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Corona: Pandemie-Expertin warnt vor Lockerungen

Pandemie-Expertin erwartet zu Ostern kritischere Lage als zum Jahreswechsel - "Gefahr wird noch deutlich unterschätzt".

(Symbolfoto: nex24)
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Osnabrück – Die Chefin der Ärzteorganisation Marburger Bund, Susanne Johna, erwarte eine dramatische Zuspitzung der Corona-Lage. „Ich rechne ab Ostern mit einer noch kritischeren Lage als zum Jahreswechsel“, sagte die Krankenhausärztin und Pandemie-Spezialistin im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Der Effekt, dass gerade die geburtenstarken Jahrgänge – die Babyboomer – betroffen sein werden, wird gerade noch deutlich unterschätzt.“

Bund und Länder warnte die Marburger-Bund-Chefin eindringlich vor Lockerungen. „Es muss definitiv die vereinbarte Notbremse gezogen werden, da darf es keine Ausnahmen geben.“ Dass in manchen Ländern bis zu einer Inzidenz von 200 gelockert werden soll, sei katastrophal. „Das führt uns direkt in die völlige Überlastung. Weitergehende Lockerungen sind definitiv nicht zu verantworten, wenn nicht mit einem ganz strengen Testregime wie in Tübingen ein dichtes Sicherheitsnetz aufgespannt wird.“

Der Puffer auf den Intensivstationen „wird rasant wegschmelzen“, erklärte Johna weiter. Denn durch die Mutationen erhöhe sich das Risiko, bei einer Ansteckung im Krankenhaus zu landen, um 60 Prozent. „Auch die Sterblichkeit ist durch die neuen Varianten um 60 Prozent höher. Es stimmt einfach nicht, dass die Durchimpfung der Höchstbetagten ausreicht, um einen Gesundheitsnotstand abzuwenden.“

Die Beschlüsse des letzten Corona-Gipfels kritisierte Johna scharf. „Es war unverantwortlich, in die dritte Welle und die Ausbreitung der Mutanten hinein auf diese Art zu lockern. Dadurch droht den Kliniken nun die dritte Extremsituation binnen eines Jahres“, sagte sie. „Wenn wir jetzt Politiker reden hören, auch die dritte Welle werden wir schon irgendwie durchstehen, macht uns das wütend. Schon mehr als 9000 Pflegekräfte haben seit Beginn der Pandemie ihren Dienst quittiert, weil sie nicht mehr konnten!“

Familienfeiern über Ostern sieht die Expertin deswegen kritisch. „Dem Coronavirus ist Ostern egal. Immer dann, wenn sich Menschen ohne negatives Testergebnis in Innenräumen treffen, wird es brandgefährlich“, sagte sie. „Auch die Öffnung der Hotels wäre aus meiner Sicht problematisch. Das ginge allenfalls mit ganz wenigen Gästen und hoher Disziplin, die nur schwer zu garantieren ist.“ Beim Essen etwa könne keine Maske getragen werden. „Mein Plädoyer: So wenige enge Kontakte wie möglich“, sagte Johna.

Marburger-Bund-Chefin wirbt für Astrazeneca

Johna hat zudem energisch zur Nutzung von Astrazeneca aufgerufen. „Die Wahrscheinlichkeit, nach einer Corona-Infektion schwer zu erkranken, ist drastisch höher als die Gefahr der Thrombosebildung nach einer Astrazeneca-Impfung“, sagte Johna der NOZ. „Auch bei Astrazeneca überwiegt der Selbstschutz und der Schutz der anderen um ein Vielfaches etwaige Risiken. Daran ändert auch die etwas geringere Immunisierungswirkung nichts.“

Die Entscheidung, das Vakzin wieder zu nutzen, sei „absolut richtig“. „Leider haben wir durch die Impfpause fast vier Tage verloren, in denen durch Covid-19 gefährdete Menschen nicht geimpft werden konnten“, kritisierte sie die Entscheidung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die Impfpause. „Erneut ist auch das Vertrauen in den Impfstoff beschädigt worden. Ich befürchte, dass dadurch die Impfbereitschaft von noch mehr Menschen sinkt, aber eben nur aufgrund eines Bauchgefühls und nicht aufgrund der Datenlage.“ Als Klinikärztin sei sie selbst zwar schon früh mit einem mRNA-Impfstoff geimpft worden. „Ich hätte mich aber auch ohne Bedenken mit Astrazeneca immunisieren lassen.“

Um beim Impfen schneller voranzukommen, forderte die Expertin: „Wir müssen unbedingt die nach den Zulassungen mögliche Spanne von sechs Wochen zwischen Erst- und Zweitimpfung maximal ausreizen. Tempo ist alles, deswegen gilt es, jede verfügbare Dose sofort zu nutzen.“ Es sei „eine Katastrophe, dass noch immer Impfdosen verworfen werden“. Es müsse zudem schneller auch in Arztpraxen geimpft werden. „Die Menschen vertrauen ihren Hausärzten, bei denen sie ja meist schon seit Jahren in Behandlung sind. Zugleich müssen die Kapazitäten in den Impfzentren jetzt ausgebaut werden, damit auch an den Wochenenden von früh bis spät immunisiert werden kann, sobald genug Impfstoff da ist“, forderte Johna.

Überdies müsse die EU endlich dafür sorgen, „dass wir nicht länger von anderen Ländern ausgenutzt werden“, so die Marburger-Bund-Chefin. Aus der EU seien etwa zehn Millionen Dosen nach Großbritannien exportiert worden, London selbst habe aber einen Ausfuhrstopp für Impfstoff verhängt. „Das ist schon eine Unverschämtheit und sollte Brüssel nicht länger hinnehmen.“ Solidarität sei keine Einbahnstraße.

Die Bundesregierung forderte Johna auch auf, intensiv für die Nutzung von Schnelltests zu werben. „Hier fehlt mir noch immer eine breite Kampagne von Politik und Medien, etwa mit Videos auch in Werbeblöcken vor der Tagesschau oder dem Montagskrimi, die zeigen, dass die neuen Tests nicht mehr unangenehm sind, aber total wichtig, um Fälle früh zu entdecken.“

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