Ein Gastkommentar von Michael Thomas
Schon Tage vor der Kaperung des Schiffes „Madleen“ durch israelische Seestreitkräfte drehte die Propaganda Israels mehrere Gänge höher und gipfelte in der Aussage, man habe israelische Bürger vor der Anlandung des Schiffes in Gaza zu beschützen. Außenminister Katz bekräftigte die unbedingte Absicht seines Landes, die Seeblockade Gazas mit allen Mitteln durchzusetzen.
Über diese Seeblockade muss man genauer nachdenken. Sie ist Teil der hermetischen Abriegelung des gesamten Gaza-Streifens, die dessen Bewohner in einem großen Gefängnis festhält und jeden Bereich ihres Lebens absolut kontrolliert.
Israel überprüft, im Übrigen bekanntermaßen völlig erfolglos, jede Lieferung nach Gaza auf mögliche Waffen und gibt regelmäßig Listen von Gütern heraus, deren Einfuhr in den Gaza-Streifen vollständig untersagt wird, da aus ihnen angeblich Waffen hergestellt werden könnten.
Zuweilen trieb die Verbotsorgie seltsame Blüten und wohl niemand wird je erschöpfend erklären können, wie aus Schokolade oder Ingwer Angriffswaffen gebaut werden könnten, die zumindest zeitweise ebenfalls unter das strikte Einfuhrgebot fielen.
Israel steuert das Leben in Gaza in allen Facetten. Es legt genau fest, wie viel Kilometer Fischer hinaus aufs Meer dürfen, wieviel Kalorien jedem zur Verfügung stehen sollten und vor allem, wer wann Gaza verlassen oder betreten darf.
Da Israel infolge mehrerer militärischer Angriffe notwendige Infrastruktur wie Energieerzeugung und Abwasserbehandlung im Gaza-Streifen schwerst beschädigt und in Teilen völlig vernichtet hatte, hängt Gaza sogar direkt von Energielieferungen ab, die Israel gewährt oder unterbindet. Die Wiedererrichtung wird durch die Importverbotslisten behindert oder ganz verhindert, da beispielsweise kein Beton eingeführt werden darf, weil daraus angeblich Hamas-Tunnel gebaut werden könnten.
Aus diesem Grunde betrachten alle relevanten Völkerrechtler Gaza als „(kriegerisch) besetzt“, nur wenige, in dieser Frage isolierte Staaten wie Deutschland halten sich an dem längst irrelevanten Grundsatz fest, nachdem sich „Boots on the ground“, also „Soldatenstiefel auf dem Boden“ einer als besetzt geltenden Zone befinden müssten.
Die UN stellt fest, dass Israel neben der absoluten Kontrolle des gesamten Lebens auch militärische durch Fernwirkung dergestalt ausübt, dass es gewissermaßen nach Belieben von See und von Land her das gesamte Gebiet mit weitreichender Artillerie bzw. Bombern und Raketen erreichen und vernichten kann. Aus diesem Grunde betrachtet die UN den Status der Besetzung als definitiv gegeben.
Das ist im Zusammenhang mit der Kaperung der „Madleen“ sehr wichtig zu wissen.
Besetzungen fremder Territorien sind nach eindeutigen und durch Resolutionen der UN gleich mehrfach bestätigt illegal. Gaza ist nicht israelisches Territorium. Die Seeblockade ist demzufolge illegal; die „Madleen“ hätte in jedem Fall nach internationalem Recht einen Anspruch darauf gehabt, nach der erfolgten Ankündigung der Straftat der Kaperung durch Israel von bewaffneten UN-Schiffen begleitet in Gaza anlanden zu können.
Selbst das von Israel gebetsmühlenartig angestrengte, angebliche „Recht auf Selbstverteidigung“ ist gleich aus mehreren Gründen hinfällig:
Erstens hätte die Besatzung der „Madleen“ selbstverständlich einer Durchsuchung auf See durch israelische Soldaten auf möglichen Waffenschmuggel zugestimmt. Jeder Kaffeepott, jedes Kopfkissen, jedes Klo und natürlich jedes Paket und Päckchen hätte geöffnet, umgedreht, durchleuchtet und untersucht werden können. Israel wäre sehr schnell zu dem Schluss gekommen, dass mit den geladenen Gütern keine Waffen hergestellt oder Aggressionen hätten ausgeführt werden können.
Zweitens existiert dieses „Recht auf Selbstverteidigung“ nach Dafürhalten führender Völkerrechtler aufgrund des Status der Besetzung von Gaza gar nicht. Ein Besatzer, dessen Präsenz, Kontrolle und Befehle auf fremdem Gebiet einen Bruch des Völkerrechts darstellen, kann dies Recht nicht für sich in Anspruch nehmen.
Im Gegenteil gewährt die Genfer Konvention in einem Fall wie Gaza dem Besetzten ein Recht auf bewaffneten Widerstand, zumal Palästinensern durch die UN die Anerkennung eines Volkes, den Status als Beobachterstaat und demzufolge natürlich auch das Recht auf Selbstbestimmung zuerkannt hat.
Der Angriff Israels auf die „Madleen“, ihre Kaperung, die Festsetzung ihrer Besatzung und Beschlagnahme der Ladung sind nach Würdigung des Vorstehenden fraglos Straftaten.
Das Entern von Schiffen in internationalen Gewässern enthebt im Übrigen das Ereignis ohnehin bereits von allen vorgenannten Erwägungen in Richtung „Seeblockade“, „Besatzung“ oder „Recht auf Selbstverteidigung“, denn im Falle der „Madleen“ handelte es sich definitiv weder um ein Kriegsschiff, das Gaza in der Absicht eines Angriffs auf Israel anlief, noch um einen Frachter, der allgemein verbotene Güter wie etwa Drogen geladen hätte.
Es ist tatsächlich demzufolge nichts anderes als Piraterie. Piraterie allerdings ist nach Deutschem Strafgesetzbuch (Par. 316c) ein Straftatbestand.
Faszinierenderweise existiert zur Frage der Piraterie eine interessante Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung. Dort wird ausgeführt, dass ein Akt der Piraterie nicht zwingend einen Bezug zu Deutschland selbst haben muss, um von der Bundesmarine nötigenfalls mit Gewalt unterbunden werden zu können.
Das Papier behandelt dazu insbesondere die Frage, inwiefern die verfassungsmäßige Bindung an das Völkerrecht Eingriffe der Bundesmarine in Fällen der Piraterie erzwingen könnten. Im Falle einer „Nothilfe“ besteht grundsätzlich das Recht zum Eingreifen. Unter Punkt 2.4 steht nämlich:
„Zur Reichweite des Nothilferechts wird man sagen können, dass es in zweierlei Hinsicht begrenzt ist. Zum einen bedarf es eines unmittelbar bevorstehenden oder noch laufenden Angriffs durch ein Piratenschiff.“
Die Bundesregierung war Tage vor dem erfolgten Piratenangriff Israels auf die „Madleen“ definitiv über die Absicht dazu informiert und da sich mit Frau Yasemin Acar eine deutsche Staatsbürgerin an Bord befand, die vom angekündigten, widerrechtlichen Angriff unmittelbar bedroht war, hätte der Fall der notwendigen Nothilfe unbedingt vorgelegen.
Geschehen ist jedoch bisher nichts. Lediglich Spanien hat in Bezug auf den Piratenakt empört den israelischen Botschafter einbestellt. Seitens der direkt betroffenen Staaten wie etwa Frankreich und Deutschland ist jedoch nur Funkstille zu hören.
Wieder einmal.
Schon 2014, als infolge eines Flächenbombardements Israels auf Gaza die insgesamt siebenköpfige Familie Kilani ums Leben kam, alle Opfer waren deutsche Staatsangehörige, reagierte weder die Politik, noch der Generalbundesanwalt darauf.
Zumindest Deutschland wird sich der Frage stellen müssen, wie weit es seine „Staatsräson“ verstanden haben will und was es bereit ist, ihr zu opfern.
Quelle: Zur Bekämpfung der Piraterie
Völkerrecht, Staatsrecht, Strafrecht
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.
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