Dortmund (nex) – Von den Medien kaum beachtet fand vor einigen Tagen in Berlin ein internationaler Kongress über den deutschen Völkermord an den Herero und Nama statt. Der ehemalige CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der die Verhandlungen mit der namibischen Regierung für die Bundesregierung führt, hat ausgeschlossen, dass es Wiedergutmachung geben wird.
Bei Vetretern der Nachfahren der Opfer des Völkermordes stieß das auf massive Ablehnung. In einer gemeinsamen Resolution fordern die Kongressteilnehmenden die direkte Beteiligung der Herero und Nama an allen Verhandlungen mit Deutschland zum Völkermord und die weltweite Anerkennung des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts. Bereits im September gab es Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und Namibias über eine Aufarbeitung des Genozids an Herero und Nama. Opferverbände beklagen, dass die Regierung in Windhuk dabei lediglich eigene finanzielle Interessen verfolge.
In zahlreichen Kongressreden, auf zwei eindrucksvollen Kundgebungen in Berlins Mitte, einer von MdB Niema Movassat (Die LINKE) organisierten Pressekonferenz und einem Arbeitstreffen mit Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag machten die Vertreter_innen der Herero- und Nama-Verbände unmissverständlich deutlich, dass es Versöhnung nur auf der Basis ihrer direkten und bedingungslosen Beteiligung an den schon seit 2014 laufenden Verhandlungen zwischen der namibischen und deutschen Regierung zum Genozid an ihren Gemeinschaften geben kann. Sie betonten, dass die beiden Regierungen den entsprechenden Beschluss des namibischen Parlaments vom 26. Oktober 2006 als die alleingültige Grundlage von neu zu beginnenden Verhandlungen anerkennen und die international garantierten Rechte der betroffenen Gemeinschaften wahren müssten.
In enger Zusammenarbeit mit afrikanischen, Schwarzen und kolonialismuskritischen Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland erarbeiteten die Herero- und Nama-Delegierten in Berlin eine gemeinsame Kongressresolution, in der die kritische Auseinandersetzung mit dem Völkermord zu einer globalen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erklärt wird. Neben einer offiziellen Anerkennung des Genozids, einer aufrichtigen Bitte um Entschuldigung von deutscher Seite und Wiedergutmachungsverhandlungen unter direkter Beteiligung der Repräsentant_innen der Herero und Nama aus Namibia und aus der Diaspora wird daher auch eine kritische Beobachtung des verlangten Trialogs durch Nichtregierungsorganisationen gefordert.
„Es ist einerseits ein positiver Schritt, aber der andauernde Ausschluss der traditionellen Führer der Nachkommen der beiden Volksgruppen, auf die die Befehle zum Völkermord direkt zielten, verringert die Bedeutung der Verhandlungen zwischen den Regierungen. Es wird keine wirklich dauerhafte Lösung geben, wenn nicht die Vertreter der Opfer-Volksgruppen beteiligt werden“, so Herero-Häuptling Vekuii Rukoro in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Telepolis.
Es gebe eine ganze Menge Dinge, die die deutsche Regierung anderen einschließlich der namibischen Regierung vorschreibe. Sie entscheide, wann sie das tue und wann nicht. Im Augenblick habe sie entschieden, dass sie eine Entschuldigung aussprechen werde, aber dass sie anstelle von Wiedergutmachung der namibischen Regierung nur Entwicklungshilfe zahlen werde. Damit schrieben sie den Opfern in Namibia vor, was sie zugestehen und was nicht, so Rukoro weiter.
In einem Interview mit Radio Dreyeckland kritisierte auch Israel Kaunatjike, ein Herero, der in Berlin lebt und sich für das Bündnis “Völkermord verjährt nicht!” sowie bei Berlin Postkolonial engagiert, dass namibische Herero- und Nama-Verbände von den Gesprächen über eine Aufarbeitung des deutschen Völkermordes Anfang des 20. Jahrhundert ausgeschlossen seien.
Kaunatjike spricht gegenüber dem Sender von “Geheimverhandlungen, zu denen die Opferverbände nicht eingeladen sind” und erklärt, die Gruppen wollten die Ergebnisse, die ohne ihre Beteiligung verhandelt worden seien, nicht respektieren. Die namibische Regierung verfolge nur finanzielles Interesse an so genannter Entwicklungshilfe und sei nie in der Frage selbst engagiert gewesen, betonte der Aktivist.
Erst auf weltweiten Druck der Opferverbände, dem sich auch das Parlament nicht habe verschließen können, habe sich die Regierung 2006 für das Thema zu interessieren begonnen. Die Opfervertreter selbst habe man jedoch von Beginn an ausgebootet. Der frühere Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz, habe auf Anfrage im Namen der deutschen Regierung erklärt, dass Verhandlungen dieser Art nur auf Regierungsebene stattfänden, so Kaunatjike. Es sei jedoch die Vertretung eines kleinen Stammes sehr wohl in Berlin mit zu den Verhandlungen eingeladen worden, die jedoch nicht die breite Bevölkerung und die Opfer repräsentiere.
“Das ist ein ‘Teile und herrsche’, und das stört uns einfach”, erklärt der Herero-Aktivist. Eine Bedeutung für die Gegenwart habe die Frage, wer in wessen Namen verhandelt, durchaus noch, so Kaunatjike. “Vertriebene in Botswana, Südafrika und Angola, deutsche Siedler leben heute noch auf deren Land”, erklärte er weiter. Zu 75 Prozent handle es sich dabei um Farmland. Man strebe diesbezüglich eine Restitution oder eine Entschädigung an.
“Unsere Anliegen werden ignoriert”, so Kaunatjike in einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal NEX24. “Sie werden uns aber nicht bremsen können.”
Man rücke die Schädel seiner Vorfahren unter fadenscheinigen Gründen nicht heraus.
Um die angebliche Minderwertigkeit der Afrikaner zu belegen, brachten die Deutschen aus ihrer damaligen Kolonie Schädel und Gebeine Einheimischer nach Berlin. Der Historiker Jürgen Zimmerer, der sich seit Jahren mit der Kolonialgeschichte befasst, geht davon aus, dass damals über 1000 menschliche Überreste nach Deutschland gelangten, deren Reste teilweise bis heute in Archiven, Magazinen und Kliniken lägen, berichtet Deutschlandradio Kultur.
Die Geschichte der Schädel, das sei bis heute ein Trauma für ihr Volk, empört sich Ester Utjiua Muinjangue, Angehörige der Volksgruppe der Herero aus Namibia.
“Die deutsche Schutztruppe brachte die abgetrennten Köpfe zu den Herero-Frauen und zwang sie, sie zu reinigen, damit sie wie Eier fein säuberlich in Kartons nach Deutschland transportiert werden konnten, beschreibt Muinjangue. Es konnten die Köpfe ihrer Ehemänner, Brüder oder Schwestern sein.”
Der seit 1970 in Berlin lebende Herero-Nachfahre Kaunatjike fordert außer einer offiziellen Entschuldigung der Bundesregierung die viel stärkere Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Genozid als bisher.
Die Bundesregierung habe die Forschung an menschlichen Gebeinen, die im kolonialen Unrechtskontext nach Deutschland deportiert worden seien und nicht der Rückgabe an die Herkunftsgesellschaften dienten, zu unterbinden. Die Aufstellung riesiger rasseanthropologischer Sammlungen mit den sterblichen Überresten tausender Kolonisierter und Widerständiger aus aller Welt sei eines der düstersten Kapitel der europäischen Wissenschaftsgeschichte, lässt das Bündnis in der Pressemitteilung verlautbaren.
Vor dem Hintergrund der daran anknüpfenden Verbrechen der NS-Wissenschaft komme der Bundesrepublik hierbei eine besondere historische Verantwortung zu.
“Wir kämpfen für eine Wiedergutmachung und Anerkennung des Völkermordes”
Im Gegensatz zu den Armeniern würden sich die Nachfahren der Völkermordopfer von der Bundesregierung nicht ernst genommen fühlen, kritisierte der Sprecher der Berliner Nichtregierungsorganisation, Kaunatijke, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: “Wir werden einfach diskriminiert und als zweite Klasse behandelt.”
Die UNO erkannte bereits 1948 den Völkermord an den Herero und Nama an.