Gastarbeiter, Blankostimmen und strategische Wahlstimmen
Ein Gastkommentar von Hakan Işık
Der Wahlkampf 21 ist nicht nur für die hiesige deutsche Majorität eine sehr heikle Sache sondern auch für uns Deutschtürken. Deutschlands Politik steht vor einer Wende in zweifacher Hinsicht, entweder es gibt eine Linksverschiebung oder eine ‚konservative‘ Wende unter Armin Laschet.
Warum die Stimmabgabe für uns Deutschtürken eine heikle Sache ist, hängt mit unserer Gastarbeiteridentität zusammen, dies sollten wir uns in Erinnerung bringen. Die Zeiten der deutschtürkischen Bequemlichkeit sind vorbei, jahrelang konnten wir uns mit unseren Blankostimmen für die SPD eine heile Demokratie vorgaukeln. Die SPD agierte wie eine Krake, mit ihren Fangarmen fing sie uns über deutschtürkische Funktionäre, türkische sozialdemokratische Vereine, deutschtürkische Verbände und ihr Engagement für die Nachkommen der Gastarbeiter ein. Und dieses Einfangen perpetuierte sich erfolgreich durch die restriktive Politik der CDU gegen die türkischen Nachkommen der Gastarbeiter.
Ab 1990 wandelte sich allerdings die Identität des bisher klassischen Gastarbeiters. Faruk Sen der Leiter des Zentrums machte auf diese Veränderung aufmerksam, noch etwas vage aber deutlich genug. Die türkischen Gastarbeiter erwarben nach 1990 verstärkt Wohneigentum und damit zeichnete sich etwas ab, der klassische Modus der Gastarbeiter kehrt ‚irgendwann‘ zurück, war nicht mehr vorherrschend. Durch den Erwerb von Wohneigentum signalisierte der türkische Gastarbeiter eine weitaus längere Verweildauer in Deutschland an. Der Erwerb von Wohneigentum signalisierte noch eine weitere Veränderung! Die Anhäufung von Kapital. Ist überschüssiges Kapital vorhanden, ist der Schritt der Investition nicht mehr weit. Was das für Folgen hatte, werden wir noch ausgiebig in weiteren Gastbeiträgen diskutieren und zugleich beschreiben.
Diese beiden Faktoren sind der zentrale Schlüssel zu diesem neuen Typus des Gastarbeiters und zum Verständnis einer neuen Identität des Gastarbeiters. Diese Identität ist sehr komplex als der konstruierte Entwurf des Thilo Sarrazins, wir erinnern uns, ja der Gemüsehändler. Wohlgemerkt dieser Entwurf des Gemüsehändlers kam aus den Reihen der SPD. Der übermächtige selbsternannte Schutzpatron der Gastarbeiter war nun konfrontiert mit einem Wandel in der Denke der türkischen Gastarbeiter. Das gesellschaftliche Spektrum der Türken emanzipierte sich. Aus Arbeitern und Gemüsehändlern wurden über die Jahre Bauunternehmer, Reinigungsunternehmer, Unternehmer in der Gastronomie etc. und auch namhafte deutsche Unternehmer in hochwertigen akademischen Bereichen. Das uns nun sofort Biontech einfällt, dürfte uns nicht wundern…
Es blieb aber nicht nur bei diesen Veränderungen, die Zahl der hier ansässigen türkischen Akademikern stieg, diese wiederum eroberten sich auch die Managementetagen vieler renommierter deutscher Unternehmen. Plötzlich sprach das politische Establishment selbst von Migranten, d.h. das hiesige politische erkannte den Wandel selbst an. Das Resultat war eine fragmentierte deutschtürkische Gesellschaft, allesamt ist ihnen eigen, dass diese Mitbürger die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen und natürlich wählten.
Spätestens der Artikel aus der NZZ in diesem Frühjahr machte deutlich, dass das vorherrschende Muster, die SPD zu wählen, sich über die Jahre veränderte. Damit waren die Zeiten der Blankostimmen für die SPD vollends vorbei. Was provokant heißt, dass die damalige SPD-Euphorie 1998 unter Gerhard Schröder verblasst ist, die Interessenvertretung der Deutschtürken in der SPD wird gebremst und gelenkt. Dies wurde über die letzten Jahre sehr deutlich, gerade für die wertekonservativen Deutschtürken ist die SPD nicht mehr deckungsgleich mit ihrer Interessenpolitik.
Noch eindeutiger wird dies über die sozialdemokratischen Verbände der Deutschtürken, als Beispiel sei hier die TBB genannt. Der Türkische Bund Berlin Brandenburg demonstriert auf deren Internetseite, welche Themen im Vordergrund stehen. Die politischen Contents der TBB stehen allesamt diametral zu den tatsächlichen politischen Anliegen der deutschtürkischen Mehrheit und damit ist die Identifikation mit der SPD generell brüchig geworden. Ein ganz gewichtiger Aspekt ist zudem die außenpolitische Haltung der SPD zur Türkei bei der Stimmabgabe. Auch hier gibt es keine Deckungsgleichheit mit der SPD für die Mehrheit der Türken.
Zu oft bestimmen in dieser Hinsicht Reizthemen die Wahrnehmung, womit sich eine Parteinahme für die SPD schlichtweg erübrigt. Die Reizthemen müssen wir nicht mal mehr erwähnen, fest steht, das Reservoir der Blankostimmen funktioniert nicht mehr – nur noch bei den festgefahrenen sozialdemokratischen Deutschtürken. Ebenso gelten diese Faktoren für die Juniorpartner der SPD den Grünen und der Nachfolgepartei der SED, Die Linke. Den noch vorhandenen Rest-Blankostimmen stehen nunmehr strategische Wahlstimmen entgegen, das sind die Stimmen der emanzipierten und selbstbewussten Deutschtürken.
Sie sind sich über den Wandel ihrer Gastarbeiteridentität bewusst und reflektieren die politischen Ereignisse nicht mehr aus der Zentrale des Willy-Brandt-Hauses. Nicht allein eine Debatte um einen Mindestlohn oder stabile Renten tragen zu dem Weg der Wählerstimme bei, sondern vielmehr wie dieser hier ansässige Migrant in der Gesellschaft steht. Konkret heißt das, der Bezug eines Mindestlohns von 12 Euro verändert nichts daran, wie man wahrgenommen, politisiert und ausgegrenzt wird. Vielmehr erlebt der deutschtürkische Mitbürger wie Themen aus der Türkei seitens des politischen Establishments aus dem linkem Spektrum ihn in den Mittelpunkt der Politik rückt.
Gerade die Politisierung des sunnitischen Islams seitens der linken Ideen- und Vorstellungswelt mit homosexuellen Predigern, der Seyran Ates Femininisierung des Sunnitentums , der Prostestantisierung des Islams, den willkürlichen Geschlechteridentitäten bedingt eine strategische Wählerstimme.
Hier ist erstaunlicherweise die CDU die Andockstelle für diese Wählerstimmen, nicht unbedingt weil die CDU sehr tolerant gegenüber dem Islam ist oder eine sehr freundliche Türkeipolitik fährt. Nein! Weil die CDU selber unter Druck steht, auch ihre Wertewelt steht unter Druck, hier gibt es Gemeinsamkeiten in Bezug auf Werte wie Familie und Religion an und für sich. Gerade deswegen wird die CDU als Partei attraktiv für die Deutschtürken und demzufolge interessant für die strategischen Wählerstimmen.
Da in den letzten Monaten immer wieder die Stimmen der Deutschtürken als Königsmacher gehandelt werden oder diskutiert werden, ist dieser Punkt nicht von der Hand zu weisen. Durchaus könnten diese strategischen Stimmen als Königsmacher firmieren – allerdings nur für die CDU – und in 4 Jahren weitaus potenzierter. In dieser Hinsicht könnten die Differenzen bezüglich der Türkei und dem Islam in der CDU ihre akute Brisanz verlieren.
Ohnehin hat sich die Republik Türkei seit den Gastarbeiterverträgen 1961 immens entwickelt. Der türkische Gastarbeiter, respektive Deutschtürke, nimmt auch wahr, wie stark sich die Wirtschaft, Industrie und Forschung in der Türkei entwickelt hat und damit eine ganz andere politische Stärke der Türkei vorhanden ist. Die außenpolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zeigen die Bedeutung der Türkei und dies nährt das Bewusstsein und die neue Identität andererseits hier.
Der Nachkomme der Gastarbeiter ist sich darüber bewusst, dass die Türkei nicht mehr Gastarbeiter exportiert um Devisen zu erlangen. Er ist sich darüber bewusst, dass diese Zeiten vorbei sind, sowie Devisen durch Produktion und Handel erwirtschaftet werden und damit auch sein bisheriger politischer Duktus nicht mehr in der Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung verharrt.
Damit wird deutlich das alle anderen Themen zu seiner freien Meinungsbildung beitragen. Aus dem Korsett des apolitisch Devisen beschaffenden Gastarbeiter ist der mündige deutsche Staatsbürger entsprungen. Um das sehr provokant zuzuspitzen, damals fügte man sich um nicht die Devisen zu gefährden, da aber nun die Türkei auf die Devisen der Gastarbeiter nicht mehr angewiesen ist, ist man freier – allemal als deutscher Staatsbürger – auch zu sagen, die Politik gegen uns passt uns nicht – so nicht! Wer unsere Stimmen will, hat auch unsere Interessen zu vertreten!
Daher sind die strategischen Wählerstimmen ein immenses Potenzial für die CDU, leider ist die CDU bei diesem Wahlkampf mit sehr vielen internen Herausforderungen konfrontiert, um diese Bedeutung strategischen Wählerstimmen als Konigsmacherstimmen vollends wahrzunehmen. Aber letztendlich werden die politischen Analysten der CDU dieses politische Kapital erkennen, gerade weil die Ideologie des linken Spektrums ihnen dies verdeutlichen wird und daher in den kommenden Jahren eine konstruktivere Türkei- und Islampolitik gestalten.
Die strategischen Wählerstimmen der Deutschtürken für Armin Laschet sind ein Angebot gegen eine Linksverschiebung und für eine konstruktive Gestaltung deutsch-türkischer Politik in der Zukunft.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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