SÖZ – Eine Erfolgsgeschichte
Wien – 1,9 Millionen Menschen (knapp 22 Prozent) der österreichischen Bevölkerung leben in der Hauptstadt Wien. Deshalb waren die diesjährigen Landtags- und Gemeinderatswahlen auch ein wichtiger Test für die politische Gesamtstimmung im Land.
Die sozialdemokratische SPÖ unter dem amtierenden Bürgermeister Michael Ludwig konnte die Abstimmung mit 41 Prozent erneut für sich entscheiden. Ludwig befindet sich damit in der komfortablen Situation, sich seine(n) Regierungspartner auszusuchen. Auch wenn die minderheitenfreundliche und sozial-ökologische Kleinpartei SÖZ mutmaßlich nicht unter den Koalitionspartnern der SPÖ zu finden sein wird, so hat sie doch einen Achtungserfolg errungen.
Es bleibt also spannend, wie sich die junge, politische Bewegung weiterentwickelt und ob sie es schafft, bundesweite Strukturen aufzubauen und weitere Voraussetzungen zu erfüllen, um an den kommenden Nationalratswahlen 2024 teilzunehmen. Die Zeit dafür ist dementsprechend vorhanden.
Erster Schritt ist getan
Eines der wichtigsten Etappenziele ist indessen erreicht: Die Partei „Soziales Österreich der Zukunft“, kurz „SÖZ“, mit der Grazer Spitzenkandidatin und ehemaligen Nationalrätin Martha Bißmann sowie dem Wiener Parteigründer Hakan Gördü haben mit der erst im Juni 2019 gegründeten Bewegung den Einzug in mehrere Bezirksvertretungen bei den Regional- und Kommunalwahlen in Wien erreicht.
Ein Name – mehrere Bedeutungen
Dem Zufall ist es wohl eher geschuldet, dass Söz, das im Türkischen „das Wort“ oder „das Versprechen“ heißt, eine passende Bedeutung besitzt. Sowohl in der österreichischen Öffentlichkeit und Politik als auch innerhalb der im Land stark vertretenen türkischstämmigen Gesellschaft ist der Begriff freilich bestens verwendbar und hat zudem auch noch eine positive Konnotation.
SÖZ in sechs Wiener Bezirken vertreten
Selbst wenn es für die junge Partei nicht ausreichte, mit 1,2 Prozent Stimmenanteil (8742 Stimmen) in das Wiener Rathaus gewählt zu werden, ist das Ergebnis dennoch beachtlich. Außerdem sollen „geringe finanzielle Mittel und eine unzureichende Berichterstattung den Wahlkampf erschwert“ haben. Das politisch „links der Mitte“ stehende SÖZ, das aus jungen Österreichern mit und ohne Migrationsgeschichte besteht, scheiterte zwar an der für den Einzug in den Gemeinderat Wien benötigten Fünf-Prozent-Hürde, darf sich aber trotzdem auf sieben Kommunalratsmandate freuen. Die Abgeordneten werden in den kommenden fünf Jahren ihre Partei in den sechs verschiedenen Bezirken der Hauptstadt vertreten.
Martha Bißmann wird Bezirksrätin für Ottakring
Martha Bißmann, frühere Nationalrätin der „Liste Pilz“ und von 2017 bis 2019 Abgeordnete im österreichischen Parlament, die sich seit Jahren für die Rechte von Minderheiten und Frauen einsetzt, wird das SÖZ im Bezirksrat Wien-Ottakring repräsentieren.
Einsatz für Klimaschutz und die Rechte von Frauen und Minderheiten
Als das österreichische Parlament im Mai 2019 ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen beschloss, ging Martha Bißmann, damals als parteilose Abgeordnete, ans Rednerpult und kritisierte das Vorhaben der damaligen rechtskonservativen Regierung aus ÖVP und FPÖ mit scharfen Tönen. Bißmann wurde durch ihren Apell über Nacht eine Berühmtheit in der islamischen Welt und unter den Muslimen in Europa. Aus Solidarität für die muslimischen Mädchen und Frauen in Österreich sowie für das Selbstbestimmungsrecht der Frau trug die ehemalige Nationalratsabgeordnete in dieser Parlamentsrede, die millionenfach geteilt und angesehen wurde, demonstrativ ein Kopftuch. „Erst werden Vorurteile genährt, dann folgt verbale und physische Gewalt, zum Schluss der Genozid.“
Aufgrund solch mahnender Sätze und ihrer Solidarität mit Frauen und Minderheiten erhielt die Politikerin Todesdrohungen von Rechtsextremisten und Islamfeinden. Andererseits schlossen Millionen von Menschen die 40-jährige Diplom-Ingenieurin in ihr Herz, sodass Bißmann seither für viele als Brücke zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit anerkannt ist. Überdies setzt sich die Politikerin mit der markanten Frisur für Klimaschutz und Umweltthemen ein.
Gördü für die Bezirksvertretung Favoriten gewählt
Darüber hinaus wird der gebürtige Wiener und Parteiobmann Hakan Gördü seinen Heimatbezirk Wien-Favoriten als Bezirksrat vertreten. Der gesellschaftlich-politische Pfad, den Österreich in den letzten Jahren eingeschlagen hat, der überdies auch das gemeinschaftliche Klima des Friedens und Zusammenlebens im Land zunehmend unter Druck setzt, haben beim Menschenrechtsaktivisten und Naturwissenschaftler Gördü ihre Spuren hinterlassen.
Der Österreicher, dessen Vorfahren aus der Türkei stammen und dessen Großvater als Gastarbeiter in die Alpenrepublik einwanderte, benennt Populismus, Diskriminierung und Rechtsruck als Gefahren, die gepaart mit Vorurteilen und Ängsten, für eine Verunsicherung und Spaltung der Gesellschaft führen können. „Die Qualität einer Demokratie misst man im Umgang der Gesellschaft mit ihren Minderheiten“, betont Gördü gerne in seinen Plädoyers für ein besseres Österreich.
Partizipation, Vielfalt, Umwelt
SÖZ möchte eine Gesellschaft mitgestalten, „die nicht von Angst und Unsicherheit getrieben wird, sondern durch Zuversicht und Vertrauen“. Die letzten Jahre hätten demonstriert, dass Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit kein Zustand sei in dem man verweile, sondern Errungenschaften die man immer wieder auf Neue erstreiten und erkämpfen müsse. „Sozial und solidarisch entgegnen wir den Herausforderungen unserer Zeit.“ Und weiter: „Wir achten Werte wie Ehrlichkeit, Anstand, Wissenschaftlichkeit und Empathie um gegen den immer stärker werdenden Rechtsruck ein Gleichgewicht zu sein.“
Politische, soziale und gesellschaftliche Partizipation sowie Anerkennung von Diversität scheinen dem Parteivorsitzenden ein wichtiges Anliegen zu sein. Aber das sind nicht die einzigen Inhalte, die Gördü wichtig sind.
In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Krone wies der 36-jährige Politiker auf weitere Anliegen hin:
„Wir fordern Gendergerechtigkeit in Österreich. Dazu gehört auch, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden. Der Klimaschutz ist ein zentraler Punkt bei uns.“
Darüber hinaus gab sich der selbständige Unternehmer betont arbeitnehmernah und forderte eine geringere Besteuerung von Löhnen und Gehältern. Zudem setzt sich die Bewegung für das allgemeine Wahlrecht nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich sowie die arbeitnehmerfreundliche 30-Stunden-Woche ein.
Minderheitenschutz
Im Juli 2020 forderte der Parteivorsitzender Gördü die gesetzliche Anerkennung der muslimischen und evangelischen Feiertage in der Donaurepublik. Einige Tage später verlangte der Parteiobmann die „Anerkennung des Minderheitenstatus für Türk*innen und Angehörige der Ethnien des ehemaligen Jugoslawien in Österreich“ und machte sich für den Schutz der Muttersprache dieser Volksgruppen stark.
Statistiken zeigen, dass in Österreich (Stand: 1. Januar 2020) 302.294 Personen aus den drei größten Volksgruppen des ehemaligen Jugoslawiens (Serben, Bosnier und Kroaten) lebten. Dagegen wohnten zum selben Zeitpunkt 117.607 türkische Staatsangehörige in der Donau- und Alpenrepublik.
Mit Optimismus in die Zukunft
Der Zukunft sehen die jungen Politiker, die sich zugleich auch als Menschenrechtsaktivisten verstehen, positiv entgegen: So könnte SÖZ 2022 etwa bei der Gemeinderatswahl in Martha Bißmanns ursprünglicher Heimatstadt Graz antreten.
Und auch der Aufbau bundesweiter Strukturen im Hinblick auf die nächste Nationalratswahl sei denkbar. Aber auch in finanzieller Hinsicht strahlen die Funktionäre Optimismus aus: Mit diesem Wahlergebnis, so bescheiden er auch sein mag, darf SÖZ mit einer Parteienförderung von bis zu 90.000 Euro jährlich rechnen. Für die nächsten Jahre planen die Funktionäre mit etwa 400.000 Euro an staatlicher Unterstützung.
Wenn ferner diese Summe noch durch Mitgliedsbeiträge und sonstige Spenden ergänzt wird, sei das eine gute Basis für eine erfolgreiche Arbeit für die kommende Legislaturperiode, so Gördü. Sicher ist: Auch andere Parteien haben einmal klein angefangen.
Und: Für die Integration der Minderheiten, die Chancengleichheit und die Vielfalt in Österreich ist SÖZ bereits jetzt die Zukunftspartei schlechthin.