Wie ernst kann man die SPD als Law-and-Order-Partei nehmen?
Von Yasin Baş
Nachdem die SPD 2017 alle Landtagswahlen verloren hat und in Schleswig-Holstein sowie Nordrhein-Westfalen (NRW) aus der Regierung geflogen ist, sieht es nicht gerade rosig aus bei den Genossen. Nach den Landtagswahlen im Saarland wurde deutlich, dass die Sozialdemokraten höchstens noch als Juniorpartners zu gebrauchen sind.
Der sogenannte „Schulz-Effekt“ währte nicht allzu lang. Der Hype um den ach so viel gepriesenen Parteichef Martin Schulz hatte von Beginn an einen unrealistischen und gestellten Charakter. Auch Schulz´ Vorgänger Sigmar Gabriel hat als Kapitän das sinkende Schiff rechtzeitig verlassen. Man möchte sich die Frage gestatten, ob Gabriel es, als er im Januar 2017 von seinem Amt zurücktrat, geahnt hat, wie desaströs die SPD bei den kommenden Landtagswahlen abschneiden würde. Die erste Pleite für die Genossen gab es am 26. März im Saarland.
Dieser folgte der Machtwechsel in Schleswig-Holstein. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte mit seiner Partei auch hier das Nachsehen. Die wahrscheinlich weitaus schmerzhaftere Niederlange mussten die Genossen jedoch in NRW, der einstigen Hochburg der Arbeiterbewegung, einstecken. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), der eigentlich eine große Zukunft in der Bundespolitik zugerechnet wurde, musste sich sang- und klanglos geschlagen geben.
Auch in der ersten konstituierenden Sitzung des Düsseldorfer Landtags gab sich die ehemalige Landeschefin betont wortkarg. Martin Schulz, der auf dem Parteitag im März mit 100 Prozent der gültigen Stimmen zum Vorsitzenden gewählt wurde, konnte im Nachhinein nicht für die nötige Aufbruchstimmung sorgen. Der Stil des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten kann sich als „mehr Schein als Sein“ zusammenfassen. Es gab durchaus Ideen von Schulz, die das linke Herz höher schlagen ließen, wie zum Beispiel sein Vorschlag, er wolle im Falle eines Wahlsiegs im September die Fehler der umstrittenen „Agenda 2010“ des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder revidieren.
Solche durchaus populären Einfälle konnten sich aber leider nicht lange auf der Tagesordnung halten. Schulz schaffte es nur selten bis kaum, spürbare und nachhaltige Akzente in der politischen Diskussion zu setzen. Er gab sich zwar Mühe, sich in die kontroversen Debatten einzuschalten und sich aktiv zu beteiligen. Richtig erfolgreich und eigentlich viel wichtiger, erfolgversprechend, war er dabei jedoch fast zu keinem Zeitpunkt. Wenn er sich zu Wort meldete, sah alles gezwungen und verkrampft aus.
SPD kopiert Ideen anderer Parteien und macht sich damit nur unglaubwürdig
Auch den Verantwortlichen in der Führung der SPD muss dieser makelhafte Zustand ihrer Partei aufgefallen sein, sie vielleicht sogar verängstigt haben, sodass sich einige ernsthafte Gedanken machen mussten, aus diesem Tief wieder herauszukommen. Am Ende scheinen sich wohl diejenigen durchgesetzt zu haben, die sich von den restriktiven Vorschlägen von AfD und Co. leiten ließen.
So stellte sich Kanzlerkandidat Schulz den Niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) zur Seite und beide verkündeten Anfang Juni im Willi-Brand-Haus ihre zehn Thesen für eine angebliche „starke sozialdemokratische Innenpolitik“, zu der unter anderem eine härtere Abschiebepolitik ebenso dazu gehören soll wie die Ausweitung der Videoüberwachung, die Einführung einer europäischen Grenzschutzpolizei, der Aufbau einer Art europäischer FBI und was besonders Türkischstämmige Menschen mit der doppelten Staatsbürgerschaft betrifft, die Überprüfung der Doppelpassregeln. Noch im August 2016 hatte Boris Pistorius laut FAZ gesagt:
„Wer die doppelte Staatsbürgerschaft in Frage stelle, diffamiere viele Menschen, die sie haben.“ Und: „Es gebe zudem nicht den leisesten Anhaltspunkt dafür, dass der Doppelpass mit dem Thema innere Sicherheit zusammenhänge.“ Jetzt jedoch vollzieht der ehemalige Osnabrücker Oberbürgermeister aus dem Stadtteil Schinkel eine völlige Kehrtwende, die seinesgleichen sucht. In dem Zehn-Punkte-Papier, das von Pistorius mitentworfen wurde, spricht sich der Innenpolitiker nun für einen „Genrationenschnitt“ bei der doppelten Staatsbürgerschaft aus.
„Generationenschnitt“ als Vehikel der Assimilationspolitik?
Dieses umstrittene Modell stammt vom Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Beim sogenannten „Generationenschnitt” sollen in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern zunächst den Doppelpass erhalten. Diese (Angehörige der zweiten Generation) wiederum sollen ihren Kindern (dritte Generation) jedoch die Staatsangehörigkeit ihrer Großeltern nicht mehr automatisch, sondern nur noch auf Antrag weitergeben dürfen.
In der vierten Generation soll gar keine Weitergabe der doppelten Staatsbürgerschaft bzw. der Staatsangehörigkeit der Eltern und Großeltern mehr möglich sein. Mit einem solchen „Generationenschnitt” soll verhindert werden, dass Menschen die Staatsangehörigkeit eines Landes besitzen, das ihre Familien bereits vor Generationen verlassen haben. Ob dieses diskriminierende Modell, das stark nach Assimilationszwang riecht, wofür im Übrigen auch schon Bundesinnenminister Thomas de Maizière seit Langem wirbt, auch für US-Amerikaner, Kanadier, Schotten oder EU-Bürger gelten soll? Denkt die SPD wirklich, dass sie damit Erfolg hat, wenn sie die Ideen ihrer Konkurrenten kopiert?
Wenn man den „Generationenschnitt“ weiterdenkt, kann es dann auch dazu kommen, dass die Nachfahren der ehemaligen Einwanderer eines Tages dazu genötigt werden, ihre Herkunftssprache, Herkunftskultur oder Religion irgendwann einmal ablegen sollen? Werden die Enkel und Urenkel der türkischen Gastarbeiter möglicherweise auch irgendwann ihre Namen ändern bzw. zwangsgermanisieren lassen müssen? Der „Generationenschnitt“ macht eher den Eindruck einer aufreibenden Walze.
Das Wahlvolk wählt lieber das Original als die Kopie
Die SPD vollzieht mit seinem Wunsch nach der Revision des Doppelpasses eine historische Kehrtwende. Die türkischstämmigen Wähler, die bis noch vor weniger Zeit mehrheitlich die SPD gewählt haben, werden sich über dieses „Geschenk“ sicher Gedanken machen.
Die Neuausrichtung nach hartgesottenen Law-and-Order-Politikern wie Otto Schily wird die Partei nicht voranbringen. Die SPD müsste sich auf die eigenen Kernkompetenzen konzentrieren.
Dazu gehört beispielsweise die soziale Gerechtigkeit, von der sich die Partei seit der Agenda 2010 entfernt hat und was dazu führte, dass sich sogar Teile der Genossen sowie des gewerkschaftlichen Flügels zur WASG (später Fusion mit der PDS zur Linkspartei) abgespalten haben. Die AfD oder andere rechtsgerichtete Parteien nachzuahmen hat zwar derzeit Konjunktur, hat aber auch bis jetzt weder den etablierten Parteien geholfen, noch wird sie der SPD etwas bringen. Das Nachahmen oder billige Imitieren von Positionen kommt beim Wähler nicht als aufrichtig und ehrlich an. Das Wahlvolk wählt lieber das Original als die Kopie. Das sollten sich die Genossen hinter ihre Ohren schreiben.
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Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.