Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel
Um den fortdauernden Krieg in der Ukraine wird in Europa womöglich ein Paradigmenwechsel stattfinden, in dem es heißt: „Schlechter Frieden ist besser als guter Krieg.“
Putin wird – und das zeigt seine derzeitige Kriegsstrategie in der Ukraine – versuchen eine verbrannte Erde zu hinterlassen, um den Status quo beizubehalten. Das kann er mit seiner überlegenen Artillerie und deren Feuerkraft. Er wird nun weniger Soldaten einsetzen, dafür irreguläre Truppen. Die kann er verheizen ohne dafür im Land selbst sich erklären und verantworten zu müssen.
Er wird das gleiche tun wie in Syrien und die Infrastruktur zerstören, damit die Bevölkerung ihren lokalen Widerstand aufgibt und flüchtet. Das wird dann Zugeständnisse mit sich bringen und die Kriegseuphorie wird verblassen, weil viele weitere Faktoren eine Rolle spielen werden. Es wird vieles anders als gedacht.
In Europa werden die ersten Politiker den Wählern die gute Nachricht überbringen: „Wir haben es geschafft, den Krieg und den Flüchtlingsstrom zu stoppen, die Energiepreise zu senken, das schreckliche Sterben zu beenden. Die unmittelbaren Folgen des Waffenstillstands werden von den europäischen Politikern sofort umgemünzt und für die nächste Wahl in Stimmen umgesetzt.
Putin kann in diesem Zustand dann das als Sieg verkaufen und den Status quo beibehalten, was letztendlich bedeutet, dass die Ukraine für Jahre oder Jahrzehnte zerstückelt bleibt. Ein Waffenstillstand würde bedeuten, eine Demarkationslinie auf der Landkarte zu ziehen, die auf Jahre hinaus die politische Realität bestimmen würde – es gibt nichts Beständigeres als das Vorübergehende.
Und sobald dieser Waffenstillstand hergestellt ist, wird die Partei die das als „Schlechter Frieden ist besser als guter Krieg“ als erster verkauft hat, in Europa auch die Gunst gewinnen. Das bedeutet letztendlich, dass die Konsequenzen aufgeschoben werden. Die Tatsache, dass Putin sich festsetzt um wieder Kraft zu sammeln, bedeutet aber auch, sich für den nächsten womöglich tödlicheren und blutigeren Krieg vorzubereiten.
Was bedeutet das für Selensky und die Ukrainer? Selensky wird einerseits von den USA, andererseits vom eigenen Volk getrieben, den Krieg zu eigenen Gunsten voranzutreiben. Die Ukrainer wollen die Russen vertreiben. Aber, man ist auf beständige sowie massive Lieferung von Waffen und Munition angewiesen sowie auf Kredite der IWF und des Westens, um die Ordnung zu erhalten, Putin die Stirn zu bieten.
Ohne europäische und westliche Unterstützung kommt Kiew derzeit aber nicht vorwärts und kann auch den Status nicht sicher halten – und das schafft Möglichkeiten für Putin, das Land zu erpressen und sie zu Kompromissen zu drängen. Putin muss zwangsläufig auch Europa unter Druck setzen, um den Status quo beizubehalten oder Selensky einen Waffenstillstand abzuringen und die lautet in etwa so:
„Lieber Scholz, Macron oder Draghi, entweder Sie zwingen Selensky, den Frieden zu akzeptieren oder ich lasse Nordafrika aushungern und die nächste Welle von Flüchtlingen rollt aus Afrika über Europa hinweg. Ihre Regierungen werden von Rechtsradikalen übernommen, die ich finanziell wie propagandistisch mit unterstütze.“
Putin hat aber noch einen weiteren wirksameren Hebel angesetzt. Wenn man mit westlichen Politikern nicht direkt umgehen kann, muss man sich mit ihren Wählern beschäftigen. Die Politik in Europa ist auch von der öffentlichen Meinung abhängig. Das ist ihre Stärke, die Putin als Schwäche ansieht.
Der Winter naht und damit die Möglichkeit für Putin, die Trumpfkarte in den kommenden Monaten mit maximaler Effizienz auszuspielen. Das wird Putin tun – er wird versuchen, die Europäer mit der Aussicht, diesen Winter in ihren Häusern zu erfrieren, in die Knie zwingen.
Jetzt liegt es tatsächlich an nur einem einzigen Winter und an einer Getreidelieferung gen Süden. Sollten beide ausfallen wird sich die europäische Gemeinschaft beweisen müssen, wie stark sie hinter dem ukrainischen Volk stehen. Und damit ist die Ukraine mit Gedeih und Verderb vom Westen abhängig. Keine günstigsten Aussichten wie mir scheint!
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
Auch interessant
– „März-Ereignisse“ –
Aserbaidschan gedenkt Genozid vom 31. März 1918
Heute vor 104 Jahren, am 31. März 1918, verübten russische Bolschewiki und armenische Milizen in Baku und in anderen Städten Aserbaidschans zahlreiche Massaker an aserbaidschanischen Zivilisten, bei dem nach offiziellen Angaben alleine in der Hauptstadt Baku 12.000 und insgesamt mehr als 50.000 unschuldige Menschen zum Opfer fielen.