Von Ruşen Timur Aksak
Ich bin vor einigen Tagen in einem Istanbuler Buchladen gewesen. Ich mache das gern. Ich schlendere dann durch die Bücherreihen und sehe mir die aktuellen Trends an. Was lesen die Türken, was sind gerade die Bestseller und Neuerscheinungen? Denn das sagt auch viel über den Gemütszustand eines Landes aus und spiegelt politische Entwicklungen wieder.
Als ich meinen Blick über die Neuerscheinungen schweifen ließ, weckten zwei Bücher mein besonderes Interesse. Das eine hieß “Denken wie Atatürk” und das andere, in Anspielung auf eben jenen Mustafa Kemal Atatürk, “Wenn wir dich nur richtig verstanden hätten, wären wir heute besser dran”. Ich gebe zu, dass ich keines der beiden Bücher kenne oder gar lesen werde, dazu sind die Titel schon zu unkritisch.
Aber diese beiden Buchtitel zeigen ein politisches und soziologisches Problem in der Türkei und auch in der türkischen Diaspora in Europa auf: Ob nun Staatsgründer Mustafa Kemal, AKP-Chef und türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan oder andere politische und religiöse Führer, sie alle wachsen in den Augen ihrer Anhänger zu wahren Halbgöttern heran, die frei von Schwächen und Verfehlungen sein sollen.
Aber genau dieses Denken vergiftet jede politische Debatte, jede noch so wichtige Kritik wird damit im Keim erstickt. Denn wer soll es schon wagen dürfen, den “Ulu Önder” oder den “Reis” zu kritisieren? Und ich denke, man tut damit auch den beiden politischen Führern Mustafa Kemal und Recep Tayyip Unrecht. Gute Anhänger wollen Kritik üben, um Probleme beseitigen zu können und Dinge besser zu machen. Blinder Gehorsam tat weder dem politischen Erbe Mustafa Kemals gut, noch wird es dem Erbe Recep Tayyips gut tun.
Denn nicht nur als Muslime, sondern hoffentlich auch als Menschen mit einer gesunden Portion Skepsis wissen wir natürlich, dass es keine unfehlbaren Menschen gibt und geben kann. Daher verdienen politische Figuren nicht immer unsere Zustimmung, aber doch immer unsere Kritik und Skepsis.
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