch sehr überrascht.

NEX24: Sie sind als Wissenschaftler an der Universität von Edirne tätig und beschäftigen sich mit der Geschichte der Westthrakien-Türken, der Geschichte und Kultur der Balkan-Länder. Was haben Sie gedacht, als Ihnen die Einreise verwehrt wurde?

Ich habe meinen Master über die Balkanforschung und Internationale Beziehungen absolviert. Ich mag es, über die Geschichte des Balkans, die Geografie und seine Kultur zu forschen. Fast sämtliche Balkanländer habe ich Dutzende Male besucht und bin begeistert, wenn ich Feldforschung betreiben kann. Griechenland ist ein nationaler und unabhängiger Staat und es kann im eigenen Ermessen Entscheidungen treffen.

Allerdings ist es keine Lösung, einem Akademiker ein Verbot aufzuerlegen. In der Türkei gibt es viele griechische Akademiker. Sie lehren und forschen an unseren Universitäten. In einem Land, das EU-Mitglied ist und als die Wiege der Demokratie betrachtet wird, sollten derartige Verbote nicht erteilt werden. Dieser Gesichtspunkt verstößt gegen die europäischen Normen. Die Meinungs- und Reisefreiheit einschränken zu wollen gehört sich nicht und sollte der Vergangenheit angehören.

Mit Ausnahme von irrtümlichen Fehlern versuchen Akademiker durch objektive Arbeiten wichtige Publikationen hervorzubringen. Auch mein Ziel besteht nicht darin, Unbehagen zwischen Ländern oder Gesellschaften hervorzurufen. Eine solche Absicht hat es nie gegeben. Jedes Land sollte seine Türen für diejenigen öffnen, die wissenschaftliche Forschung betreiben und wenn dieses Land auch noch ein EU-Mitgliedsland ist, sollte es dem eine größere Bedeutung beimessen.

NEX24: Am 15. März 2022 hatten Baufahrzeuge der Stadtverwaltung von Avdira im Dorf Horozlu einen türkisch-muslimischen Friedhof aus osmanischer Zeit zerstört, um auf dem Gelände eine Sportanlage zu errichten. Nach Protesten hat die Stadt Avdira erklärt, dass die Sportanlage an einem anderen Platz gebaut werden soll. Was können Sie als Historiker über die türkischen Friedhöfe in Westthrakien sagen?

Wie auf dem gesamten Balkan gibt es auch in Griechenland sehr viele türkisch-muslimische Friedhöfe. Einer davon ist der Friedhof aus osmanischer Zeit im Dorf Horozlu. Nachdem in diesem Fall die notwendigen Schritte unternommen wurden, hat man den Fehler wieder korrigiert. Wie der Bürgermeister gegenüber den Medien erklärt hat, soll die Begräbnisstätte in seiner ursprünglichen Form wieder errichtet werden. Friedhöfe sind heilige Stätten. Ich denke, es macht keinen Unterschied, welcher Religion es angehört oder wo es sich auf der Welt befindet, es sollte respektiert werden.

NEX24: Sie haben letztes Jahr ein Buch mit dem Titel „Batı Trakya Türklerinin Gür Sesi Dostluk Eşitlik ve Barış Partisi“ („Die lautstarke Stimme der Westthrakien-Türken – Die Partei für Freundschaft, Gleichheit und Frieden“) veröffentlicht. Können Sie zu dieser Publikation etwas sagen?

Die Partei für Freundschaft, Gleichheit und Frieden (DEB) wurde 1991 vom verstorbenen Dr. Sadık Ahmet gegründet. Es ist eine zugelassene Partei in Griechenland. Wir haben mit unserer Arbeit in der Region recherchiert, die Gründungsphase, die Parteitage und politische Geschichte näher beleuchtet. Mit Erlaubnis der Nationalbibliothek Griechenlands wurde es mit der Erteilung einer Internationalen Standartbuchnummer (ISBN) gegen Ende 2021 publiziert.

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führte Kemal Bölge

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