Hamburg – Ein ehemaliger V-Mann, der in den 1990er Jahren in der links-autonomen Szene eingesetzt war, wirft dem Verfassungsschutz vor, ihn wiederholt durch Fehlinformationen getäuscht zu haben.
Jan P. war damals vor allem auf die linke Szene in Wuppertal und Solingen angesetzt, wurde aber auch zu Anti-Castor-Demos, den Chaostagen in Hannover oder in die Hamburger Hafenstraße geschickt. „Ich war zehn Jahre lang überall dabei, wo es gekracht hat“, so der heute 55-jährige Jan P. über seine Tätigkeit im Interview mit dem Rechercheformat STRG_F (NDR/funk).
Der damals Anfang 20-Jährige sei auch an gewalttätigen Aktionen beteiligt gewesen – immer mit dem Wissen des Verfassungsschutzes. Bei einer Aktion hätten seine Informationen dazu geführt, dass eine Gruppe linker Aktivistinnen und Aktivisten von einer Einheit des Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizei erwartet und zusammengeschlagen worden sei. Er habe heute Schuldgefühle, „den Personen und der Gesellschaft gegenüber“, sagt Jan P.
Zeitweilig sei Jan P. sogar auf einen V-Mann der rechten Szene angesetzt gewesen. Eben dieser geriet in den Fokus der Öffentlichkeit, als 1993 bei einem rassistischen Brandanschlag auf das Haus einer türkischstämmigen Familie in Solingen fünf Menschen starben. Trotz Gerichtsverfahren blieben Fragen zur Beteiligung des rechten V-Mannes am Brandanschlag und zur Verantwortung des Verfassungsschutzes offen. Bis heute wird Jan P. den Eindruck nicht los, dass er eingesetzt wurde, um die Aufklärung des Falls zu behindern. „Aus heutiger Sicht habe ich den Verfassungsschutz geschützt. Und nicht die Verfassung“, so Jan P.
Er habe wiederholt aussteigen wollen. Doch Zweifel seien jedes Mal von seinem V-Mann-Führer weggewischt worden. Während seiner aktiven Zeit bis Ende der 1990er Jahre soll Jan P. nach eigenen Angaben monatlich rund 3.000 DM für seine Tätigkeit erhalten haben. 20 Jahre lang habe er anschließend geschwiegen. Das Doppelleben und der fortwährende Verrat an seinen Freunden aus der linken Szene hätten ihn krank gemacht.
Er habe oft an Suizid gedacht, leide unter Depressionen. Arztberichte diagnostizieren Jan P. eine „posttraumatische Belastungsstörung, bezogen auf die zehnjährige V-Mann Tätigkeit“. Weder das zuständige Innenministerium Nordrhein-Westfalens noch das Bundesamt für Verfassungsschutz wollten sich auf Anfrage zum Fall Jan P. äußern.
Seit 2016 gelten für die Geheimdienste erstmals allgemeine „Qualitätsstandards in der Quellenführung“. Nach Recherchen von STRG_F wird die Zusammenarbeit nun etwa anhand eines detaillierten Bewertungsbogens regelmäßig überprüft. Laut eines vertraulichen Papiers müsse die Vertrauensperson ein „psychisch stabiler und einschätzbarer Charakter“ sein und die Geldzuwendungen des Staates „dürfen nicht auf Dauer die alleinige oder überwiegende Lebensgrundlage“ der Quelle bilden.
(NDR/funk), Dienstag, 19. April, ab 17.00 Uhr auf dem YouTube-Kanal von STRG_F unter https://www.youtube.com/c/STRGF.
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