Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Am Sonntag gab es eine Demonstration mit Gedenken an die Opfer des rassistischen und antimuslimischen Terrors in Hanau. Die marschierenden Gedenkteilnehmer wie Redner der Abschlusskundgebung auf dem Hanauer Marktplatz sendeten ein dringliches, wichtiges und richtiges Signal in die Welt.
In Stichpunkten zusammengefasst, verlief der heutige Sonntag so ab:
Gefühlt über 20.000 Teilnehmer nahmen an dem Marsch von der Kesselstadt in Richtung Marktplatz teil, um dort an der Abschlusskundgebung teilzunehmen.
Auf der Philippsburger Allee am Rande des Hanauer Schlosses startete der Marsch in Richtung Marktplatz. Zwischen türkischen Fahnen, afghanischen Flaggen, der rumänischen Fahne oder der Flagge Bosnien und Herzegowinas marschierten Deutsche wie auch Staatsbürger fremder Nationalitäten nebeneinander und hielten Spruchbänder oder Tafeln mit sinnigen Sprüchen gegen Rassismus oder Nazis hoch. Hin und wieder klang der Takbir schrill durch den Protestzug.
Gökhan Uygun von der DITIB-Zentralmoschee in Köln hielt eine Koran-Rezitation für die Opfer des Terrors ab.
Mitorganisator der Gedenkveranstaltung, zusammen mit der Initiative Hanauer Vereine, M. Teyfik Özcan, grüßte die Anwesenden mit „Herzlich Willkommen, Grüß Gott, as-salāmu ʿalaikum und Shalom.“ und fügte in seiner Rede hinzu: „Es sind nicht Türken, Bosnier, Afghanen oder Rumänen ums Leben gekommen, es sind neun Hanauer Bürger, Kinder dieser Gesellschaft, die uns weggenommen wurden.“
Dann werden die Namen der Opfer einzeln aufgerufen, aus der Menschenmenge hört man erst ein leises „Hier!“, dann werden es immer mehr Stimmen, dass „Hier!“ wird immer hörbarer, lauter.
Später fügt Özcan seiner Rede hinzu, wie wichtig es für uns sei, „Flagge zu zeigen. Gegen Terror, Fremdenfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus“ zu sein. Unsere Botschaft laute: „Wir sind Deutschland. Wir gehören zusammen.“
„Die Tage und Stunden sind zu Friedenszeiten die schwärzesten und dunkelsten, die unsere Stadt je erlebt hat“, sagte Oberbürgermeister Kaminsky während seiner Rede. Denjenigen, die die Gesellschaft spalten wollten, rief er zu: „Wir sind mehr, und wir können euch daran hindern.“ Wir und alle anderen seien nicht mehr Wert, aber auch nicht weniger Wert.
Der Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime, Zekeriya Altug erklärte, „die Barmherzigkeit Allahs gilt allen Menschen, allen Lebewesen der gesamten Schöpfung.“ Zudem fügt er hinzu, „wir gehören alle zusammen“, seien sie „kurdischer, türkischer, afghanischer, bosnischer, bulgarischer oder deutscher Abstammung.“
Im Anschluss daran sprachen Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche, der Vertreter der Jüdischen Gemeinde erhielt frenetischen Applaus.
Der Bruder eines Todesopfers erklärte auf dem Podium, „wir sind im Stich gelassen worden“.
Der türkische Botschafter Ali Kemal Aydin erklärte auf dem Podium, dass die türkische Gemeinde von Jahr zu Jahr mehr Angriffe auf Personen, auf Moscheen oder auf Vereine erlebe. „Das kann und darf so nicht weitergehen.“
Das mal in Kürze zusammengefasst. Für alle, die den Marsch verfolgen oder die Reden auf dem Marktplatz anhören wollen, es gibt auf meinem Facebook-Profil Videos. Jeder kann sich damit eine eigene Meinung bilden.
Während des Marsches über die Philippsburger Allee wurde lautstark in Zwischentönen die Takbīr gerufen. Zuerst dachte ich, „Leute, die Deutschen und Nichtmuslime bekommen Angst oder wenden sich von euch ab.“ Aber dann sah ich im weiteren Verlaufe des Protestzuges alle Nationalitäten, alle Religionen, alle Hautfarben, sehr viele Deutsche, die den Marsch begleiteten, und ich sagte mir: „dann muss der Rest das auch aushalten und sich daran gewöhnen und tolerieren.“
Denn, gerade weil wir seit Tagen, seit Monaten, ja sogar seit Jahrzehnten von einer Hiobsbotschaft in die andere Taumeln und in Ohnmacht verfallen, gerade deshalb ist es auch wichtig, dass herauszuschreien, was uns Muslime ständig vorgehalten wird. Sie müssen das tolerieren, wie wir es weiterhin tolerieren, dass sie weiterhin Hass verbreiten.
Übrigens, ich bewundere unsere Muslime, Kurden, Türken, alle anderen Nationalitäten und Ethnien, die sich bislang bravourös und mustergültig verhalten haben und in deutschen Städten keinen Krieg wie in den Pariser Banlieue angezettelt haben; nur weil sie mit den Zuständen unzufrieden sind oder damit nicht mehr klar kommen. Wir halten sprichwörtlich jedesmal irgend eine Wange hin und nicht nur die andere; so wie die christlichen Werte es vorschreiben.
Wir sind nicht anders oder weniger Wert, weil wir Muslime oder Türken, Kurden, Afghanen, Bosnier, Rumänen, Polen und viele andere sind. Wir sind auch nicht fremder als Hans Müller, Sibel Schick oder Tuncay Özdamar. Wir sind nicht radikaler als Burak Copur oder Martin Glasenapp, Susanne Schröter, Seyran Ates, Necla Kelek, Cem Özdemir, Ercan Karakoyun, Reyhan Şahin, Gökay Akbulut, Ahmad A. Omeirate sowie Ronja Othmann, die uns das auch jetzt und vor allem jetzt noch vorhalten.
Wir Muslime, aber auch Türken und Kurden, werden seit Jahrzehnten in Kategorien gesteckt. Man vermittelt uns oder hält uns vor, nicht in diese Gesellschaft zu gehören. Wir würden nicht die demokratischen Werte, die Rechtsstaatlichkeit oder die Wertekultur teilen, wir würden sie gar untergraben. Ob das nun von Teilen der AfD, CDU/CSU, SPD, Grünen oder Linken vorgehalten oder von Ethno-Nationalisten, Islamkritikern, Türkei-Kritikern oder Religionskritikern vorgeworfen wird, ist doch alles derselbe Bullshit.
Wir sind genauso Deutsche oder leben bereits in 4. Generation in diesem Land. Wir gehören ebenso zu Deutschland wie der Senf auf die Bockwurst, Kölle Alaaf zu Köln, Cem Özdemir zum schmotzigen Dunschtig, wie die Semah zu Aleviten, wie die Shisha zu Arabern, wie das Feuer zu Newroz, wie Festmahl zu Ramadan oder Takbīr zu Muslime.
Wer das anderen oder einzelnen absprechen will, soll doch bitteschön hervortreten und Farbe bekennen.
Nabi Yücel – yuecelnabi@hotmail.de
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.