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Milgem-Projekt
Rüstungsdeal: Ukraine bestellt türkische Kriegsschiffe

Einen Tag nachdem Washington gegen Ankara Sanktionen verhängte, hat das ukrainische Verteidigungsministerium  neue Korvetten und Kampfdrohnen aus türkischer Produktion bestellt.

Wolodymyr Selenskyj (l) und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan bei einem Treffen in der Ukraine im Februar 2020. (Archivfoto: tccb)
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Von Kemal Bölge

Einen Tag nachdem Washington gegen Ankara Sanktionen verhängte, hat das ukrainische Verteidigungsministerium  neue Korvetten und Kampfdrohnen aus türkischer Produktion bestellt. Sie werden für die ukrainische Marine beschafft, um die Sicherheit in den Regionen Schwarzes und Asowsches Meer zu erhöhen. 

Laut der Erklärung vom 15. Dezember 2020 unterzeichnete der ukrainische Verteidigungsminister Andrii Taran die Dokumente während eines Besuchs Ismail Demirs, Leiter des Präsidiums der Verteidigungsindustrie (SSB) der Türkei, in der Ukraine.

Die Fregatten TCG-Heybeliada (vorne) und TCG-Büyükada

Das Milgem-Projekt der türkischen Marine

Als Italien wegen der osmanischen Provinz Libyen 1911 der Regierung des Osmanischen Reiches den Krieg erklärte, hatte das Osmanische Reich keine ernst zu nehmenden Kriegsschiffe, die es gegen die italienische Marine hätte einsetzen können.

Es wurden türkische Freiwilligeneinheiten nach Libyen entsandt, die gegen die italienischen Besatzer an der Seite von Libyern kämpften und diesen die Grundlagen moderner Taktik und Gefechtsführung vermittelten. Unter den Freiwilligeneinheiten befand sich auch der damalige Offizier Mustafa Kemal (der spätere Staatsgründer Atatürk), der am 27. November 1911 zum Major befördert wurde.

Das Manko, über keine leistungsfähige Marine zu verfügen, blieb während des Ersten Weltkriegs und des nationalen Befreiungskrieges bestehen. Nach der Gründung der Türkischen Republik wurde neben dem Aufbau des Heeres und der Luftwaffe erstmals auf die Errichtung einer starken Marine Wert gelegt. Bereits 1924 hatte Präsident Atatürk erklärt, mit dem Kauf von ausländischen Schiffen könne keine eigene Kriegsflotte aufgebaut werden. Im Zuge dessen wurden Schiffswerften errichtet, auf denen die ersten kleineren Einheiten gebaut wurden.

Abhängigkeit von den USA

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Beitritt der Türkei zur NATO wurde auf die eigenständige Entwicklung und den Bau eigener Kriegsschiffe verzichtet. Insbesondere in den 50er und 60er-Jahren hatten die USA türkische Regierungen dazu gedrängt, keine eigenen Waffensysteme herzustellen, da diese aus den Vereinigten Staaten importiert werden sollten. Damit geriet die türkische Armee bei der Beschaffung von militärischer Ausrüstung und Bewaffnung für alle Teilstreitkräfte in die Abhängigkeit der USA. Nachdem die Türkei 1974 in Zypern militärisch intervenierte, beschlossen die USA ein Waffenembargo gegen Ankara. Als Reaktion wurden in der Türkei Stiftungen und Rüstungsunternehmen gegründet, die die Entwicklung von eigenen Waffensystemen unterstützen sollten.

Machbarkeitsstudie eröffnet Weg zum Bau von türkischen Kriegsschiffen

Die Idee und die Umsetzung für den Bau eigener Kriegsschiffe begann in der Türkei in den 90er-Jahren bzw. 1996 mit dem Milgem-Projekt. Der Begriff „Milgem“ ist die Abkürzung für Milli Gemi und bedeutet auf Deutsch nationales Schiff. Das Oberkommando der türkischen Marine arbeitete damals an einer Machbarkeitsstudie zum Bau von türkischen Kriegsschiffen.

Großen Anteil an der Verwirklichung des Milgem-Projekts hatten unter anderem der Admiral a.D. zur See, Özden Örnek und Admiral a.D. Mazlum Savaş Onur. Im Februar 2000 fiel der Startschuss zum Milgem-Projekt, bei dem insgesamt 12 Kriegsschiffe produziert, vier davon mit einer Optionsklausel werden sollten. Aufgrund des sich ändernden Bedarfs der türkischen Marine und der instabilen Lage in der Region wurde der Bedarf an Korvetten der Ada-Klasse auf vier reduziert, um bedarfsgerechte größere Kriegsschiffe bauen zu können.

Das Projekt sah zudem den Export der Milgem-Korvetten an andere Länder vor. In der Istanbuler Marinewerft begann 2005 der Bau der Korvette TCG-Heybeliada (F-511), am 27. September 2008 lief sie vom Stapel und am 28. September 2011 wurde sie am 473. Jahrestag der Seeschlacht von Preveza nach erfolgreichen Tests den türkischen Seestreitkräften feierlich übergeben. Neben der erwähnten TCG-Heybeliada wurde 2013 die TCG Büyükada (F-512), 2018 TCG-Burgazada (F-513) und 2019 die TCG-Kınalıada (F-514) von der türkischen Marine in Dienst gestellt.

Pakistan hatte 2018 eine internationale Ausschreibung für die Beschaffung von neuen Korvetten veröffentlicht. Der Auftrag ging an die Istanbuler Marinewerft, die zwei Korvetten der Jinnah-Klasse (eine modifizierte Version der Ada-Klasse) in der Türkei baut und die anderen beiden in der pakistanischen Küstenstadt Karatschi. Die ersten beiden Korvetten sollen nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums 2023 in Istanbul sowie in Karatschi den Seestreitkräften der beiden Länder übergeben werden, die Indienststellung zweier, weiterer Schiffe soll 2024 erfolgen.

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Details zu den Milgem-Korvetten (Ada-Klasse):

Abmessungen
• Länge: 99 Meter
• Maximale Breite: 14,40 Meter
• Tiefgang: 3,59 Meter
• Verdrängung: 2000 Tonnen

Waffen
8 x Harpoon Blok II SSM BB
1 x 76 mm AutoMelara-Kanone
1 x RAM PDMS [21mesh ]

2 x 324 mm Doppelrohr-Torpedosystem (Mk 46/54 Torpedos)
2 x 12,7 mm STEMPEL (stabilisiert) Maschinengewehrplattform, ASELSAN)
1 x S-70B SeaHawk

Hauptantriebsstränge (Antriebssysteme)
Hauptmotoren: 2 x MTU 16V595TE90 Dieselmotor + 1 x LM2500 Gasturbine (CoDAG)
• Schubstränge (Antriebssystem): 2 x Escher-Wyss CPP
• Höchstgeschwindigkeit 29 Knoten (53,7 km/h)

Sensoren
• 3D-Suchradar [Thales Ned. SMART-S Mk2] [Aselsan Hazar 3D S & X BAND wird entwickelt]
• Feuerleitradar [Thales Ned. Sting EO Mk2 / 1. Schiff] [Aselsan TAKS / Entwicklung]
• Elektrooptische Sensoren [Aselsan AselFLIR-300D]
• Navigationsradar / LPI-Radar [Northrop Grumman Vision Master FT] [Aselsan ALPER LPI]
Abwehrmittel
• Elektronisches Unterstützungssystem [ Aselsan ARES-2N ED / ESM]
• Laserwarnsystem [Aselsan]
• Torpedo-Störsystem [Ultra E. SeaSentor / 1. und 2. Schiff] [Aselsan Hızır / in Entwicklung]

Andere Anordnungen (Systeme)
• Kampfmanagementsystem [Forschungszentrum Command-Havelsan (GENESIS-MİLGEM)]
• X-Band-Satellitenterminal [Aselsan]
• Integriertes Kommunikationssystem [Aselsan]
• Sonar [Forschungszentrum Command-TÜBİTAK MAM]
• Integrierte Plattformsteuerungs- und Überwachungssystem (EPKIS) [YALTES]

Auf dem Schiff befindet sich ein Hangar und eine Hubschrauberlandeplattform für Helikopter mit einem Gewicht von bis zu 10 Tonnen. Mit der Planung und dem Bau der Milgem-Korvetten gehört die Türkei weltweit zu den zehn Ländern, die in der Lage sind, ein derartiges modernes Kriegsschiff zu bauen. Laut dem Direktorat der Verteidigungsindustrie in Ankara liegt beim Milgem-Projekt der technologische Anteil der türkischen Rüstungsindustrie bei etwa 70 Prozent. Mit dem Bau von vier weiteren Fregatten der I-Klasse wurde 2018 begonnen. Es sollen noch vier Flugabwehrzerstörer der TF-2000-Klasse hinzukommen.

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