ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
Nach internationalen Regeln hat sich Aserbaidschan in Bergkarabach aufgrund der Blockadehaltung in Zusammenhang mit dem Latschin-Korridor nichts zu Schulden kommen lassen, verteidigt sie sich doch gegen den Landraub Armeniens seit 1994 – wie die Ukraine gegen Russland in der Krim, Donbass oder Luhansk. Dennoch veröffentlich der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Luis Moreno Ocampo einen „Bericht“ mit der bombastischen Schlagzeile: „Völkermord an den Armeniern im Jahr 2023“.
Das „Völkermord-Gutachten“
Das sogenannte „Gutachten“ erstellte Ocampo innerhalb von wenigen Tagen, ohne Bergkarabach je besucht zu haben, an dem ja der „Völkermord“ angeblich stattfindet und von hiesigen Medien befeuert wird. Und noch etwas ist interessant. Ocampo trat als Staatsanwalt vom IStGH zurück, nach dem Korruptionsvorwürfe laut wurden. Sein Name taucht seitdem nur noch in Zusammenhang mit Skandalen auf, und in Zusammenhang mit dem Wunsch von Arajik Harutjunjan, dem sogenannten Präsidenten der international nicht anerkannten Republik Arzach, die ja auf aserbaidschanischen Staatsterritorium in Bergkarabach von armenischen Separatisten mit Gewalt im Jahre 1994 ausgerufen wurde.
De-facto Republik Arzach
Bei der sogenannten armenischen Republik Arzach handelt es sich also um eine selbsternannte separatistische Enklave in Bergkarabach auf dem Territorium Aserbaidschans, die von keinem Staat anerkannt wird – nur von ähnlichen selbsternannten russischen Stellvertreterrepubliken auf dem Territorium der Ukraine, Moldawiens und Georgiens. Es ist fast so, als hätten die armenischen Besatzer in Bergkarabach tief im Inneren gewusst, dass Aserbaidschan eines Tages unweigerlich ihr eigenes Staatsterritorium zurückerobern wird, weshalb man sich nicht einmal mehr die Mühe machte, bei über 30 Jahren Okkupation etwas aufzubauen. Es überrascht nicht, dass Russland ebenfalls in dieser Enklave die Kontrolle ausüben will.
Es überrascht auch nicht, dass das sogenannte „Gutachten“ von Luis Moreno Ocampo von angesehenen internationalen Rechtsanwälten und Menschenrechtsaktivisten zwiespältig aufgenommen wird. Einer von ihnen ist der britische Völkerrechtler Rodney Dixon, dessen Fachwissen über zwischenstaatliche Konflikte, der internationalen Strafverfolgung und zivilrechtlichen Ansprüche sehr gefragt ist. Dixon bewerte daher auch die Meinung Ocampos. Dixons rechtliche Beurteilung der Stellungnahme von Ocampo umfasst dabei fünf wichtige Aspekte, die die mangelnde Glaubwürdigkeit und den unbegründeten Charakter der darin enthaltenen Behauptungen belegen.
Der Experte legt verschiedene Argumente vor, warum das „Gutachten“ einer ernsthaften Prüfung nicht standhält. Das wichtigste Argument, dass es sich in diesem Fall um Völkermord handle, kommen aus völkerrechtlicher Hinsicht gar nicht erst in Frage, so Dixon im Resümee.
Dixon bezieht sich auf die Erklärung des Internationalen Gerichtshofs im Fall Kroatien gegen Serbien, in der es heißt, dass „Völkermord zwei konstituierende Elemente enthält: das physische Element, nämlich die begangene Tat oder den Actus reus, und das mentale Element, das Mens rea.“
Der Experte weist weiter darauf hin, dass das Gutachten von Ocampo die Verfahren des Internationalen Gerichtshofs zum Konflikt in Bergkarabach völlig falsch darstellt und „… es keine Beweise gibt, die ein entscheidendes Element des Völkermords untermauern würden […] – die konkrete Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise physisch zu vernichten.“
Latschin-Korridor und die Aghdam-Khankendi-Route
Ein weiterer wichtiger Punkt, den Dixon hervorhebt, ist, dass Ocampos Einschätzung „offensichtlich selektiv in Bezug auf die Fakten erfolgte, auf die sie sich bezieht“. Ocampo spricht von einem fiktiven „Völkermord“ aufgrund der Blockade der Hauptroute für humanitäre Hilfslieferungen nach Bergkarabach – dem Latschin-Korridor. Der ehemalige Staatsanwalt des IStGH Ocampo erwähnt jedoch bewusst nicht die Existenz einer weiteren humanitären Versorgungsstraße, über die die Enklave seither grundlegend versorgt wird: der Aghdam-Khankendi-Route, die ebenfalls durch aserbaidschanisches Staatsgebiet verläuft.
Arajik Harutjunjans Bitte!
Ocampos Voreingenommenheit und die Inkompetenz seiner Einschätzung lassen sich leicht durch die Umstände erklären, die mit der Entstehung dieses „Gutachten“ einhergingen. Am 29. Juli bat „der Präsident“ Arajik Harutjunjan Ocampo, sich zur Lage in Bergkarabach zu äußern – das ist eine Tatsache. In nur neun Tagen erstellte der ehemalige Staatsanwalt nach dem Auftrag das „Gutachten“ und stellte es öffentlich vor. Bemerkenswert ist, dass der ehemalige Chefankläger des IStGH, der in neun Jahren kaum einen Fall abgeschlossen hatte, die Lage in Bergkarabach in nur neun Tagen bewerten konnte.
Dixon kritisiert dabei nicht nur die „unvollständige und ungenaue“ Stellungnahme von Ocampo, sondern fordert, dass dieses Scharfrichterurteil „nicht dazu führen darf, einen ungerechtfertigten Keil zwischen der friedenssuchenden Regierungen Armeniens und Aserbaidschans zu treiben“. Dennoch beachtete Armenien die Meinung des Experten für internationales Recht nicht und forderte am 11. August den UN-Sicherheitsrat auf, eine Dringlichkeitssitzung zu diesem Thema einzuberufen. Die unbegründete und jeder Glaubwürdigkeit entbehrende Meinung von Ocampo war ihr einziger Vorwand dazu.
Bezug zu Russland
Weder Arajik Harutjunjan noch der armenische Präsident Nikol Paschinjan oder die armenische Diaspora, werden von der Eskalation im Südkaukasus jedoch profitieren. Stattdessen ist Russland der einzige Nutznießer dieses „Gutachtens“, der in Auftrag gegebenen wurde und zu dieser absurden „Notfallsitzung“ des UN-Sicherheitsrates führte. Russland deshalb, weil etliche Medien davor schon gewarnt hatten:
„Russlands Regime manipuliert die armenische Minderheit im aserbaidschanischen Karabach, um ethnische Konflikte im Südkaukasus zu schüren und die armenische Regierung durch einen Moskauer Stellvertreter zu ersetzen. Das Szenario erinnert an andere Streitigkeiten, die der Kreml in Georgien, Moldawien oder der Ukraine inszeniert hat, um seinen imperialen Einflussbereich aufrechtzuerhalten.“
Washington Times
„Russlands „Friedenstruppen“ in der Region Bergkarabach in Aserbaidschan verfolgen Moskaus Plan, das Gebiet in eine weitere Krim zu verwandeln“
The Hill
„Putin setzt armenische Separatistenmarionetten in Bergkarabach ein, ebenso wie er es mit Osseten und Abchasen in Georgien und Anhängern des „Russischen Friedens“ auf der Krim und im Donbass getan hat.“
Censor
„Dies ermöglicht es Moskau, eine militärische Präsenz im Südkaukasus aufrechtzuerhalten, beispielsweise in der abtrünnigen Region Südossetien oder in den von Russland kontrollierten östlichen Regionen Moldawiens“
The Newsweek
Während Russland mithilfe Armeniens unter Nutzung des Ocampo-„Gutachtens“ ein weiteres Schreckgespenst bei den Vereinten Nationen etablieren will, um seine eigenen Interessen im Südkaukasus zu verfolgen, rührt hierzulande die armenische Diaspora zusammen mit deutschen Medienvertretern die Werbetrommel für die sogenannte Republik Arzach und trommelt Menschenrechtsaktivisten zusammen um die hiesige Politik zu beeinflussen. Das war auch Sinn und Zweck des fehlerhaften „Gutachtens“, dessen Urheber Arzach und Russland ist. Mit demselben Vorwand überrannte Russland die ukrainischen Regionen Donbass und Luhansk, um international nicht anerkannte Satellitenstaaten auszurufen.
Türkische Querschläger
Besonders interessant wird das ganze, wenn sogar türkische Menschenrechtsaktivisten aus der Reserve gelockt werden, um der sogenannten Republik Arzach beizustehen. Genau genommen 97 Schriftsteller, Journalisten und Politiker gaben eine Erklärung ab, in der sie die internationale Gemeinschaft dazu aufriefen, Maßnahmen zu ergreifen, die zur Beendigung der Blockade der sogenannten Republik Arzach beitragen. Dabei wurde auch ein Bezug zur Luftbrücke für die Berlin-Blockade von 1948/1949 gezogen, womit die ganze Geschichte noch pikanter wird.
Völkermord?
Bei Ausgrabungen in einem ehemaligen Gefängnis in der einst von armenischen Separatisten belagerten Stadt Schuscha in der Region Bergkarabach wurden menschliche Überreste gefunden. Aserbaidschanische Forensiker fanden also nach dem Krieg um Bergkarabach 2020 ein weiteres Massengrab. Bei den Opfern soll es sich um aserbaidschanische Bürger handeln, die seit dem Krieg von 1992 bis 1994 als verschollen gelten.
Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Azertac wurden bei den Ausgrabungen, die Überreste von 17 Menschen freigelegt. Sie sollen nach ersten Erkenntnissen Folter und Tötungsspuren aufweisen.
Im März 1992 drangen armenische Freischärler in große Teile Bergkarabachs ein und rückten auch auf aserbaidschanisches Gebiet außerhalb der umstrittenen Region vor, so wurde die Stadt Aghdam unter Beschuss genommen, wurde das Massaker von Chodschali verübt, die von Aserbaischan als Völkermord bezeichnet wird.
Ende Juli verhaftete der aserbaischanische Grenzschutz einen armenischen Staatsbürger, der aus der Enklave nach Armenien überführt werden sollte. Ihm wird vorgeworfen, für das Massaker von Chodchali mitverantwortlich zu sein.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
Zum Thema
– Hodschali-Massaker –
Das Massaker von Chodschali: 31 Jahre Straflosigkeit
Vom 25. bis 26. Februar 1992 besetzten die armenischen Streitkräfte die Stadt Chodschali mit Hilfe von gepanzerten Fahrzeugen und Soldaten der russischen 366. motorisierten Schützenbrigade.