Von Sportjournalistin Christine Wong
Heute stelle ich euch einen jungen Profiboxer vor, der am 15.09.2018 in Ludwigshafen in der Eberthalle seinen 7. Profikampf bestreiten wird. Es geht um die
GBU – EUROPAMEISTERSCHAFT im Halbschwergewicht gegen den 20 jährigen Georgier Geriso Aduashvili. (6-1, 5x durch Ko)
SÜKRÜ ALTAY, geb. am 24.07.1984 in Kempten debütierte am 04.02.2017 im Alter von 32 Jahren im Profibusiness. Nach dieser kurzen Karriere steht er bereits auf Rang 205 von 1043 Halbschwergewichtlern in der Weltrangliste. Bislang bestritt er sechs Kämpfe, die er allesamt gewann, 5 davon vorzeitig durch K.o. Er hält somit die K.o.-Quote von 100 Prozent.
Sein junges Leben verlief oft unter äußerst schwierigen Umständen. Umso beachtlicher ist es, dass er nun seinen Weg gefunden hat und für viele junge Menschen ein Vorbild sein möchte.
Hier ist seine Geschichte:
Sükrü wurde als Sohn türkischer Einwanderer in Kempten (Allgäu) geboren und war das zweite von sieben Kindern. Seine Eltern haben sich früh getrennt, Sükrü und seine Schwestern blieben beim Vater. Doch sieben Kinder ohne Mutter ist für einen alleinerziehenden Vater zu viel. So kam, was nicht ausbleiben sollte, Sükrü und seine Schwestern bekamen eine Stiefmutter und damit begann der Lauf seiner Lebensgeschichte.
Abgesehen davon, dass der Junge keinerlei mütterliche Liebe bekam, wurde er von der Stiefmutter über Jahre hinweg schwer misshandelt. In seinen Erinnerungen gibt es kaum einen Tag in seiner Kinder- und Jugendzeit, an dem er von der Stiefmutter nicht misshandelt, geschlagen und aufs Äußerste gequält wurde. (die Einzelheiten möchte ich nicht vertiefen) Als Erwachsener traf er zwar seine leibliche Mutter wieder, doch die Jahre seiner Kindheit hatten die Mutterbindung vollkommen zerstört. Heute bedauert er sehr, dass er keine Wärme und Geborgenheit kennenlernen durfte. Sein Trost waren und sind seine Schwestern, die ihn immer wieder liebevoll umsorgt haben und an seiner Seite waren.
Schon in der Schule machte sich sein häusliches Leben bemerkbar. Er hatte große Probleme, fühlte sich von den Mitschülern nicht anerkannt, wurde als schwächstes Glied in der Kette von seinen Mitschülern gehänselt und geschlagen. Auch die finanzielle Lage ließ keinen Spielraum zu. Er trug immer wieder die aufgetragenen Kleidungsstücke der Geschwister und hatte letztlich ein großes Problem, sich gesellschaftlich zu integrieren.
Als Sükrü schließlich 16 Jahre alt war, passierte ihm etwas, dass sein Leben von Grund auf ändern sollte. Aufgrund einer Verwechslung wurde er von einer Gruppe Kurden, alle älter als 21 Jahre, zusammengeschlagen und ins Koma geprügelt. Über dieses Ereignis wurde seinerzeit in den Medien berichtet.
Noch im Krankenbett hat er sich geschworen, nie wieder so hilf- und wehrlos zu sein und so ging er nach seiner Entlassung direkt in ein Gym, um Boxer zu werden.
Er startete seine Amateurlaufbahn im Jahr 2000, seine Kampfbilanz kann sich sehen lassen. 82 Kämpfe, 59 Siege. 10 seiner Kämpfe gab er verloren, 13 wurden unentschieden gewertet und 47 von 53 gewonnen Kämpfen beendete er vorzeitig durch K.o. Er wurde 2 mal schwäbischer Meister, auch bayrischer Meister, boxte unter anderem auch in Österreich.
Sein Trainer Horst Witterstein, (06.02.1930 – 14.07. 2018) selbst ehemaliger Amateurboxer im Schwergewicht und als einer der besten Amateurboxer Deutschlands bekannt (zahlreiche große Titel, qualifiziert und nominiert für die Olympiade 1956 in Melbourne), hielt sehr große Stücke auf Sükrü und unterstützte ihn auch bisweilen finanziell, damit der Junge seine Kämpfe bestreiten konnte.
In den Jahren von 2000 bis 2009 blieb er beständig an Sükrüs Seite und lehrte ihn alles, was ein Boxer können muss, um erfolgreich zu sein. Für Sükrü war er wie ein Vater. Im Interview sagte er, dass er ihn sehr geachtet und geliebt hat. „Er war der Mann, dem ich immer vertrauen konnte. Auch in schwierigen Zeiten war er für mich da und an meiner Seite. Leider ist er vor kurzem gestorben, aber ich werde ihn immer in ganz großer Erinnerung behalten als Trainer, als Vorbild, als Freund“.
Nach seinem Hauptschulabschluss begann Sükrü eine Lehre zum Elektromechaniker, brach dann allerdings nach mehr als 2 Jahren ab, weil er die Diskriminierung und die Beleidigungen durch seine Kollegen nicht mehr ertragen konnte. Er wechselte den Betrieb, entschied sich für die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker und verlor seinen Platz, nachdem er wegen einer Verletzung nach einem Boxkampf längere Zeit nicht mehr in die Ausbildung gehen konnte. Nun verlor er endgültig seinen Halt. Durch die Kindheit war er ohnehin nicht mit Selbstwertgefühl ausgestattet und es kam, was kommen musste. „Freunde“ forderten ihn immer wieder auf, doch den Einen oder Anderen mal zu verprügeln und verkauften ihm das jeweils als gute Tat, als Hilfe für große Probleme.
Der gutmütige Junge ließ sich von den „Freunden“ einspannen und wurde für seine Taten als Held gefeiert. Das ihn das beflügelte, sieht er heute als sehr schlecht an aber damals empfand er zum ersten mal in seinem Leben Anerkennung, Achtung, Respekt und er konnte beweisen, „dass er jemand war.“
Die Folgen blieben nicht aus. Wegen Körperverletzung musste er zweimal ins Gefängnis (2004 bis 2005 und 2014 bis 2016) Nun endlich konnte er eine Ausbildung machen und erfolgreich beenden. Er wurde Schweißer und bestand alle Prüfungen mit der Note 1
Bei seinem zweiten Gefängnisaufenthalt hatte er bereits einen Sohn und war verheiratet. Für ihn war der Zustand unerträglich, seinen Sohn und die Frau so selten zu sehen. Er schwor sich deshalb, sein Leben von Grund auf zu ändern. Er hatte keine Freunde mehr und nun gelernt, wie schnell sogenannte Freunde aus dem Leben wieder verschwinden. Nur einer war für ihn da, sein Schwager Mehmet Sahin. Mehmet besuchte ihn im Gefängnis und gab ihm Mut. „Du kannst alles schaffen in deinem Leben, du musst nur genauso sehr an dich glauben wie ich an dich glaube“ waren seine Worte. Und Sükrü hatte Ideen für seine Zukunft. „Nie wieder Gefängnis, nie wieder von Frau und Sohn getrennt sein“, das war für ihn nun oberste Priorität und er arbeitete daran.
Sein einziger Vertrauter, sein Schwager Mehmet, teilte ihm kurz vor seiner Entlassung mit, dass er an einem lebensbedrohlichen Tumor erkrankt war und bereits Metastasen hat. Doch trotz dieser Krankheit stand er an Sükrüs Seite und machte ihm großen Mut für eine gute Zukunft. Nur weinige Monate nach Sükrüs Entlassung starb Mehmet, selbst noch ein junger Mann. Er wurde nur 34 Jahre alt.
Als Sükrü schließlich 2016 entlassen wurde, hatte er nicht nur eine abgeschlossene Ausbildung als Schweißer im Gepäck sondern auch einen riesigen Rucksack voller Ideen und guter Vorsätze für seine Zukunft. Und die setzt er um. Vorbild will er sein, besonders für Kinder und Jugendliche. Er will zeigen, dass man seinen Weg immer gehen kann, wenn man an sich glaubt, dass man Vertrauen in das eigene Leben haben muss, dass man Verantwortung für sich und seine Nächsten übernehmen soll. Was eignet sich dafür besser, als sich im Ring als Kämpfer zu präsentieren?
„Das Leben ist ein Kampf“ so Sükrü, „du musst nur immer die richtige Entscheidung wählen, dich nicht von anderen beeinflussen lassen“. Sükrü hat endlich verstanden, nicht zuletzt auch, weil er im Gefängnis gemerkt hat, wie sehr er bedauert, nicht für Frau und Kind da sein zu können und sich für die Familie verantwortlich zu zeigen.
„Ich habe meiner Frau so viel zu verdanken und mein Sohn soll mit Liebe und beiden Eltern aufwachsen. Ich will ein gutes Vorbild auch für ihn sein und das ist jetzt ein Teil meines Lebensplans. Er soll es besser haben als ich es hatte“, so Sükrü im Gespräch.
„Als ich meinen vorletzten Kampf gegen Aleksandar Jankovic um die deutsche Meisterschaft der GBA gewann, war ich sehr stolz und glücklich. Es ist im Grunde nur ein kleiner Titel aber mir bedeutet er sehr viel“ so Sükrü. „Diesen Kampf habe ich Präsident Erdogan und den gefallenen Soldaten gewidmet und es war mir eine große Ehre, dass ich den Gürtel persönlich überreichen durfte“. Und weiter sagte er: „in meiner Brust schlagen zwei Herzen. Ich liebe Deutschland, bin hier geboren und aufgewachsen und ich liebe die Türkei, in der meine Wurzeln sind. Bin ich in Deutschland, bin ich oft Anfeindungen ausgesetzt und werde als “nichtdeutsch“ betrachtet, in der Türkei bin ich Deutschtürke. Letztlich ist diese Konstellation schwierig.“
Auf meine Frage, ob er seinen Fans eine Botschaft überbringen möchte, antwortet er:
„Man sollte sich immer ein Ziel vor Augen halten und das Ziel streng verfolgen. Es gibt nichts, was man nicht erreichen kann. Du darfst niemals den Glauben an dich selbst verlieren, egal, was auch immer passiert, egal, was die Menschen von dir denken. Du bist allein für dich und dein Leben verantwortlich und musst dir jeden Tag selbst beweisen, dass du alles erreichen kannst, was du dir vornimmst.“