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PKK-Kindersoldaten: Der lange Kampf kurdischer und jesidischer Eltern um ihre Töchter und Söhne

Dass die Terrororganisation PKK nicht davor zurückschreckt, auch Kinder und Minderjährige zu entführen, um sie bei Kämpfen als Kanonenfutter zu gebrauchen, ist seit Langem bekannt. Was bis jetzt zumeist nur durch wenige Beteiligte innerhalb der kurdischen und jesidischen Community lautstark verurteilt wurde, sorgt nun auch international für teils heftige Kritik. Der allgemeine Tenor lautet: So geht es nicht mehr weiter!

(Archivfoto: nex24)
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Von Yasin Baş

Dass die Terrororganisation PKK nicht davor zurückschreckt, auch Kinder und Minderjährige zu entführen, um sie bei Kämpfen als Kanonenfutter zu gebrauchen, ist seit Langem bekannt. Was bis jetzt zumeist nur durch wenige Beteiligte innerhalb der kurdischen und jesidischen Community lautstark verurteilt wurde, sorgt nun auch international für teils heftige Kritik. Der allgemeine Tenor lautet: So geht es nicht mehr weiter!

Entführt, zum Waffen- und Ideologieunterricht gezwungen sowie von der Schule und dem Elternhaus abgeschnitten

Vor einigen Tagen stellte der israelische Journalist und pensionierter Militäroffizier Zvi Bar’el in der liberalen Zeitung Haaretz die Frage, was ein 16-jähriges Mädchen tue, wenn sie in einem der kurdischen Bezirke Syriens lebe, um sodann selbst darauf zu antworten: „Normalerweise das, was jedes Mädchen ihres Alters tut: Sie geht zur Schule, schreibt Beiträge auf Facebook, Twitter und Instagram und hilft ihrer Mutter im Haushalt.“

Es gebe jedoch auch Mädchen, die von den „Women’s People’s Defense Forces (YPJ) der YPG“, einer Splittergruppe der PKK, zwangsrekrutiert würden. Der 1935 geborene Nahost-Experte der Haaretz, selbst mit kurdischen Wurzeln, dessen Familie auf Empfehlung des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ben-Gurion den kurdischen Nachnamen Barazani in Bar umwandeln ließ, wies in seiner bemerkenswerten Analyse darauf hin, dass „Mädchen im Alter von 15 oder 16 Jahren“ zu Protokoll gegeben hätten, dass sie von Einheiten der YPG/PKK „aus ihren Häusern entführt, zum Wehrdienst und Ideologieunterricht gezwungen, von der Schule und dem Elternhaus abgeschnitten wurden, um zu Kämpferinnen auf der Straße zu werden.“

In Medieninterviews hätten sich „einige der Mädchen über die harten Bedingungen und ihre Sehnsucht nach Heim und Familie, die sie manchmal monatelang nicht gesehen hatten“, beschwert.

Jüngstes Opfer erst elf Jahre alt

Allein in Nordsyrien, wo die PKK unter vielfältigen Tarnnamen auftaucht, verschleppe sie jeden Monat im Schnitt etwa 100 Kinder. Die Minderjährigen werden nicht nur direkt von ihren Familien herausgerissen, sondern auch aus Studentenzirkeln, Flüchtlingslagern und Jugendgefängnissen rekrutiert. Die Jüngste unter den Entführungsopfern sei erst elf Jahre alt. Dies führt zu großem Leid unter den Familien und Verwandten der zwangsrekrutierten, kurdischstämmigen Kinder.

In der Türkei protestieren kurdische Eltern seit dem 3. September 2019 vor der Bezirksvertretung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Diyarbakır. Sie fordern von der HDP, der ein zwielichtiges Verhältnis zur PKK nachgesagt wird und die die Protestaktionen für ein bösartiges Komplott hält, die Freilassung ihrer Kinder. Bis jetzt haben sich der immer noch anhaltenden Kundgebung im kurdisch dominierten Diyarbakır insgesamt 151 Mütter und Väter angeschlossen.


Zum Thema: Türkei: EU-Politiker plant Besuch bei „Kurdische Mütter gegen PKK“


Allein 15 Kinder konnten dadurch aus den Fängen der PKK befreit werden. Auch in Deutschland geht eine Mutter seit Ende letzten Jahres jeden Freitag auf die Straße, um auf das Schicksal ihrer Tochter, die von der PKK indoktriniert und daraufhin verschleppt wurde, aufmerksam zu machen. Die verzweifelte Mutter Maide Töre fordert Unterstützung von der deutschen Politik und den Behörden. Selbst der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, die Organisation Human Rights Watch oder Behörden der USA rügen in ihren offiziellen Dokumenten die skrupellosen Maßnahmen der Separatistenorganisation.

PKK ignoriert Bitte der Eltern

So geht auch Zvi Bar’el in seiner Analyse auf diesen Sachverhalt ein:

„Vor etwa einem Jahr intervenierten die Vereinten Nationen in dieser Angelegenheit, und nach Verhandlungen mit der Führung der kurdischen Streitkräfte [YPG/PKK] wurde ein Abkommen unterzeichnet, wonach die kurdischen Streitkräfte [YPG/PKK] keine Mädchen unter 18 Jahren, dem Alter der obligatorischen Wehrpflicht in den kurdischen Einheiten [YPG/PKK], mehr einziehen würden.“

Der dreifache Familienvater Bar’el, der vor seiner Pensionierung auch Polizeibeamter und Politiker war, stellt in seinem Beitrag fest, dass trotz des Abkommens mit den Vereinten Nationen immer noch „junge Mädchen“ durch die Truppen der YPG/PKK gewaltsam rekrutiert werden. „Herzzerreißende Briefe an den Kommandeur der kurdischen Streitkräfte [YPG/PKK], Mazloum Abdi [Kobane], und die Kommandozentrale der Fraueneinheiten, in denen sie um die Freilassung ihrer Töchter oder zumindest um Hausbesuche bettelten, blieben unbeantwortet oder erhielten kurze, harte Antworten“, so Bar’el.

Preisgekrönter Journalist legt Finger in eine offene Wunde

Bar’el ist seit 1982 bei der israelischen Haaretz, an der unter anderem auch das Kölner Verlags- und Medienunternehmen M. DuMont Schauberg beteiligt ist, und schreibt dort über die arabische und islamische Welt. Im Jahr 2009 wurde der Journalist mit dem Sokolov-Preis für sein Lebenswerk im Print-Journalismus ausgezeichnet.

Mit seiner aktuellen Analyse trifft der preisgekrönte Journalist einen Nerv: Kurdische Eltern beklagen seit langem schon die Verschleppung und Zwangsrekrutierung ihrer Kinder durch Organisationen, die die kurdische oder jesidische Identität instrumentalisieren, um ihre teils verbrecherischen Ziele durchzusetzen.

Das ist ein wichtiges Signal der kurdischen und jesidischen Gesellschaft. Die auch in der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) als terroristische Vereinigung geführte PKK mit ihren Splittergruppen wie YPG, YPJ etc. darf nicht den Anspruch erheben, mit ihren marginalen Zielen und kriminellen Handlungen die gesamten kurdischen und jesidischen Bürger*innen zu vertreten. Schon gar nicht, indem sie auf eine heimtückische Straftat zurückgreift und Kinder für tödliche Kämpfe entführt.

Zentralrat der Jesiden in Deutschland verurteilt PKK

Überdies ist nicht selten davon die Rede, dass die im Irak, Syrien oder der Türkei lebende Gemeinschaft der Jesiden in einer Art Kampfbündnis aufseiten der PKK kämpfe und diese nahezu bedingungslos unterstütze.

Dieser falsche Eindruck scheint sich jedoch durch einige öffentliche Verlautbarungen von jesidischen Organisationen als fragwürdig herauszustellen: So verurteilte der Zentralrat der Jesiden in Deutschland (ZED) in einer kürzlich bekannt gewordenen Pressemitteilung die Rekrutierung und Verschleppung von Jugendlichen und Kindern durch die „YBS“, ebenso eine Splittergruppe der PKK, und forderte diese auf, die Entführungsopfer „unverzüglich freizulassen“.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende des ZED, Said Saydo, bezeichnete die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren als „Kriegsverbrechen“ und sagte: „Wir werden dies nicht hinnehmen und unserem Volk in noch so schwierigen und dunklen Zeiten bedingungslos beistehen“.

Im Fokus der deutschen Behörden

Auch in Deutschland steht die Organisation, die Konflikte ins Land importiert, schon seit vielen Jahren unter verstärkter Beobachtung. Die Sicherheitsdienste informieren, dass Deutschland der hier seit 1993 verbotenen PKK in erster Linie als Rückzugs-, Refinanzierungs- und Rekrutierungsraum diene. Seit 1993 haben die Behörden von Bund und Ländern über 52 Organisationen, die der PKK zugerechnet wurden, bereits verboten. Die PKK ist in Deutschland nach Angaben des Bundesinnenministeriums mit etwa 14.500 Anhängern die „mit Abstand mitgliederstärkste extremistische Ausländerorganisation“.

Garant für den Frieden in der Region: Eine wirtschaftliche und politische Union für den Nahen- und Mittleren Osten

Das in Teilen der hiesigen Medien und der Öffentlichkeit weit verbreitete, jedoch trügerische Bild, dass es sich bei der PKK bzw. YPG um eine Vereinigung handle, die alle Kurd*innen vertritt, stimmt so nicht und bedarf daher einer Revision.

Die PKK/YPG sollte erkennen, dass sie mit dem bewaffneten, separatistischen Kampf, so wie sie jetzt agiert, nicht mehr weiterkommt. Als Vorbedingung eines möglichen und erfolgversprechenden Friedensprozesses wäre die Organisation gut beraten, jegliche Waffen niederzulegen und zu ermöglichen, dass die verschleppten Kinder zu ihren Familien zurückkehren können.

Ferner muss der rationale Flügel innerhalb der PKK/YPG endlich erkennen, dass er seit nunmehr Jahrzehnten von neo-imperialistischen Mächten, die die ressourcenreiche Region destabilisieren und ausbeuten möchten, als Spielball benutzt wird. Um einen dauerhaften Frieden im Nahen- und Mittleren Osten sowie in den angrenzenden Orten im südöstlichen Europa und im Kaukasus zu gewährleisten, benötigen die dortigen Staaten eine auf Stabilität und Kooperation ausgerichtete, politische und ökonomische Union, ähnlich wie die EU.

Für so eine Wertegemeinschaft werden unter allen Anrainern der Region vorausblickende Politiker*innen gebraucht. Auch und gerade aufseiten der kurdischen Völker werden visionäre Vertreter*innen vermisst, die sich nicht wie so oft in der Vergangenheit, gegeneinander ausspielen- und von fremden, expansionistischen Kräften instrumentalisieren lassen.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Yasin Baş

Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?”, „nach-richten: Muslime in den Medien” und: „Medien in Deutschland: Eine Analyse der Printmedien, visuelle- und Onlinemedien sowie eine Kritik an dem Mediensystem”.