Istanbul (nex) – Der türkische Kanal A Haber hat in dieser Woche ein interessantes Interview mit einer prominenten Persönlichkeit geführt. Der ehemalige Vizepräsidenten des Irak, Tarek Al Hashimi, hat Reporter des Senders in seiner Privatresidenz in Istanbul empfangen.
A Haber: Der Krieg im Irak wird mit verschiedenen Namen betitelt. Es gibt Leute, die nennen ihn einen Energiekrieg, andere nennen ihn einen Konfessionskrieg, andere nennen ihn einen Krieg um die Machtinteressen und wiederum andere einen Krieg um geografische Grenzen. Wie würden Sie den Konflikt betiteln und wie sehen Sie die Zukunft des mittleren Ostens, zumal wir zwar denken, dass der Krieg nur im Irak oder in Syrien stattfindet, aber tatsächlich auch die USA, europäische Länder, Russland, Iran und auch die Türkei involviert sind?
Al Hashimi:
Als erstes bedanke ich mich für die Einladung. Wenn wir die Probleme in der Region anschauen, sehen wir auch, wie wichtig diese Probleme sind. Es ist richtig, dass die Länder und die Bevölkerung in diesen Ländern einer großen Gefahr ausgesetzt sind. Ich denke, dass die Ereignisse in der Region aber auch als Wehen zu bezeichnen sind, die, wie ich glaube, mit einer Geburt enden werden. Die Geburt wird die Region in eine ganz andere Situation befördern, aber die eigentliche Frage ist, welche Art von Veränderung hier stattfinden wird. Wird diese Veränderung zugunsten der gegen Unterdrückung kämpfenden Aufständischen sein, die für ein Leben in Würde kämpfen, oder genau andersrum? Ich bin davon überzeugt, dass das Volk siegen wird und hoffe, dass der Anfang hierfür in Syrien sein wird.
Meiner Meinung nach wird das syrische Volk, dass seit fünf Jahren unter diesen Umständen leidet, ein neues Kapitel eröffnen und in diesem Kapitel wird Assad keine Rolle spielen. Ich habe keine Zweifel daran, dass dies auch Auswirkungen auf den Irak haben wird. In so einem reichen Land verhungert das Volk. Die Freiheit der Bevölkerung ist gegeißelt, die Bildung ist vollkommen zum Erliegen gekommen und die Sicherheitskräfte sind verwundet. Die Regierung ist in den Händen anderer. Zu alledem kommen Probleme wie Gewalt und Terror. Das derzeitige Bild ist wirklich erschreckend. Aber ich bin davon überzeugt, dass in diesem Bild die Guten die Bösen besiegen werden. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Region eine historische Änderung durchlebt. Und ich bete zum allmächtigen Herrn, dass diese Geburt eine gesegnete sein wird. Eine Geburt, die der von Gewalt und Unterdrückung ermüdeten Bevölkerung einen neuen Hoffnungsschimmer bringt.
A Haber: Was denkt die Bevölkerung des mittleren Ostens allgemein und insbesondere die des Irak über die Geschehnisse und was wünscht sie sich? Hat die irakische Bevölkerung eine Perspektive, eine Vorstellung über den Ausgang dieser Phase?
Al Hashimi:
Die ganze irakische Bevölkerung ist über die Ereignisse sehr unzufrieden. Die Unzufriedenheit ändert sich je nach Region, Gruppe und politischer Ansicht der Bevölkerung. Heute sind sechs sunnitische Regionen durch Bombardements zerstört. In manchen Regionen herrscht der Terror und es gibt dort militärische Operationen. In diesen Gebieten verüben von Iran unterstützte Gruppen Gräueltaten. Hier will man die Regionen durch Konfessionskriege voneinander abgrenzen. Insbesondere im Süden vom Bagdad und Basra herrschen Korruption, ein Ausbleiben öffentlicher Leistungen und eine zum Stillstand gekommene Bildungspolitik. Stellen Sie sich mal vor, in so einem reichen Land leiden mehr als 30 Prozent der Bevölkerung an Hunger! Drei bis vier Millionen sunnitischer Araber sind gezwungen, diese Regionen zu verlassen.
Diese Leben unter schwierigsten Bedingungen oder leben zurzeit als Gast in der Türkei. Das ist eine sehr schmerzhafte Situation. Im Irak gibt es keine Regierung, die den Willen des Volkes wiedergibt, weil die Regierung vom Iran übernommen wurde. Die Ausmaße sind so schwerwiegend, dass keine politische Entscheidung getroffen werden kann, ohne den Iran um Erlaubnis zu bitten. Um dies zu verbessern, braucht es eine Veränderung und eine Transformation. Doch um die Probleme Iraks zu lösen, müssen wir erst mal die Hindernisse aus dem Weg schaffen. Wir müssen es verhindern, dass der Iran zu viel Einfluss im Irak ausübt. Wenn wir die Fäden Iraks nicht wieder aus den Händen Irans lösen können, wenn wir nicht verhindern, dass der Iran Bagdad lenkt, wird sich die Situation nicht verbessern. Darum vertreten wir die Ansicht, dass der Iran sich aus dem Irak heraushalten muss, um Irak wieder neu gestalten zu können.
Damit das auch passiert, muss die internationale Weltengemeinschaft einlenken. Aber die internationale Weltgemeinschaft schaut dem schiitischen Gemetzel in Irak nur zu, so wie sie in Syrien Assad oder Russland zuschaut, wie sie unsere Kinder, unsere Frauen, unsere Märkte, unsere Straßen und unsere Moscheen bombardieren. Wir werden die Weltengemeinschaft weiterhin über die Ereignisse im Irak am Laufenden halten und wie es die Syrer ausdrücken: „Oh Allah, außer dir gibt es keinen anderen“ und werden weiterhin sagen: „Allah, du wirst uns wie immer helfen“.
A Haber: Was stellt für Sie in Irak und Syrien die größte Gefahr dar? Weil viele folgende These aufstellen: „Wenn Iran sich aus inneren Angelegenheiten des Irak und Syriens heraushält, werden die Kriege und der Terror aufhören.“ Als Gründe nennen sie die Unterstützung Assads, die Kontrolle über die Regierung in Bagdad und die Unterstützung von Terrororganisationen. Z.B. lesen wir in letzter Zeit oft von Beziehungen zu Daesh, die Unterstützung der PKK durch die iranische Regierung, man hört oft über die Hilfe Irans gegenüber der PKK. Was denken Sie darüber?
Al Hashimi:
Heute zeigt sich eindeutig, dass Iran auf die Volksabstammung großen Wert legt. Sie haben einige Ziele. Um diese zu erreichen, also um zu ihren Wurzeln aus dem Sassanidenreich zurückkehren zu können, versuchen sie, in Ländern, in denen iranische Volksstämme sind, Unruhe zu stiften. In diesen Ländern wird die Unruhe mittels eines Konfessionskrieges in unterschiedlicher Weise befeuert. Darum erlebt Irak zurzeit einen Konfessionskrieg – obwohl seit Hunderten von Jahren Kurden, Araber, Turkmenen, Schiiten, Sunniten, Christen und Muslime unter einem gemeinsamen Nationalitätszugehörigkeitsgefühl zusammenleben. Der Iran hat die Völker gegeneinander aufgewiegelt. Das größte Hindernis für den Frieden im Mittleren Osten stellen Gewalt und Terror dar.
Wenn wir die Wurzeln analysieren, finden wir den Iran immer wieder, weil Teheran alle Gruppen, die Terror geschaffen und praktiziert haben, stets geschützt und unterstützt hat. Das wissen wir. Wegen dieser Haltung der Iraner wurde das Leben von Millionen irakischer Sunniten auf den Kopf gestellt, sie wurden ihrer Freiheiten beraubt. Überlegen Sie mal, wenn sie einem Jugendlichen seine Bildung, seine Arbeitschancen oder sein Haus aus den Händen reißen, würde das ihn nicht wütend machen? Es verleitet ihn zur Gewalt. Sie schließen sich dann Gruppen wie der IS oder Al Kaida an. Während der Iran einerseits die Spaltung der Völker vorantreibt, treibt er sunnitische Jugendliche in die Hände von Terrororganisationen und beschuldigt sie anschließend, Terroristen zu sein. Inklusive meiner Person, die auch beschuldigt wird, ein Terrorist zu sein. Ich habe noch nie in meinem Leben einem Menschen Unrecht getan. Ich habe noch nie eine Polizeiwache von innen gesehen, aber es gibt gegen mich sieben verhängte Todesstrafen.
A Haber: Einige sagen, dieser Krieg wird nicht aufhören, ehe der Irak aufgeteilt ist. Wie sehen Sie das? Wird der Irak in zehn Jahren ein Land sein, das in Teile aufgeteilt ist oder wird es die Einheit erhalten können? Was will das irakische Volk? Will es die Spaltung des Landes oder als Einheit weiter bestehen?
Al Hashimi:
Die Wahrheit liegt bereits auf den Tisch, denn der Irak ist schon gespalten. Sogar die Region Kurdistan redet bereits von der Abspaltung. Diese Wahrheit können wir nicht ignorieren. Ja, der Irak ist krank. Aber ich bin der Überzeugung, dass die Lösung nicht in der Spaltung liegt. Ich sehe zurzeit nur, dass die politische Führung im Irak nur die sunnitischen Araber auf der Zielscheibe hat. Heute leidet nur mein Volk unter dieser Verfolgung. Die Frage ist folgende:
Gibt es die Möglichkeit, im Irak weiterhin als Einheit zusammenleben zu können? Wenn es diese Möglichkeit gibt, dann gibt es noch Hoffnung, dass man in die guten alten Zeiten zurückkehren kann. Aber eins kann ich gewiss sagen: Diese vom Iran gelenkte Regierung wird alles Erdenkliche dafür tun, damit die sunnitischen Araber weiterhin unterdrückt werden. Obwohl wir weiterhin bereit sind, mit Schiiten, Turkmenen, Jesiden, Kurden, Sunniten zusammenzuleben. Das Problem stellt die Gegenseite dar – der Iran. Der Iran hat im Irak seine spaltende Nationalitäten-Saat gestreut. Teheran ist dafür verantwortlich, dass die Menschen ein Fragezeichen in ihren Gedanken haben. Aus diesem Grund müssen wir Iran daran hindern, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen.
A Haber: Wer versorgt den IS? Wer steht hinter ihnen? Wenn man in die westlichen Medien schaut, wird der Eindruck erweckt, als ob nur sunnitische Gruppen für Gewalt und Terror verantwortlich wären, als ob schiitische Gruppen in der Region damit nichts zu tun hätten. Wie beurteilen Sie das?
Al Hashimi:
Ich habe es am Anfang schon mal gesagt: Iran erschafft den Terror selbst. Danach beschuldigt man die sunnitischen Araber. Ich habe auch ein Beispiel von mir selbst gegeben. Ich wurde für eine Tat, die ich nie begangen habe, sieben Mal zum Tode verurteilt. Der Iran hat seinen Plan bezüglich des Irak auf hinterhältige Weise ausgeführt und diesen ganzen Terror selbst erschaffen. Ich war im Jahr 2006 in Teheran zu Besuch und habe mit dem iranischen Führer der Revolutionsgarde, Kazim Suleymani, gesprochen und ihm nur eine Frage gestellt: „Warum unterstützt ihr die Al Kaida?“
Suleymani hat versucht, auszuweichen und die Frage nicht zu beantworten. Daraufhin bin ich aufgestanden und wollte zurück in den Irak. Er rief mich zurück und sagte, wir sollten miteinander reden. Ich habe meine Frage erneut gestellt, warum sie Terrororganisationen unterstützen. Warum sie Al Kaida unterstützen. Warum sie diese Leute ausbilden. Und er hat es zugegeben. Ja, er hat es mir gegenüber bestätigt. „Wir unterstützen Al Kaida“, hat er gesagt. Ich habe ihn nach dem Grund gefragt und er hat geantwortet, dass die Zukunft des iranischen Volkes eben dies von ihm verlange. „Wir töten sogar manchmal Schiiten“, hat er gesagt. Ich habe Beweise und Belege. Der Terror im Irak wurde vom Iran geweckt.
A Haber: Die türkische Armee ist für die türkische und die irakische Sicherheit seit etwa zwei Jahren im irakischen Baschika Camp. Was auch immer vorgefallen ist, sind in letzter Zeit Proteste der Regierung gegen die Stationierung der türkischen Armee dort lauter geworden. Ist es ein Zufall, dass dies zufällig genau nach dem Abschuss der russischen Maschine, die die türkische Grenze überschritten hatte, stattgefunden hat und die Regierung in Bagdad auf den Kurs gewechselt ist, durch den sie mit der Politik Irans und Russlands konform bleibt? Was denken Sie über die Streitigkeiten im Baschika Camp?
Al Hashimi:
Wir wissen, dass die türkische Armee in Baschika zum Zwecke der Ausbildung der Soldaten stationiert ist. Dass diese Entscheidung zwischen Bagdad und Ankara im Rahmen eines Sicherheitsvertrages ausgehandelt worden ist, ist ja auch bekannt. Erinnern sie sich: Der irakische Ministerpräsident Abadi hatte von Davutoğlu mehr Unterstützung im Kampf gegen den Terror gefordert. Und wie soll man den Kampf gegen den Terror unterstützen, wenn man keine eigenen Bodentruppen vor Ort hat? Jedem ist bekannt, dass der IS alleine mit Angriffen von oben nicht besiegt werden kann. Also braucht man Bodentruppen.
Warum protestiert die ganze Welt, wenn die Türkei eine kleine Anzahl an Kräften in den Irak schickt, um Bodentruppen auszubilden? Dass die Türkei zurzeit dort ist, dient nur der Sicherheit und der Kontinuität des Staates Irak. Die Türkei hat sogar begründete Ansprüche, dort vor Ort zu sein. Die Türkei wird aus dem Irak angegriffen. Die PKK und der IS kommen aus dem Irak. Es ist ein natürliches Recht der Türkei, sich mit seiner Armee davor zu schützen. Das, was gerade passiert, ist ja auch nichts anderes. Die Pläne Irans sind sehr erschreckend. Der Iran will den Irak besetzen. Über Bagdad will man auch Saudi-Arabien besetzen. Das Ziel ist es, an das Rote Meer heranzukommen. Somit will Teheran seinen Traum verwirklichen.
A Haber: Es gibt Bemühungen mit dem Ziel, die Türkei aus der Region und aus dem Irak herauszuhalten. Manche nennen das sogar Sabotage. Irgendjemand will das Engagement durch Präsident Erdoğan und Ministerpräsident Davutoğlu nicht und fühlt sich davon sogar gestört. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür? Ist die Türkei eine Gefahr für den Irak oder die Einheit des Mittleren Ostens?
Al Hashimi:
Die Türkei ist ein einflussreicher Staat im Mittleren Osten. Keiner kann sich mit ihm messen. Außerdem ist es für mich unverständlich, wie jemand behaupten kann, dass die Türkei sich in die inneren Angelegenheiten Syriens und des Irak einmischt. Die Türkei wollte schon immer, dass die Völker in diesen Staaten in Sicherheit leben können. Und das will sie heute auch noch.
Sie hat eine wirklich bewundernswerte Roadmap aufgestellt. Diese Roadmap ist ein Dienst an diesen Völkern. Das sage ich nicht nur so, weil Herr Erdoğan und Herr Davutoğlu so wertvolle Menschen für mich sind. Ich sage das in Anbetracht meiner politischen Erfahrungen. Diese Haltung der Türkei gefällt natürlich den Staaten nicht, die die Gewalt und den Terror in diesem Land wollen. Die Türkei ist eine regionale Macht. Viele Millionen Syrer suchen zurzeit Schutz in der Türkei. Wie viele Hunderttausende von Irakern sind in die Türkei geflohen?
Die Flüchtlinge aus den anderen Ländern können Sie noch dazurechnen. Heute fungiert die Türkei als eine Schutzmacht für die unterdrückten Völker. Die Völker des Mittleren Ostens und der arabischen Länder werden die Haltung Erdoğans und Davutoğlus nie vergessen. Die Familien beten nicht nur für diese zwei politischen Führer, sondern auch für den Erfolg und den Schutz der Türkei. Denn sie wissen, dass die Türkei durch ihre Haltung extrem unter Druck steht und dass fremde Mächte ihre Finger in den Unruhen in der Türkei haben.