Start Politik Ausland NEX24-Exklusivinterview US-Politologe Cannon: „Die Türkei ist ein Land, das Afrika versteht“

NEX24-Exklusivinterview
US-Politologe Cannon: „Die Türkei ist ein Land, das Afrika versteht“

Interview mit Prof. Brendon J. Cannon über die türkisch-afrikanischen Beziehungen.

US-Politologe Prof. Brendon J. Cannon.
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Brendon J. Cannon ist seit 2016 außerordentlicher Professor für Internationale Sicherheit an der Khalifa Universität für Geistes- und Sozialwissenschaften in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate.

Seine Dissertation erhielt er 2009 an der Universität Utah in Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Vergleichende Politik. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Kontextualisierung nationaler, regionaler und internationaler Beziehungen in Ostafrika, die regionale Sicherheit in der Golfregion und der westlichen Region des Indischen Ozeans, die politische Ökonomie von Häfen, Basen und Flughäfen sowie die indopazifische Strategie Indiens, Japans, der USA und Australiens.

Ferner Chinas Belt and Road Initiative (BRI) und wie sich diese auf Ostafrika beziehen und dort umgesetzt werden. Er ist Autor zahlreicher Bücher wie „Konstruiert, Instrumentalisiert, Politisiert – Geschichte im Fadenkreuz der armenischen Lobby“ und Artikel.

NEX24 sprach mit dem US-amerikanischen Wissenschaftler über die Bedeutung des afrikanischen Kontinents, die Unterschiede bei der Politik gegenüber den afrikanischen Ländern und die türkisch-afrikanischen Beziehungen.

NEX24: Professor Cannon, letztes Wochenende fand in Istanbul der 3. Partnerschafts-Gipfel Türkei-Afrika statt. Westliche Länder, die Volksrepublik China und auch andere Länder unterhalten zu vielen Staaten in Afrika Beziehungen. Worin besteht der Unterschied der Beziehungen der Türkei zu den afrikanischen Ländern?

Zunächst muss bei den Beziehungen der Türkei zu Afrika zwischen den Staaten Nordafrikas und den Staaten südlich der Sahara unterschieden werden. Einerseits hat die Türkei eine lange und strategisch wichtige Beziehung zu Nordafrika, das als Teil des geopolitischen Nahbereichs der Türkei betrachtet wird. Ihre Beziehungen zu Subsahara-Afrika hingegen haben sich erst in jüngerer Zeit entwickelt und sind weniger strategischer als vielmehr opportunistischer Natur.

Sie beinhalten wirtschaftliche, humanitäre oder soziale und politische Interessen. Bei den wirtschaftlichen Interessen geht es um die Ansiedlung von Absatzmärkten für türkische Produkte und die Herstellung von Waren oder den Bau von Infrastrukturen. Im sozialen Bereich sind türkische Organisationen Nichtregierungsorganisationen, die jedoch zunehmend der Regierung unterstellt sind – seit über 10 Jahren in Ländern wie Somalia tätig. Sie konzentrieren sich auf Bildung, kleine Infrastrukturen zur Verbesserung der Entwicklung der Gemeinden und die Bereitstellung von Hilfe.

Politisch betrachtet die türkische Regierung die guten Beziehungen zu den Subsahara-Staaten als wichtig für innenpolitische Zwecke (sie beweisen, dass die Türkei wieder ein mächtiger internationaler Staat ist) sowie für ihr internationales Prestige. Es ist wichtig, dass die Türkei und türkische Interessen bestimmten Subsahara-Staaten mehr Bedeutung beimessen als anderen. Somalia und Äthiopien sowie Nigeria, Niger und Senegal sind zum Beispiel wichtiger als der Kongo oder die Elfenbeinküste.

Was das Vorgehen der Türkei von den anderen internationalen Akteuren in Afrika unterscheidet, würde ich sagen, dass die Türkei eher mit China als mit westlichen Staaten vergleichbar ist. Das heißt, die Türkei baut tatsächlich Eisenbahnen und baut Häfen aus, anstatt sie nur zu finanzieren. Sie tut dies in einem viel kleineren Maßstab als China, aber das passt zur Türkei, die eine Mittelmacht ist.

NEX24: Die Türkei hat ihre Wirtschaftsbeziehungen mit den afrikanischen Ländern in kurzer Zeit ausgebaut. In einem Spiegel-Artikel hat der Experte für türkisch-afrikanische Beziehungen, Dr. Federico Donelli, von der Universität Genua, die türkische Afrika-Politik als Bestandteil einer Strategie bezeichnet, damit sich die Türkei zu einem „Global Player“ entwickelt. Teilen Sie die Sichtweise von Herrn Donelli?

Ja, ich stimme meinem Freund Dr. Federico Donelli, zu, dass die Türkei danach strebt, ein Global Player zu sein. Vielleicht ist „außerregionaler Akteur“ ein besserer Begriff. Mit anderen Worten: Die Türkei möchte ihre Macht nicht auf den Südpazifik ausdehnen. Sie weiß, dass sie das nicht kann. In Ländern wie Somalia und Äthiopien ist es der Türkei jedoch gelungen, eine Kombination aus weicher und harter Macht [soft and hard power] einzusetzen, um zu einem entscheidenden Faktor in Fragen der regionalen Sicherheit und Politik zu werden.

NEX24: Präsident Erdoğan kam in Ankara mit Studenten aus Afrika zusammen. Bei dieser Unterredung erklärte die mosambikanische Studentin Camilla Madus, dass die Türkei die Probleme der Afrikaner aus dem Blickwinkel der Afrikaner betrachte und im Wesentlichen humanitäre Lösungen vorschlage. Was glauben Sie wollte Camilla Madus mit ihrer Aussage zum Ausdruck bringen?

Ich denke, dass Madus sieht, was viele Afrikaner sehen: Die Türkei ist ein Land, das Afrika „versteht“ und ihre Maßnahmen führen zu einigen positiven Ergebnissen. Es ist mir sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass viele, viele externe Staaten wie Norwegen und Großbritannien auf politischer, humanitärer und wirtschaftlicher Ebene in Subsahara-Afrika tätig sind.

Ihr Einfluss ist jedoch oft mit negativen Ergebnissen verbunden. Das heißt, es scheint einen Teufelskreis zu geben, eine Pfadabhängigkeit, die mit ihren Aktionen einhergeht. Sie bieten Hilfe an, um noch mehr Hilfe anbieten zu können. Der Grundgedanke ist, dass dieser Tretmühleneffekt zu Abhängigkeit in Subsahara-Afrika und zu Einnahmen in einem „beitragenden“ Land wie Norwegen führt.

NEX24: Welche Unterschiede könnten Menschen in den afrikanischen Ländern zwischen einem Chinesen und einem Türken ausmachen und ist die Türkei kulturell betrachtet den afrikanischen Ländern näher als China?

Ja, die türkische Kultur ist in bestimmten afrikanischen Staaten in mancherlei Hinsicht sicherlich näher als die chinesische. Einer der Gründe, warum die Türkei in Ländern wie Somalia, Senegal und Niger so erfolgreich ist, liegt darin, dass die türkische Führung ihre Außenpolitik mit allgemeinen islamischen Bezügen und Symbolen gespickt hat.

Das passt gut zum Selbstverständnis der AKP – als sunnitischer, muslimischer Staat – und ist seit Erdogans Machtübernahme vor 20 Jahren fester Bestandteil der AKP-Außenpolitik. Man kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass diese Außenpolitik in Ländern wie Kenia und Uganda weniger Anklang findet. Dennoch verfügt die Türkei über Produkte, die viele afrikanische Staaten heute nachfragen. Vor Kurzem habe ich einen Artikel über die türkischen Rüstungsverkäufe in Subsahara-Afrika geschrieben, in dem ich die Bestellungen von gepanzerten Fahrzeugen aus türkischer Produktion nach Kenia und Uganda sowie von bewaffneten Drohnen nach Äthiopien und Marokko hervorhob.

NEX24: Die Türkei vertieft ihre Zusammenarbeit mit den Ländern in Afrika nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch im militärischen Bereich und im Technologietransfer von militärischen Gütern. Wenn wir bei diesem Thema die Türkei mit China oder dem Iran vergleichen, welche Unterschiede können Sie erkennen?

Die Türkei liefert eine kleinere Auswahl an Waffen als China, aber eine größere Auswahl an Qualitätswaffen als der Iran. Kurz gesagt, Irans einheimische Verteidigungsprodukte sind unerprobt und gelten allgemein als minderwertig. Im Gegensatz dazu bietet China eine breite Palette an militärischer Ausrüstung an – von Kampfjets über Drohnen bis hin zu gepanzerten Fahrzeugen -, aber nichts davon ist von höchster Qualität. Sicher, der Preis chinesischer Waren ist niedriger als die westlichen Produkte, aber der Effekt ist viel geringer. Es ist ein bisschen wie beim chilenischen Wein.

Es wird viel davon produziert, aber nichts davon ist sehr gut. Im Gegensatz dazu sind die Nischenwaffen der Türkei – sie stellt nur eine kleine Auswahl an hochwertigen, aber preisgünstigen Waffen her – kampferprobt und haben sich (im Falle ihrer bewaffneten Drohnen) sowohl gegen chinesische als auch gegen russische Waffen wie Raketensysteme und Drohnen durchgesetzt. Aus diesem Grund kaufen Länder wie Äthiopien und Marokko bewaffnete türkische Drohnen. Sie haben etwas Mystisches an sich, nachdem sie in Syrien, Libyen und im Kaukasus erfolgreich eingesetzt wurden, um das Blatt zu wenden.

NEX24: Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führten Kemal Bölge und Polat Karaburan.

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