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Kommentar: „Viele sind heilfroh, Erdoğan an der Spitze zu haben“

Nun hat der Westen gegenüber der Türkei vollends seine Glaubwürdigkeit verloren: Das US-Repräsentantenhaus verabschiedet just am Tag des türkischen Nationalfeiertags ein Memorandum zur Armenier-Frage. Ein Kommentar.

(Archivfoto: tccb)
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„Sind sie zu stark, bist Du zu schwach“ – Die Türkei und der Westen

Ein Gastkommentar von Nabi Yücel

Nun hat der Westen gegenüber der Türkei vollends seine Glaubwürdigkeit verloren: Das US-Repräsentantenhaus verabschiedet just am Tag des türkischen Nationalfeiertags ein Memorandum zur Armenier-Frage; das US-Militär macht während des Rückzugs aus Nordsyrien eine Stippvisite auf den vielversprechenden Ölfeldern Syriens und entscheidet kurzerhand, dort nach dem Rechten zu gucken; das französische Parlament wie auch der Senat verurteilen in einer gemeinsamen Note die türkische Operation „Friedensquelle“.

Seit 1980 haben zahlreiche Vorstöße der US-armenischen Lobby vor dem US-Repräsentantenhaus oder dem US-Senat nicht gefruchtet. Der Stichtag war immer wenige Monate vor dem 24. April, dann erwachte die armenische Lobby aus Ihrem Dämmerschlaf, um die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses oder des Senats zu umgarnen. Auch dieses Jahr war schmeicheln und schleimen angesagt, aber die Abgeordneten waren wieder einmal nicht bereit, den 24. April anzuerkennen.

Am 29. Oktober dieses Jahres, also weder kurz vor oder nach dem Stichtag, entschied sich das Repräsentantenhaus wie aus heiterem Himmel, den sogenannten 24. April anzuerkennen. Als Betroffener würde ich das entschieden ablehnen, ja darüber sogar ziemlich verärgert sein, schließlich hatte das jetzt einen besonders pikanten politischen Charakter; was es in anderen Zeiträumen eigentlich auch nicht besser macht. Politische Bewertungen hatten noch nie eine entscheidende Bedeutung über geschichtliche Ereignisse. Aber wer ist man denn auch, über diese lächerliche Entscheidung ein Urteil zu treffen?

Die Entscheidung selbst ist auch nicht das Problem, mittlerweile haben ja mehrere Parlamente und Abgeordnetenhäuser entsprechende Bewertungen vorgenommen; das US-Repräsentantenhaus ist nur eines von rund 20. Die Türkei hat es bislang nicht tangiert; es gibt schließlich noch rund 170 weitere Staaten, die das nicht anerkannt bzw. bewertet haben, und da der Straftatbestand „Völkermord“ nicht rückwirkend angewendet werden kann, erübrigt sich auch jede weitere politische Diskussion darüber. Nächster Tagesordnungspunkt?!

Offenbar haben wir es bei den USA mit einem slawischen Drachen zu tun, dessen drei Köpfe unabhängig agieren und kein Kopf so recht weiß, was der andere tut. US-Präsident Trump entscheidet sich für den kompletten Abzug aus Syrien, während das Pentagon auf die Tränendrüse drückt und Ihren Verrat an „Kurden“ zum Ausdruck bringt. Die CIA scheint sich jetzt durchzusetzen, denn plötzlich machen die US-Gi´s kehrt und bewachen fortan Ölfelder im Nordosten von Syrien, während Trump weiterhin feucht fröhlich twittert. Wer meint, dass dies in den USA hätte kein System hätte, der irrt aber gewaltig. Während Trump nun vorgaukeln kann, alles getan zu haben, um aus diesem verflixt teuren Schlamassel zu entkommen, poliert er nebenbei seine nächste Kandidatur auf.

Währenddessen bereiten hinter verschlossenen Türen das Pentagon und die CIA schon den nächsten Coup vor, um den Nahen Osten weiterhin im Würgegriff zu behalten. Seit knapp einem Monat marodieren irakische wie libanesische Demonstranten. Im Irak wollen die Demonstranten den Sturz des schiitischen Ministerpräsidenten Adil Abd al-Mahdi. Im Libanon wurde bereits Premier Saad Hariri zum Rücktritt getrieben. Inzwischen hat der Iran angedeutet, zu intervenieren.

Was die USA samt dem Westen seit Jahrzehnten mit den „Kurden“ im Irak (Saddam) und in Syrien mit den YPG-Kurden getrieben haben, treiben sie derzeit auch mit den Sunniten im Irak und dem Libanon. Diese mit Linien gezeichneten Länder und deren Bevölkerung werden aus Ihrer Geschichte auch weiterhin nichts lernen und sich weiterhin gegenseitig an den Hals fallen. Deshalb fällt es den USA und dem Westen auch leicht, die dortige Bevölkerung aufzuwiegeln.

Man will im Grunde den Iran wieder auf den Status quo zurückdrängen, den man im Ersten Golfkrieg hatte. Die Türkei will bei diesem Spiel seit dem gescheiterten Putschversuch jedenfalls nicht mehr nur ein Zuschauer sein, sie will in der Region selbst Impulse setzen, um die geopolitische Situation in der Region aus dem Chaos zu führen.

Was ist derzeit im Nahen Osten akut? Der Irak ist quasi zwischen dem Iran und den USA aufgeteilt, steht wieder kurz vor dem Kollaps. Die Lage der prowestlichen Saudis wird in Zusammenhang mit dem Jemen-Krieg immer prekärer, wogegen man im Libanon (ebenfalls in prowestliche und proiranische Lager geteilt) nicht einschätzen kann, wohin es steuert. Grundsätzlich lässt sich die extreme Destabilisierung des Nahen Ostens auf die westliche Kriegspolitik seit 2001 zurückführen. Der Westen hat zu viele Fehler gemacht, steht mit dem Rücken zur Wand und braucht strategische Partner.

Nur, mit einer Türkei, an deren Spitze ein starker Mann sitzt, ist eine strategische Partnerschaft in weite Ferne gerückt. Es gibt zwar noch immer sehr viele kritische Töne innerhalb der Türkei gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdoğan, die aus allen Lagern tönen, aber es hat sich auch der Eindruck breitgemacht – und das ist auch das Dilemma der Opposition, dass gerade jetzt sehr viele heilfroh sind, Erdoğan an der Spitze zu haben. Ohne das Präsidialsystem per Referendum wäre auch Erdoğan nicht mehr in der Lage, die Türkei halbwegs sicher durch stürmische Zeiten zu führen. Jeden anderen Staatspräsidenten oder Ministerpräsidenten ohne Präsidialsystem, würden diese Wölfe zum Frühstück verspeisen.

Gerade weil die Türkei einen starken Mann an der Spitze hat und dieser sich auf starke Persönlichkeiten wie den ehemaligen Generalstabschef Hulusi Akar oder den Nachrichtendienstchef Hakan Fidan verlassen kann, scheinen in Europa die Transatlantiker langsam die Eiszeit überwinden zu wollen. Weshalb sonst hat denn der ehemalige Vizekanzler und Bundesvorsitzender der SPD, Sigmar Gabriel, gegenüber der Türkei plötzlich versöhnliche Worte übrig?

Der Westen steckt selbst in einem Dilemma: Einerseits will man die Türkei nicht vollends verlieren, andererseits will man im Nahen Osten noch immer das Sagen haben und sucht nach starken Verbündeten, wie z.B. Ägypten, das man sich mit einem Militärputsch (2013) gesichert hat. Nur, Ägypten ist nicht die Türkei und ohne die Türkei ist der Iran, die Region, kaum zu kontrollieren.

Wenn man jetzt von westlichen Sofa- und Fliesentischexperten hört, dass die Türkei noch immer der kranke Mann am Bosporus sei und bald am Tropf des IWF hängen werde, dann muss man diesen Pappnasen vorhalten, dass dieser beständige Druck des Westens auch seine positive Seite hat. Inzwischen baut man eigene Waffen und Waffensysteme, ist auf die deutschen Kampfpanzer gar nicht mehr angewiesen – Panzer haben in Konflikten keinen Mehrwert mehr – und hat sich auf eigene bewaffnete wie unbewaffnete Drohnen spezialisiert, die auch gegenwärtig gegen die PKK im Inland wie auch gegen die YPG im Ausland eingesetzt werden. Damit wird langfristig das Ziel verfolgt, unabhängig zu werden, fit genug zu sein, um in dieser Region für Ordnung und Sicherheit, Wohlstand und Frieden zu sorgen.

Die aktuellen medialen wie politischen Angriffe des Westens gegenüber der Türkei sind eigentlich parteipolitische Opportunitäten gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan. Ja, vielleicht ginge es den türkischen Staatsbürgern prima, man wäre in der PR des Westens auch weiterhin der „demokratische Musterstaat islamisch-säkularer Prägung“, mit traumhaften wirtschaftlichen Wachstumsraten, wenn man sich nicht mit Israel angelegt und die 180-Grad-Wende des Westens nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im „Arabischen Frühling“ mitgetragen hätte.

Indes: Erdoğan war vorher Erdoğan und ist auch heute Erdoğan. Weder war Erdoğan vorher der Musterdemokrat, als der Westen ihn noch so verkaufte, ihn damals so protegierte, noch ist er der Despot, als den ihn dieselben Kreise heutzutage zu dämonisieren pflegen. Wie sagt man bei uns im Türkischen? „Taş yerinde ağırdır“. In der Welt der Putins, Trumps, Merkels und Macrons, kann man dieser Tage jedenfalls heilfroh sein, Erdoğan an der Spitze des Staates zu wissen, denn wie das Sprichwort andeutet, ist der Nächste einem nicht fremd, man kennt es, man weiß um ihn Bescheid, man kann ihn abschätzen. Aus der Ferne kann es nicht bewertet werden, findet es auch nicht die entsprechende Gebühr.

Der Türkei ist aber die USA und der Westen fremd und fern geworden, sie kann nicht mehr einschätzen, auf welcher Seite die USA und der Westen stehen. Denn, wie kann diese westliche Wertegemeinschaft es sich erklären, dass der IS seit Jahren in einem ganz kleinen Gebiet eingeschlossen, gewissermaßen auf Standby geschaltet wurde, ohne, dass ihm seitens der Anti-IS-Koalition der Todesstoß versetzt wird, obgleich Trump ihn seither mehrfach für besiegt erklärt hat. Jetzt „gelingt“ es Trump zusammen mit Unterwäscheschnüfflern der YPG der „Enthauptungsschlag“ gegen den IS?

Zum anderen würde es die Türkei interessieren, warum die USA der YPG buchstäblich bis zur letzten Sekunde vor dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien über einen sehr sehr langen Zeitraum insgesamt 40 Tausend Lkw-Ladungen (teils schwere) Waffen geliefert haben. Die letzten seitens der türkischen Aufklärung dokumentierten US-Laster mit Waffen kamen in der Nacht vor dem Einmarsch. Wofür all diese Waffen, wenn der IS doch faktisch militärisch schon längst besiegt wurde? Der Hintergrund dieser Fragestellung: all dies passt nicht zur allseits gepflegten Erzählung, dass die Kooperation zwischen den USA und der PKK-YPG einzig der IS-Bekämpfung geschuldet gewesen sein soll.

„Und dann dieser „General Mazlum Kobane“, der nicht nur mit Trump telefonisch in Kontakt tritt, sondern bald auch von Kanada mit dem Prädikat „sauberster Krieger“ ausgezeichnet wird… Man müsste Trump und diesen Trudeau mal fragen, auf welcher Militärakademie der „Gute“ sein Offizierspatent erworben hat. Mazlum Kobane, eigentlich Ferhad Abdi Şahin, ist ein seit Jahrzehnten international gesuchter Topp-Terrorist aus Öcalans nächstem Umfeld. Dieser soll ihn als seinen „Ziehsohn“ betrachtet haben.

In den Neunzigern war Ferhad Abdi Şahin in der türkischen Provinz Hakkari unter dem Decknamen „Şahin Cilo“ für zahllose Anschläge der PKK verantwortlich. Aus dieser Zeit wird ihm die Ermordung von insgesamt 63 Menschen zur Last gelegt, bevor er ab 1997 für die PKK nach Europa „versetzt“ wurde. Heute verdrängt dieser Terrorist in sozialen Netzwerken inzwischen jeden anderen akuten Hashtag und genießt Popularität.

Wie fremd die USA und der Westen zu dieser und anderer Materie geworden sind, erkennt man auch an den medialen Ausführungen zu den Deals zwischen Erdoğan, Putin und Trump. So erklärt man diese nun zum Adana-Abkommen, die auf Druck Erdoğans „aktiviert“ worden sein sollen. Nun ist es allerdings so, dass Putin der Türkei das Adana-Abkommen seit etlichen Monaten feilbietet wie „saures Bie..“ Pardon, „Ayran“. Erdogan will vom Adana-Abkommen eigentlich nichts wissen, weil dies als indirekte politische Anerkennung des Assad-Regimes gilt.

Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Türkei nach wie vor nicht vergessen hat, dass dieser Assad rund 250.000 Menschen über die Klinge springen ließ und damit den berüchtigten IS-Kalifaten al-Baghdadi rund 40-mal übertrumpfen konnte; bislang versteht sich.

Putin hat ein Interesse daran, das Verhältnis zwischen dem Assad-Regime und Ankara Schritt für Schritt zu normalisieren. Deswegen wurde das Übereinkommen von Sotschi so gestaltet, dass die Türkei zwar letztlich bekommt, was sie will, aber das Damaszener-Regime als Akteur eingebunden wird. Die Türkei zahlt also einen politischen Preis für die Gestaltung der nordsyrischen Verhältnisse nach Ihrem Gusto, in dem sie notgedrungen hinnimmt, dass Putin der Türkei sukzessive zu einer Normalisierung der Beziehungen zu Damaskus nötigt.

Von all dem bekommt man natürlich nichts mit, wenn man sich – wie offenkundig die Journalisten hierzulande – aus Quellen informiert, die dem PKK-Ableger YPG zuzurechnen sind. Für diese Vermutung sprechen auch die mitunter abenteuerlichen Gerüchte über Scharmützel zwischen russischen und türkischen Streitkräften. Tatsächlich ist es so, dass die YPG seit Beginn der Deals erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die türkischen Streitkräfte unter dem Radar der USA und Russland zu militärischen Aktionen zu provozieren; nicht, weil man etwa glaubt, es mit den Türken auf dem Felde aufnehmen zu können, sondern weil man verzweifelt darauf hofft, die Übereinkommen von Ankara und Sotschi doch noch irgendwie vom Tisch zu bekommen.

Aber da wären wir auch schon beim Titel dieses Artikels angelangt: Es heißt schlicht „Sind sie zu stark, bist Du zu schwach.“ Sind die Türken mit Erdoğan also zu stark, bist du, USA, Westen, YPG, PKK einfach zu schwach und reagierst ziemlich kindisch. Was soll denn dieses Memorandum, was bringen denn diese medialen Schnappatmungen, was hat euch denn diese Propaganda bislang eingebracht? Nichts!


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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