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Gastbeitrag
Kommentar: Israel, Jürgen Habermas und seine Hummel

Thnomas: "Wir wissen, um auf Israel und das Massaker in Gaza zurückzukommen, eines ganz sicher: wenn ein Land plötzlich Zehntausende von Menschen vernichtet, dann ist dies falsch."

Jürgen Habermas, 2014 (Archivfoto: Screenshot/Wikipedia cc-by-2.0)
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ein Gastkommentar von Michael Thomas

Wissenschaften tasten sich für gewöhnlich in noch unbekannten Raum vor und erheben Erkenntnisse, die die Landmarke des Wissens immer weiter vorantreiben. Manchmal führen sie Berechnungen an und formulieren Behauptungen daraus, die dem Stand der Wahrnehmung und einer objektiven Überprüfung nicht standhalten.

So geschah es bekanntermaßen der Hummel. Der französische Entomologe Antoine Magnan berechnete unter Assistenz des Mathematikers Sainte-Laguë 1934, dass Insekten nicht fliegen können. (2) Angesichts des Umstandes, dass keines der tatsächlich fliegenden Insekten je davon gehört hatte und dennoch flog und fliegt, regte dieser Schluss zur Frotzelei und zu der Geschichte an, man habe berechnet, dass Hummeln nicht fliegen können.

Niemand wäre jemals auf die abwegige Idee gekommen, Vorschriften zu formulieren, die den Widerspruch zu dieser berechneten Erkenntnis unter Strafe stellen. Es wäre grotesk gewesen, Polizei mit der Aufgabe zu betrauen, diejenigen, die behaupten würden, dass Insekten flugtauglich seien, zu maßregeln, von der Straße zu holen, zu verhaften oder gar zusammenzuprügeln.

Wir wissen, um auf Israel und das Massaker in Gaza zurückzukommen, eines ganz sicher: wenn ein Land plötzlich Zehntausende von Menschen vernichtet, dann ist dies falsch.

Dieses Gefühl trügt uns nicht; gerade Deutsche dürfen bei einem derartigen Massaker nicht nur Unbehagen, Widerstand und Empörung empfinden, sondern sie müssen es sogar. Denn es ist dieses Deutschland, das jahrhundertelang im Abstand nur weniger Generationen immer wieder ganze, jüdische Gemeinschaften auf entsetzlichste Art getötet und vertrieben, als Kolonialmacht zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwerstes Leid über Namibia gebracht und anschließend gar Menschen fabrikmäßig, großindustriell vernichtet hat.

Dies Land muss diese Erkenntnis nicht erneut überprüfen und sich von Leuten verunsichern lassen, die anderes behaupten wollen. Wie ein Blick in die Natur auf Bienen ausreicht, reicht das Wissen um die eigene Geschichte selbstverständlich ebenfalls völlig.

Deutsche müssen verstanden haben, dass kein Denker, kein Intellektueller angehört werden darf, der sagt, es sei richtig, Massaker vermittels hoch entwickelten Militärs gegen Wehrlose zu verüben. Deutsche wissen, dass solche „Denker“ Täter sind, Schuldige, wenn nicht Wahnsinnige. Es gibt kaum eine einzige, deutsche Familie, die in der Geschichte des Landes nicht zu den Tätern gehört hätte, die das Blut der von ihnen Verfolgten an den Händen hat – oder zu den Opfern zählt, deren Angehörige und Vorfahren auf Scheiterhaufen oder in Gaskammern endeten.

Und wenn dann einer hingeht und sagt: „Hey, hier gibt es ein Massaker gegen Wehrlose, das ist völlig in Ordnung!“ – dann wissen wir Deutsche, woran wir sind und wen wir da vor uns haben. Einen Täter. Und wenn diesem Menschen kein Bildungsmangel oder Dummheit nachzuweisen ist, einen gefährlichen Täter noch dazu.

Deutsche müssen die Formel des französischen Insektenforschers nicht auseinanderlegen um zu wissen, dass Insekten fliegen können. Sie vertrauen auf ihre Erfahrung. Und Deutsche müssen den Standpunkt eines Denkers nicht analysieren, der entsetzliche Massaker gutheißt. Ein solcher Denker ist immer ein (Mit-) Täter.

Jürgen Habermas verfasste ein schreckliches Pamphlet mit dem Titel „Grundsätze der Solidarität“. Habermas, ein Leuchtturm deutscher Geisteswissenschaften mit einer endlosen Liste intellektueller Landmarken, die er in seinem Leben gesetzt hat. (1) Ausgerechnet er als zeitgenössischer und prominenter Vertreter der „kritischen Theorie“ stellt sich nun auf die Seite derer, die aufgrund faschistischer und rassistischer Ideen gerade dabei sind, ein ganzes Volk auszulöschen und seine Geschichte vergessen zu machen.

Die „kritische Theorie“ will Herrschafts- und Unterdrückungssysteme mithilfe der systematischen Erkenntnisgewinnung entschleiern und somit enttarnen. Aber Habermas tut mit seinem Statement das exakte Gegenteil; er hebt die öffentlich und offiziell ins Leben gerufenen Legenden über den „jüdischen Staat Israel“ auf den Schild und unterstreicht die daraus angeblich erwachsene Verpflichtung Deutschlands, unkritisch der Vernichtung Palästinas zuschauen zu müssen. Er akzeptiert das Massaker; seine Wendung, Israel müsse „verhältnismäßig“ dabei reagieren wirkt, als hätte jemand die Nazis dazu aufgefordert, die Juden vor ihrer Vernichtung bitte nicht auch noch zu foltern:

„Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden müssen dabei leitend sein.“

Es ist ein bitter sparsamer Satz, dürr, ungelenk und er zeigt, dass sich Habermas mit ihm quälte, weil er empfunden haben musste, dass man ihn ihm sonst im Nachgang erfolgreich abtrotzen würde.

Der zentrale, sinngebende Satz des ganzen Statements jedoch ist:

„Bei aller Sorge um das Schicksal der palästinensischen Bevölkerung verrutschen die Maßstäbe der Beurteilung jedoch vollends, wenn dem israelischen Vorgehen genozidale Absichten zugeschrieben werden.“

Hier behauptet Habermas, die Hummel könne nicht fliegen. Er tut aus unerfindlichen Gründen so, als habe es all die Kreischereien der israelischen Regierungen nicht gegeben, die die Auslöschung allen palästinensischen Lebens in Gaza fordern und versprechen. Er überhört die religiös-faschistischen Auswürfe Benjamin Netanyahus, der mit seiner „Amalek-Rede“ wortwörtlich und ganz zweifellos die Vernichtung Gazas samt allem, was dort lebt, als klare Absicht Israels ausformuliert.

Und er will auch nichts von der 75-jährigen Vorgeschichte wissen, da er ausschließlich nur den Angriff der Hamas von 7. Oktober, aber nichts von all den vorangegangenen Völker- und Menschenrechtsbrüchen, dem Landraub, den Folterungen und Zerstörungen erwähnt, die Israel gegen Palästina hat wüten lassen. Dazu klagt er allen Ernstes Solidarität mit einem Regime ein, dessen Vertreter Menschen als „Tiermenschen“ bezeichnen. Als hätten wir solcherlei nicht bereits erlebt!

Aber gerade Deutsche wissen, dass sie schon immer Wissenschaftler in ihren Reihen hatten, die sich allzu willig herrschenden Auffassungen unterordneten. (3) Einige arrangierten sich im Nationalsozialismus irgendwie, weil sie weder Lehrstuhl noch Forschungsmöglichkeit, Einkommen oder Verhaftungen riskieren wollten, andere schlossen sich den wahnsinnigsten Ideen begeistert an. Zuweilen trieb dies groteskeste Blüten wie dies der Heidelberger Nobelpreisträger Philip Lenard zeigte, der seine eigene Wissenschaft damit kastrierte, dass er die Einstein’sche Relativitätstheorie etwa ablehnte, bloß weil sie von einem Juden erdacht war.

Und so kastrieren sich auch heute ganz tagesaktuell viele Politiker, Wissenschaftler und Journalisten selber, um dem erwünschten Trend dienlich zu sein. Politiker äußern zuweilen dümmste Phrasen wie eine Annalena Baerbock, die in einem Interview unlängst tatsächlich sagte, es sei angeblich nicht Aufgabe der Politik, Kriege zu beenden, Journalisten lassen sich genaue Vorschriften aushändigen, wie die Realität durch Semantik korrekt zu verbiegen sei und dann gibt es noch Wissenschaftler wie Jürgen Habermas.

Er hat sich selbst mit diesem Statement schwer beschädigt. Hamid Dabashi ist Professor für Iranistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University in New York und schreibt in der „Middle East Eye“ (4) einen Essay dazu. Er sieht Habermas‘ Kompetenz in seiner Wissenschaft grundsätzlich widerlegt:

„Wenn Habermas in seiner moralischen Vorstellung kein bisschen Raum für Menschen wie die Palästinenser hat, haben wir dann irgendeinen Grund zu der Annahme, dass sein gesamtes philosophisches Projekt in irgendeiner Weise mit dem Rest der Menschheit zusammenhängt – über sein unmittelbares europäisches Stammespublikum hinaus?“

Dabashi sieht Habermas damit in der gleichen Position wie den zuvor erwähnten Heidelberger Lenard, der allein aufgrund der jüdischen Urheberschaft in seiner Theorie zwingend auf die Einsteinsche Relativitätstheorie verzichten wollte.

Und Dabashi geht leidenschaftlich in seinem Essay noch viel weiter. Er sagt:

„Habermas scheint nicht zu wissen, dass seine Befürwortung des Massakers an Palästinensern völlig im Einklang mit dem steht, was seine Vorfahren in Namibia während des Völkermords an den Herero und Namaqua taten. Wie der sprichwörtliche Strauß haben auch deutsche Philosophen ihre europäischen Wahnvorstellungen verinnerlicht und gedacht, die Welt würde sie nicht als das sehen, was sie sind.“

Abschließend müssen wir uns nur der Tatsache stellen, dass es zahllose Insekten gibt, die fliegen können. Wir brauchen die Habermashummel nicht um zu verstehen, dass wahllose Massaker unter Ignoranz der Rechte, der Identität, der Geschichte eines wehrlosen Volkes einfach ein Fehler sind. Einer, der gerade Deutsche wachrütteln und zum Protest auffordern muss. Wir müssen und dürfen „Wissenschaftler“ wie einen Jürgen Habermas, der gerade sein ganzes Lebenswerk zugunsten einer fragwürdigen wie falschen Außenpolitik Deutschlands verbrennt, überhören.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


  1. https://de.m.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas
  2. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hummel-Paradoxon
  3. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/tu-muenchen-forschung-nationalsozialismus-1.3984355
  4. https://www.middleeasteye.net/opinion/war-gaza-european-philosophy-ethically-bankrupt-exposed

 Zum Autor 
Michael Thomas ist Privatier, Fotograf, leidenschaftlich an Ägyptologie und Literatur interessiert, mit der er vor vielen Jahren als Autor regional einige Beachtung fand. Er verfolgt interessiert das Weltgeschehen durch Beobachtung internationaler Presse. Seinen Fokus legt er insbesondere auf die Palästinafrage und auf die islamische Welt.

 


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