Start Panorama NDR Sexueller Missbrauch: Fachleute werfen politisch Verantwortlichen Tatenlosigkeit vor

NDR
Sexueller Missbrauch: Fachleute werfen politisch Verantwortlichen Tatenlosigkeit vor

Zehn Jahre nach dem Ende des Runden Tischs der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch ziehen Fachleute und Betroffenenverbände gegenüber dem NDR eine denkbar negative Bilanz und werfen den politisch Verantwortlichen Tatenlosigkeit vor.

(Symbolfoto: pixa)
Teilen

Hamburg – Zehn Jahre nach dem Ende des Runden Tischs der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch ziehen Fachleute und Betroffenenverbände gegenüber dem NDR eine denkbar negative Bilanz und werfen den politisch Verantwortlichen Tatenlosigkeit vor.

So auch der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Der Jurist, der zum Ende des Jahres aus dem Amt scheidet, berichtet von vergeblichen Versuchen, das zuständige Bundesgesundheitsministerium zu mehr Engagement für eine bessere therapeutische Versorgung zu bewegen. Minister Jens Spahn habe er in den vergangenen vier Jahren trotz vieler Versuche „kein einziges Mal gesprochen“, so Röhrig.

Am 30. November 2011 legte der „Runde Tisch: Sexueller Kindesmissbrauch“ seinen Abschlussbericht vor und beendete seine Arbeit. Ein Ziel war, für mehr Hilfen und Unterstützung für Betroffene zu sorgen. Was hat sich in den vergangen zehn Jahren getan? Die NDR-Doku-Reihe „45Min“ zieht in einem Schwerpunkt Bilanz. Das NDR Fernsehen zeigt am Montag, 29. November, um 22 Uhr die Dokumentation „45Min: Sexuelle Gewalt – wo bleibt die Hilfe?“ und in der ARD Mediathek ist die dreiteilige Doku-Serie „Schutzlos. Sexuelle Gewalt gegen Kinder“ zu sehen.

Darin kommen Fachleute und Betroffenen-Vertreter zu einem einhelligen Fazit: An der desaströsen therapeutischen Versorgung und an den fehlenden konkreten Hilfsangeboten habe sich kaum etwas geändert.

Zudem hat die Corona-Pandemie die Situation für Kinder nach Ansicht vieler Fachleute verschärft. Viele Kinder seien ihren Täter*innen im Lockdown schutzlos ausgeliefert – sei es in der elterlichen Wohnung oder virtuell in sozialen Medien und in Online-Spielen. Die sexuelle Kontaktanbahnung über das Netz, Cybergrooming genannt, hat aus Sicht von Expert*innen wie Julia von Weiler massiv zugenommen. Auch, weil die Polizei online praktisch kaum präsent sei. „Das Entdeckungsrisiko für Täter*innen im Netz ist so gering, dass sie ungehindert weitermachen“, so die Psychologin.

Das bestätigen Kriminalpolizisten aus Rostock, die in der Dokumentation bei der Arbeit begleitet werden: „Wir haben mit der Auswertung von Missbrauchsabbildungen so viel zu tun, wir können uns nicht noch neue Arbeit in irgendwelchen Chaträumen suchen“, so ein Ermittler. Im Interview räumt NRW-Innenminister Herbert Reul ein, das Problem der sexuellen Gewalt gegen Kinder lange Jahre „nicht ernst genommen“ zu haben. Hat die Politik das Thema generell verschlafen? „Total“, so der CDU-Politiker.

Autor und Regisseur Sebastian Bellwinkel berichtet für NDR und ARD-weit seit dem Missbrauchsskandal 2010 regelmäßig über das Thema. Damals waren zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs im Kreis der katholischen Kirche bekannt geworden und in Folge der Runde Tisch eingerichtet. Für den aktuellen Schwerpunkt interviewt er Expert*innen wie Fock und trifft erneut Betroffene, die schon in früheren Filmen zu Wort kamen.

„45 Min: Sexuelle Gewalt gegen Kinder- wo bleibt die Hilfe?“, am Montag, 29.November, um 22.00 Uhr im NDR Fernsehen. Autor: Sebastian Bellwinkel; Redaktion: Sabine Reifenberg

„Schutzlos – Sexuelle Gewalt gegen Kinder“, Folge 1: Die Tat; Folge 2: Der Kampf; Folge 3: Die Folgen. Ab Montag, 29. November in der ARD Mediathek. Autor*in: Noura Mahdhaoui, Sebastian Bellwinkel; Redaktion: Kathrin Becker, Sabine Reifenberg.

Auch interessant

– Sexueller Missbrauch von Kindern –
Missbrauchsbeauftragter: „Kleinkinder werden vor laufender Kamera getötet“

Kriminelle Netzwerke kauften etwa in Tschechien Babys für 4000 Euro, die dann einzig zum Zweck der sexuellen Ausbeutung großgezogen würden.

Missbrauchsbeauftragter: „Kleinkinder werden vor laufender Kamera getötet“