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Interview
Irakischer Minister: „Es kämpfen nicht Sunniten gegen Schiiten, sondern Terroristen gegen die Regierung“

Mohammed Mahdi Ameen al-Bayati aus der turkmenischen Community im Irak war vom 9. September 2014 bis 16. August 2015 Menschenrechtsminister des Landes. Über die Situation im Land, die Lage der Turkmenen und deren Zukunftsaussichten sprach er mit nachrichtenexpress.com

(Foto: trt)
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Berlin (nex) – Mohammed Mahdi Ameen al-Bayati aus der turkmenischen Community im Irak war vom 9. September 2014 bis 16. August 2015 Menschenrechtsminister des Landes. Über die Situation im Land, die Lage der Turkmenen und deren Zukunftsaussichten sprach er mit nachrichtenexpress.com

Sehr geehrter Herr al-Bayati, wird es in zehn Jahren Staaten wie Irak und Syrien überhaupt noch geben?

Viele Verschwörungstheorien haben den Irak ins Visier genommen, sie gehen von einigen arabischen und Golfstaaten aus und von regionalen Akteuren. Das begann 2003 und bis heute versucht man so, den Irak in die frühere Regimeperiode zurückzuführen, die Minderheit gegen die Mehrheit zu unterstützen oder die Zusammensetzung des irakischen Volkes zu verändern. So hatte das frühere Regime gegen die schiitische Mehrheit unter den Arabern, die Kurden und Turkmenen gezielt, ihre Dörfer zerstört und ihre Söhne hingerichtet. Ich denke aber, das irakische Volk und die Stärke seiner nationalen religiösen Autorität werden sich erfolgreich gegen alle Teilungsversuche des Irak zur Wehr setzen – obwohl einige große Mächte dahinterstehen.

Wie realistisch ist die Option, eine Verständigung zu erreichen und welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein, um den Bürgerkrieg in der Region zu beenden, der im Grunde schon 2005 begonnen hat und schnell eskaliert ist?

Es gibt keinen Bürgerkrieg im Irak, sondern nur einen Krieg, der uns von ISIS-Terroristen aufgezwungen wird, die von Ländern und politischen Organisationen unterstützt werden, einen Zustand des Chaos im Irak schaffen sollen und nach all dem Chaos auch noch eine letzte chaotische Alternative erzwingen wollen. Es besteht aber berechtigte Hoffnung, dass die Söhne des irakischen Volkes und ihre bewaffneten Kräfte (Nationale Mobilmachung, Armee und Polizei) die terroristische Organisation eliminieren werden.

Der Aufstieg des „Islamischen Staates“ hat viel mit der Restrukturierung der Armee nach der US-Invasion 2003 und der sektiererischen Politik der Al-Maliki-Administration zu tun. Ist es zu spät, die Herzen und Köpfe des sunnitischen Mainstreams im Irak zurückzuerobern, um die Radikalen zu schwächen? Was ist zu tun?

Das Problem im Irak besteht nicht zwischen Sunniten und Schiiten, sondern zwischen dem Terrorismus und dem irakischen Staat. Das Anwachsen des Terrorismus und ISIS in sunnitischen Regionen haben die Gedanken von Irakern verwirrt, obwohl viele sunnitische Söhne durch Drohungen oder Bestechung dazu gezwungen worden sind, ISIS zu beherbergen. Tausende irakischer Sunniten wurden durch ISIS getötet, weil die Terroristen sie betrogen haben, als sie sagten, sie wären die Beschützer der Sunniten. Stattdessen haben sie Hunderte von Söhnen der arabischen Stämme von Jabour, Al-bonmr und Albu-Issa ermordet.

(Foto: turkmennewsagency)
(Foto: turkmennewsagency)

Die Eskalation des Bürgerkrieges und die westliche Unterstützung für die kurdische Community könnten separatistische Tendenzen im Norden des Landes weiter anfachen. Wird Bagdad noch über die erforderlichen Mittel und den erforderlichen Einfluss verfügen, um eine solche Situation verhindern zu können?

Die Kurden repräsentieren die zweitgrößte Nationalität im Irak und sind ein wichtiges Element für die Einheit des Landes. Nach dem Sturz des Saddam-Regimes haben sie enorme Privilegien erlangt. Mit US-Hilfe haben sie einige ihrer nationalen Ziele erreicht, was ohne diese Unterstützung im gesamten Verlauf der Geschichte nicht möglich gewesen war. Die Frage der Abspaltung soll mehr Druck auf die Schiiten ausüben und den Zweck haben, maximalen Nutzen und Privilegien zu bekommen. Wenn sie sich aber abspalten, werden sie auf Grund ihres Bruchs der irakischen Verfassung alle diese Privilegien verlieren und dann stehen sie der Türkei und dem Irak alleine gegenüber. Diese werden einen kurdischen Staat jedoch nicht zulassen.

Die turkmenische Community ist sowohl durch kurdischen Nationalismus als auch durch den IS-Terrorismus unter Druck. Gibt es zusätzlich unter den Turkmenen auch Sektiererei zwischen Sunniten und Schiiten oder hat die beiderseitige Bedrohungssituation die Einheit unter ihnen gestärkt?

Alle irakischen Turkmenen – Sunniten wie Schiiten – haben ein nationales Projekt, denn die komplexe Geografie hat sie auf sechs Provinzen aufgeteilt. Die Interventionen seitens einiger Länder haben die Formierung jedweden turkmenischen Projekts bislang verhindert, aber es gibt Tendenzen hin zu einer einheitlichen Plattform aufseiten turkmenischer Figuren unter dem Namen Turkmenisches Rettungskomitee.

Sie haben als Menschenrechtsminister in der Al-Abadi-Regierung gedient. Dieses Ministerium ist aufgelöst worden. Braucht der Irak kein Menschenrechtsministerium?

Der Irak und Syrien sind Länder, die sehr wohl ein eigenes Menschenrechtsministerium brauchen, nicht zuletzt wegen der Verletzungen, die durch das frühere Regime und durch terroristische Organisationen wie ISIS oder Al-Kaida begangen wurden. Auch fehlt ein Menschenrechtskonzept im Irak, weshalb die Idee, das Ministerium abzuschaffen, nicht glücklich war. Aber die Entscheidung wurde in Eile gefällt, obwohl dieses Ministerium eines der Übergangsministerien des Staates war, die der Irak zumindest bis zum Ende dieser Regierungsperiode dringend gebraucht hätte.

Welche Projekte werden Sie in Zukunft verfolgen?

Als turkmenischer Führer sammelte ich politische und parlamentarische Erfahrung und habe ein Jahr als Minister in der Al-Abadi-Regierung verbracht. Ich habe an der Schaffung eines nationalen Projekts mit zahlreichen turkmenischen Persönlichkeiten mitgewirkt, um die irakischen Turkmenen durch die Zeit des früheren Regimes hindurch und anschließend gegen die Angriffe vonseiten der terroristischen ISIS-Gangs zu schützen.

 

Das Interview führte Nahost-Experte Ali Özkök