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Kommentar: „Taxifahren in Istanbul ist stets ein Abenteuer“

Ich steige gestern in Üsküdar ins Taxi. Der Fahrer, ein schlacksiger Hühne mit blauen Augen und zurückgeschleckten, ergrauten Haaren. Nennen wir ihn Temel. Temel will losfahren, als er einen Bekannten vorbeigehen sieht und ihn freundlichst grüßt. Kaum losgefahren, sagt der gute Temel: "Hurensohn, dreckiger!"

(Foto: pixa)
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Von Ruşen Timur Aksak

Ich steige gestern in Üsküdar ins Taxi. Der Fahrer, ein schlacksiger Hühne mit blauen Augen und zurückgeschleckten, ergrauten Haaren. Nennen wir ihn Temel. Temel will losfahren, als er einen Bekannten vorbeigehen sieht und ihn freundlichst grüßt. Kaum losgefahren, sagt der gute Temel: „Hurensohn, dreckiger!“

Ich zu Temel: „Warum hast du ihn dann so überschwänglich gegrüßt?“

Er: „Er ist mein Nachbar, ich will kein Kopfweh haben.“

Außerdem sei sein Nachbar ja ein echter „Bastard“. Er habe früher den Sohn des Erdogan Sohnes Burak gefahren und ansonsten die Leibwächter Erdogans in den schwarzen Mercedes Vitos.

Ich: „Bist du gegen die AKP?“
Er: „Ja, aber darum gehts nicht.“

Temels Nachbar habe in den Teehäusern stets geprahlt, wen er alles gefahren habe, wohin er sie gebracht habe. Nach Temels Auffassung war das ein Sicherheitsrisiko und verstößt auch gegen die Fahrer-Ehre. Also habe er dafür gesorgt, dass er abserviert wurde.

„Ich bin aus Rize (Schwarzmeerküste, Erdogans Eltern stammen von dort), mein Nachbar auch, Erdogan ja auch. Politik ist Politik, aber nach außen müssen wir geschlossen auftreten. Außerdem könnten ja ausländische Geheimdienste mit am Tisch sitzen. Deswegen darf mein Nachbar jetzt wieder Taxi fahren.“

Ich: „Gehört dein Herz der MHP?“
Er: „Ja, aber ich bin ein echter Nationalist, nicht diese weichgespülte Scheiße von Bahceli (MHP-Chef).“

Temel setzt nochmal an: „Ich habe auch bei der Abstimmung mit Nein gestimmt, nur einmal AKP gewählt, das war ganz am Anfang. Aber wie gesagt, es gibt Grenzen und wir müssen nach außen als Nation Geschlosseneit zeigen.“

Ich: „Magst du den AKP-Bezirksbürgermeister?“
Er: „Redet viel, plakatiert sich gern selbst, aber wenig erfolgreich. Typisch AKPler halt.“

Wir kommen an. Er hat viel geredet, ich habe ihn reden lassen und nur einzelne Fragen gestellt. Er blickt mich etwas verwirrt an: „Kein normaler Istanbuler hört so aufmerksam zu, spricht so wenig und fragt so gezielt. Bist du ein Ermittler, oder vom Geheimdienst? Bin ich jetzt in Schwierigkeiten?“

Ich bin zwar etwas überrascht, aber eher amüsiert: „Nein, ich bin etwas Schlimmeres als Agent. Ich bin Journalist. Aber keine Sorge. Ich bin im Urlaub, aber es war aufschlussreich. Danke dafür.“

Temel überlegt kurz.
„Darf ich dir meine Karte geben? Wenn du irgendwas brauchst, dann kannst du mich jederzeit anrufen. Du weißt, wir Leute aus Rize geben hier den Ton an.“

Ich nehme seine Visitenkarte, bedanke mich und steig aus.
Und die Moral der Geschichte: Taxifahren in Istanbul ist stets ein Abenteuer.

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