Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Erst Fakten, dann die Moral IV.
„Kurden rüsten sich gegen Angriff“, „Syrische Kurden rufen zur Generalmobilmachung“ oder „Der Verrat an den Kurden“ heißt es in den deutschen Medien seit einigen Tagen in Zusammenhang mit den Plänen der Türkei, in Nordsyrien militärisch gegen die sogenannte „kurdische“ SDF bzw. YPG vorzugehen.
Kurzum, die Propagandamaschinerie ist angelaufen. Wie in selbstverstärkenden Echokammern, wird in Medien und sozialen Netzwerken der Eindruck etabliert, die Türkei gehe gegen eine kurdische Hilfsorganisation in Nordsyrien vor, die zuvor Christen, Jesiden und Araber vor Halsabschneidenden IS-Schergen geschützt, diese zum Teufel gejagt oder massenhaft festgesetzt habe. Nun würden sie vom US-amerikanischen Präsidenten Trump dafür fallen gelassen und den Türken sowie Dschihadisten zum Fraß vorgeworfen werden.
Wie in einem Rudel jagen nun europäische wie US-amerikanische Journalisten eine Schlagzeile, eine Hiobsbotschaft nach der anderen durch den Äther. Der entscheidende Inhalt der Botschaft: S.O.S, die Kurden werden von Türken und Dschihadisten abgeschlachtet. Alle anderen interessanteren und gegenteiligen Meldungen gehen einfach unter.
Unter? Nicht ganz! Die europäische Journalistenzunft ist sehr wohl umfassend informiert, doch sie wenden derzeit einen Filter an und heben die gegenteiligen Meldungen ganz einfach auf. Die Gründe können mannigfaltig sein. Sicher ist nur, dass die deutschen Politiker derzeit ins selbe Horn blasen. Ein Zusammenhang? Ach was! Landen diese gegenteiligen Meldungen und Berichte einfach in der Mülltonnen? Mitnichten! Sie können später – gewappnet für alle Eventualitäten – dennoch verwenden werden.
Die europäischen Journalisten haben sehr wohl davon Kenntnis, dass die YPG, also der syrische Arm der Terrororganisation PKK, die Herrschaft über die „Demokratischen Kräfte Syriens“ genannt SDF, ausüben. Sie wissen ganz genau, dass die YPG von der EU wie auch USA als eine verbotene Terrororganisation eingestuft wird.
Zuletzt ließ US-Präsident Trump erkennen, dass die Obama-Regierung einen Fehler gemacht habe, sich mit der terroristischen YPG abzugeben. Michael Doran, Senior Fellow am Hudson Institut, twitterte, dass die ehemalige Regierung von US-Präsident Barack Obama damit auch den NATO-Partner Türkei in die Arme Russland getrieben habe.
Gegenteilige Meinungen gibt es zuhauf, die Klartext reden. So erklärte jüngst Michael Doran, Nahost-Experte des Hudson Instituts in einem Tweet, „wir haben uns unter Obama nicht mit den Kurden, sondern mit der PKK, dem geschworenen Feind der Türkischen Republik, unserem Verbündeten, zusammengeschlossen“. Sein Tweet wurde später von US-Präsident Donald Trump retweetet. Der Nahost- und Türkei-Experte des German Marshall Fund – eine US-amerikanische Stiftung – Nicolas Danforth, erklärte, es sei irreführend zu sagen, dass die YPG die syrischen Kurden repräsentiere. Nationalismus sei komplizierter, so Danforth weiter.
Die Türkei ist sehr wohl in der Lage, sich richtig zu artikulieren und die Dinge beim Namen zu nennen – ihr ist daher nichts vorzuwerfen, wieso das Land derart unter Druck steht. Der europäischen Journalie ist vorzuwerfen, dass man nicht exakt das wiedergibt, was den Tatsachen entspricht.
Die YPG, sprich, die syrischen Volksverteidigungseinheiten, sind eine nationalistische kurdische Miliz, die 2004 von der Terrororganisation PKK gegründet wurde. Wie bereits mehrfach darauf hingewiesen, wurde diese syrische Miliz 2015 vom Pentagon dazu angehalten, sich in SDF „umfirmieren“ zu lassen, um in der Weltgemeinschaft nicht mit der PKK in Zusammenhang gebracht zu werden. Bis heute funktioniert diese Taktik, weil die Medien dieses Spiel mitspielen. Sie befeuern sozusagen den Nationalismus.
Nationalismus ist eine Ideologie, die eine Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder einer Volksgruppe anstrebt und letztere mit einer Autonomie oder einem souveränen Staat verbinden will. Jüngstes Beispiel? Die spanischen Katalanen. Sie wollen eine Abspaltung vom zentralistischen Spanien, einem europäischen Staat. Merkwürdigerweise werden die Katalanen und deren Repräsentanten von der europäischen Politik oder den Medien kaum oder gar nicht erwähnt. Sie sind quasi europaweit entrechtet.
Nicht so die „Kurden“ in „Westkurdistan“, „Nord- und Südkurdistan“. Sie werden in der europäischen Wahrnehmung überrepräsentiert dargestellt, sprich unterstützt. Die europäischen Ableger der PKK, separatistische Organisationen, bemühen sich mit allen Mitteln, die Abspaltung in der Türkei, Syrien, Irak und Iran voranzutreiben. Dafür nehmen sie auch Gewalt in Kauf, wenn diese Ziele nicht gebührend berücksichtigt werden. In der Türkei ist es die HDP, der politische Arm, der im türkischen Parlament sitzt. Seine Repräsentanten sitzen teilweise wegen Aufruf zu Gewalt, umstürzlerischer Bestrebungen in Untersuchungshaft, so wie die katalanischen Führer.
Was ist aber nun die syrische YPG, die sich umfirmiert hatte, um mit der US-Koalition die IS-Miliz aus Nordsyrien und Nordirak zu vertreiben und damit die jesidischen, christlichen und turkmenischen Minderheiten der Region vom Joch dieser Terrororganisation zu befreien?
Die YPG ist eine nationalistische Organisation in Syrien, die darum bestrebt ist, eine kurdische Autonomie zu errichten und dann einen Staat auszurufen. Sie begeht dabei laut internationalen Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen auch Verbrechen. Diese Verbrechen können wahrlich nicht mehr als Kollateralschäden bezeichnet und beiseite geschoben werden. Die „kurdischen“ YPG- bzw. SDF-Milizen sind weder Helden noch Beschützer der Minderheiten in Nordsyrien. Human Rights Watch, Amnesyt International oder Reporter ohne Grenzen werfen den Milizen seit längerem „Kriegsverbrechen“ vor.
Alle Berichte dieser Menschenrechtsorganisationen haben eine Gemeinsamkeit: Nationalismus. Nach Darstellung von HRW, AI oder ROG wurden Tausende Zivilisten im Norden des Landes vertrieben und ihre Häuser zerstört. Vor allem nichtkurdische Bewohner Nordsyrien wurden nach der Einnahme von Dörfern vertrieben. Exekutionen, Verhaftungen, Vertreibungen oder Zwangsrekrutierungen sind immer noch auf der Tagesordnung der YPG. Hinzu kommt, dass die YPG trotz mehrfacher Selbstbekundungen gegenüber den UN-Hilfsorganisationen, von ihrer Praxis, Kindersoldaten einzusetzen, nicht abgelassen hat.
Seit Jahren werfen syrische Minderheiten der YPG bzw. SDF Mord, Unterdrückung, Einsatz von Kindersoldaten, Zwangsrekrutierungen und ethnische Säuberungen vor.
Mehrfach wiesen vor allem christliche Minderheiten, aber auch jesidische Organisationen auf diesen Umstand hin. Gehör fanden sie in Europa allerdings nicht. Ab und an schafft es dann aber doch ein Vertreter dieser Minderheiten, sich in Online-Medien zu Wort zu melden, so u.a. am vergangenen Dienstag die Präsidentin der Assyrischen Föderation in Schweden, Kara Hermez. Sie rät in einem Kommentar der schwedischen „Aftonbladet“ der Linkspartei unter dem Vorsitz von Jonas Sjöstedt vor, sich endlich vielmehr für die unterdrückten Minderheiten einzusetzen, anstatt sich für „separatistische und unterdrückerische Gruppen einzusetzen.“, sprich YPG, SDF, PYD oder PKK.
Vor dem US-Senat stand 2016 Robert Stephen Ford Rede und Antwort. Ford war ehemaliger Botschafter in Syrien. In der Anhörung vor dem Senatsauschuss erklärte Ford, „in einigen Fällen fliehen syrische Flüchtlinge aus dem Land, fliehen dabei aber nicht in die kurdischen Gebiete – sie rennen sogar von ihnen weg und in das Gebiet des Islamischen Staates.“ Ford, der die Obama-Regierung aus Meinungsverschiedenheiten über die Syrien-Politik verließ und seitdem die militärische Unterstützung für „gemäßigte“ Rebellengruppen unterstützt, stellte die Unterstützung der YPG im Bürgerkrieg in Syrien in Frage. „Es gibt keine perfekten Engel in diesem Krieg, aber es gibt einige, die schlimmer sind als andere“, sagte er weiter.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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