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Erfahrungsbericht: Türkische Krankenhäuser waren früher eher Krankmacher

Ich bin beeindruckt, wie sich dieses Land eine Industrie mit unzähligen Krankenhäusern und kooperierenden Hotels geschaffen hat, die weltweit Kunden anzieht. Und das ist ein Land, was noch vor 15 Jahren im Gesundheitssystem höchstens Dritte-Welt-Niveau hatte und zum Teil nicht mal Geld für OP-Fäden besaß. Ein Erfahrungsbericht.

(Symbolfoto: pixa)
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Von Can Ünal

Gepeinigt (wieder einmal) von Nierensteinkoliken musste ich vor 5 Wochen in Deutschland sofort zum Krankenhaus.

Da es am Wochenende passierte, hatte ich wieder einmal das Pech, trotz Einlieferung in ein „Klinikum“ quasi auf Halde abgelegt zu werden, das heißt von Samstag bis Montag früh in einem Zimmer mit zwei sterbekranken Patienten darauf zu warten, dass ich vernünftig untersucht werde.

Am Montag dann die Diagnose, dass die rechte Niere einen kleinen Stein hat, welcher die heftigen Schmerzen verursacht, aber dieser nicht im Röntgenaufnahmen zu sehen ist und deswegen auch nicht entfernt werden kann. Die linke Niere hätte einen sehr großen Stein, aber da es direkt in der Niere liege, sollte man zwei OP’s (eine für linke und eine für die rechte Niere) machen, auch weil man den großen Stein nur durch eine große OP entfernen könne.

Resultat: irgendwie und irgendwann verkroch sich der kleine Stein in der rechten Niere aus dem Harnleiter und ich wurde nach 3.5 Tagen Krankenhausaufenthalt und ohne irgendwelche konkrete Maßnahmen entlassen.

Nun platzte mir der Kragen und ich beschloss, mich nach Alternativen umzusehen. Die Drohung von zwei unabhängigen Operationen verband ich mit Leid, Kosten und vor allem Ineffizienz und das Dreierzimmer mit den beiden Sterbepatienten war eigentlich Abschreckung genug.

Als Türkischstämmiger hatte ich durch meine Eltern und nahe Verwandten erfahren, dass das einstmals miserable türkische Gesundheitssystem mittlerweile eine gute wenn nicht „die“ Alternative zu Deutschland wäre. Neue Geräte, neue Strukturen und vor allem eine komplett andere Definition von Service hatten genug Bekannte und Verwandte von mir überzeugt, sich in der Türkei behandeln zu lassen.

Meine eigenen Erinnerungen an das türkische Gesundheitssystem waren bis dato eher negativ geprägt. Beim letzten Krankenhausbesuch vor vielen Jahren in Istanbul hatte ich eine völlig abstruse Rechnung erhalten und davor war es Ende der 1990er, wo türkische Krankenhäuser eher Krankmacher waren mit mangelnder Hygiene, unfreundlichem Personal und Ärzten, die nur nach Bestechung überhaupt bereit waren, sich Patienten anzuschauen. Die kommende Weihnachtszeit war für mich die Gelegenheit, die Alternative Türkei in Betracht zu sehen – also flog ich in meine Heimatstadt Kayseri in der Zentraltürkei, also quasi in die Provinz, und suchte dann ein empfohlenes Krankenhaus auf.

Im Krankenhaus führte ein freundlicher, kompetenter Arzt ein 30 minütiges Beratungsgespräch und danach ging es runter zum Labor, Blutentnahme, Röntgen und die Blut-Analyse dauerten etwa 50 Minuten und danach wieder zum Arzt. Für sowas muss ich in Deutschland meist mindestens drei bis fünf Tage einplanen.

Am nächsten Tag ging es schon in die OP, es wurden beiden Steine entfernt und zwar direkt über den Harnleiter und am nächsten Tag war ich wieder entlassen und konnte sogar am gleichen Abend Salsa tanzen (okay, ich bin manchmal verrückt).

Von den geplanten zwei Wochen hatte ich noch eine Woche übrig und dafür hatte ich mir Istanbul ausgesucht – für mich die schönste Stadt der Welt.

Noch im Mai 2017 sah ich in Istanbul relativ viele bettelnde Syrer, jetzt plötzlich Fehlanzeige. Ich laufe die berühmten Ecken von Istanbul ab, Sultanahmet, Misir Carsisi, Sirkeci, Taksim, Istiklal Caddesi. Es wimmelt von Menschen, Türkisch ist an manchen Ecken kaum zu hören, viel Arabisch, Persisch, Chinesisch, Malaysier, Indonesier, Balkan-Sprachen jeglichen Cooleurs, Armenisch. Aber – außer vielen Deutschtürken, die untereinander auch in der Türkei Deutsch reden, kaum Deutsch oder andere europäische Sprachen. Die Westeuropäer sind also weiterhin nicht da, aber ehrlich gesagt hatte ich nicht das Gefühl, dass irgendjemand hier denen eine Träne nachweint.

Interessant war für mich auch festzustellen, dass die manchmal nervige Hektik der Istanbuler verschwunden ist – vielleicht mag es an dem Verkehr liegen, die deutlich besser geworden ist, seit mit Marmaray, der 3. Hängebrücke und vor allem den vielen neuen U-Bahn-Verbindungen die Leute sich einfach schneller und stressfreier fortbewegen.

Ich fahre mit der U-Bahn zurück in mein Hotel in Gayrettepe und sehe dabei in der U-Bahn viele junge Menschen und interessanterweise acht von zehn Frauen ohne Kopftuch. Wo ist die in deutschen Medien heraufbeschworene vermeintliche Islamisierung unter der jetzigen Regierung?

Dann in meinem Hotel (ein kleines, feines Boutique-Hotel) fallen mir Frauen und Männer mit Verbänden auf. Erst eine Frau mit komplettem Verband um die Nase, dann zwei Männer mit Verbänden um den Kopf. Es sind Türken, Araber, Italiener, Tschechen oder andere Ausländer die anscheinend den Winter damit verbringen, sich die Nase, den Po, Augen, Haare, usw. operieren zu lassen, und so sieht das ganze Hotel aus wie ein Feldlazarett. Ich bin beeindruckt, wie sich dieses Land eine Industrie mit unzähligen Krankenhäusern und kooperierenden Hotels geschaffen hat, die weltweit Kunden anzieht. Und das ist ein Land, was noch vor 15 Jahren im Gesundheitssystem höchstens Dritte-Welt-Niveau hatte und zum Teil nicht mal Geld für OP-Fäden besaß.

Während der Nierenstein-OP wurden mir in beiden Harnleitern Schienen für den besseren Abfluss der Reste gelegt, die dann in Deutschland entfernt werden sollten.
Ich denke, naja, es sollte kein Problem sein, schließlich ist es keine Operation und sollte schnell durchgeführt werden, aber ich vergaß wieder einmal den Formalismus hier in Deutschland. Ich gehe zu einem mir schon bekannten Urologen und stelle mich der Arzthelferin vor. Sie kennt mich und auch die Sache mit den Nierensteinen. Triumphierend sage ich ihr, dass beide Nieren wieder frei von Steinen sind und nun die dafür benötigten Schienen entfernt werden können.

Die Dame agiert quasi als „Arzt in spe“ und fragt mich, wo die OP durchgeführt worden wäre. Die Antwort „Türkei“ ruft in ihrem Gesicht Runzeln und Skepsis hervor und schon folgt die nächste Frage „was für Schienen sind es denn?“

Die Fragestellungen nerven ein wenig und so fällt auch meine Antwort aus: „Ich war Patient und nicht der behandelnde Arzt, woher soll ich wissen, was da für Schienen drin sind“. Nun ist der Kampfmodus auf beiden Seiten auf „online“.

Ihre Antwort erfolgt dann auch prompt: „Ja, also das müssen wir schon genau wissen, ob wir es ambulant so einfach herausziehen oder quasi herausoperieren sollen“.

Meine Geduldsreserven neigen sich zum Ende zu und ich sage ihr, dass der türkische Arzt mir gesagt hätte, dass die Schienen leicht zu entfernen wären.

Dann darf ich 30 Minuten warten, bis die Dame den Arzt konsultiert hat, anstatt das der Arzt mit mir selbst spricht. Ich werde dann aufgerufen und von der Helferin gefragt, ob ich Röntgenaufnahmen hätte. Wieder Hoffnung schöpfend halte ich die CD hoch, die mir das türkische Krankenhaus mit meinen Röntgenaufnahmen mitgegeben hatte. Die aufkeimende Hoffnung wird jäh zerstört, als die Dame mir sagt, dass sie „richtige“ Röntgenaufnahmen bräuchten und keine CD. Ich überlege ob ich mich im Jahre 2018 oder 1980 befinde, so grotesk wirkt es nun.

Mein Hinweis, dass auf dem CD auch Röntgenaufnahmen sind wird mit einem weiteren „Ich frag mal den Doktor“ quittiert und schließlich mit „nein, das können wir nicht so akzeptieren“ abgelehnt.

Dafür erhalte ich nun einen Überweisungsschein zu einem Röntgenlabor, welches ich nur zu gut mit extrem langen Wartezeiten und uralt-Röntgengeräten kenne. Ich werde instruiert auch nur in dieses Labor zu gehen, da man nur mit diesem zusammenarbeite und sonst mir keinen Termin hinsichtlich der Entfernung der Schienen aushändigen werde. Nach über einer Stunde Wartezeit, elenden Diskussionen, keinen Termin, kein Arztgespräch und einer lächerlichen Überweisung zu weiteren Wartezeiten gehe ich von dannen…

Deutsches Gesundheitssystem und ärztliche Ausbildung nach wie vor absolut spitze

Meine persönlichen Erfahrungen im Gesundheitswesen sollten bitte nicht den aktuell anscheinend populären „Wer ist der Tollste“ – Diskussionen zugeordnet werden.

Prinzipiell ist das deutsche Gesundheitssystem und die ärztliche Ausbildung nach wie vor absolut spitze, vor allem wenn man wie ich direkte Vergleiche mit Frankreich, Spanien oder USA ziehen kann, von anderen Staaten ganz zu schweigen.

Es bahnt sich aber in Deutschland mit ihren schwerfälligen Formalismen, sinnlosen Gesetzesinitiativen, den unterschiedlichen föderalistischen Aspekten des Gesundheitssystems, der Trennung von Kassen- und Privatpatienten ein großes Problem an und die Auswüchse sind nun einmal da.

Die Welt in der wir leben, hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert. Technologien, die noch vor 20 Jahren Utopie waren, dominieren unser Leben, wir sind überall erreichbar, wir können alles an Information sofort abrufen und sind in der Lage, verschiedene Quellen mit einem einzigen Gerät, dem Smartphone, sofort anzuzapfen.

Die Zeiten, wo ein Arzt, Anwalt, Banker, usw. sagte, was bei Gesundheit, Recht oder Finanzen, gut oder schlecht ist, sind vorbei und es kommen Technologien auf uns zu, die all diese Dinge noch mehr beschleunigen werden.

Ein Beispiel:

IBM Watson ist eine KI-Plattform mit aktuell 18 sog. „services“, von Übersetzung, bis Bildererkennung, mobilen Services, ist ziemlich vieles vertreten.

Nun gibt es im Watson z.b. eine sog. „Health Service Unit“, womit ein Arzt z.b. mit seinem Smartphone einen Leberfleck fotografieren und diese sofort zu Watson senden kann. Watson kann anhand der Bilderkennung und den Patterns des Leberflecks mit bis zu 90% Sicherheit bestimmen, ob dieser Leberfleck bösartig ist und das in Minuten und bald Sekunden.

Ähnliche Services gibt es nun für „Legal Services“ also Rechtssprechung, Versicherungen, Banken, im Grunde für fast alle Bereiche unseres Lebens.

Das sog. „Internet of Things“ ist nichts anderes als die komplette Digitalisierung und Vernetzung aller elektrischen Hilfsmittel wie Kühlschränke, Autos, Herd, Toaster, usw. und Amazon’s Alexa ist nur ein Vorgeschmack, was uns noch an Transformationen bevorstehen. Aus diesem Grunde wundere ich mich immer wieder, dass insbesondere in dem riesigen Markt des Gesundheitssystems in Deutschland zum Teil noch so gearbeitet wird, als wäre es erst das Jahr 199x.

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Can Ünal

Can Ünal studierte an der Freien Universität Berlin Physik und
ist Geschäftsführer der DataMiner Inc. USA
Ünal wohnt in Darmstadt.