Start Panorama Gesellschaft R+V-Langzeitstudie Umfrage: Deutsche so unbesorgt wie seit 25 Jahren nicht

R+V-Langzeitstudie
Umfrage: Deutsche so unbesorgt wie seit 25 Jahren nicht

Die R+V-Langzeitstudie zeigt: Die Deutschen sind 2019 deutlich optimistischer als im vergangenen Jahr - so gelassen wie heute waren sie zuletzt vor 25 Jahren.

(Beispielfoto: pixa)
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Die R+V-Langzeitstudie zeigt: Die Deutschen sind 2019 deutlich optimistischer als im vergangenen Jahr – so gelassen wie heute waren sie zuletzt vor 25 Jahren.

Die insgesamt verbesserte Stimmung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die aktuellen politischen Probleme mehr als jedem zweiten Bundesbürger erhebliche Sorgen bereiten. Auf den Spitzenplätzen der repräsentativen R+V-Umfrage „Die Ängste der Deutschen 2019“ stehen Zuwanderungsthemen nahezu gleichauf mit den Folgen der Trump-Politik.

Innen- und außenpolitische Probleme im Fokus

„Die Stimmungslage in Deutschland hat sich verbessert. Durch einen Rückgang bei fast allen Sorgen sinkt der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Ängste – von 47 auf 39 Prozent und erreicht damit den niedrigsten Wert seit 1994“, sagt Brigitte Römstedt anlässlich der Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin.

Die Leiterin des R+V-Infocenters berichtet, dass nach wie vor aber viele Menschen besonders unzufrieden mit der Politik sind. „Seit vier Jahren verdrängen politische Sorgen alle anderen Ängste. Im Fokus stehen dabei die Überforderung der Politiker und drohende soziale Spannungen.“

56 Prozent (Vorjahr: 63 Prozent) der Deutschen befürchten, dass der Staat durch die große Zahl der Flüchtlinge überfordert ist – ganz knapp Platz eins der diesjährigen Umfrage. Fast ebenso viele Bürger (55 Prozent, Vorjahr: 63 Prozent) haben Angst davor, dass es durch den weiteren Zuzug von Ausländern zu Spannungen zwischen Deutschen und hier lebenden Ausländern kommt.

Mit ebenfalls 55 Prozent folgt eine außenpolitische Sorge: Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Politik von Donald Trump die Welt gefährlicher macht. Da diese Angst im dritten Jahr seiner US-Präsidentschaft um 14 Prozentpunkte zurückgegangen ist, sinkt sie von zuvor Platz eins auf den dritten Platz.

Traditionell groß ist auch die Sorge, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind. Sie steht mit 47 Prozent auf Platz vier, liegt aber ebenfalls 14 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. Dazu Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und seit vielen Jahren Berater des R+V-Infocenters:

„Dass sich das harsche Urteil der Befragten über die Politiker 2019 abgemildert hat, hängt damit zusammen, dass die endlos lange Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 abgeschlossen ist. Beruhigend wirkt auch, dass der enervierende Streit in der Großen Koalition um Asylfragen und um das Führungspersonal des Verfassungsschutzes mittlerweile Geschichte ist.“

Terror und Extremismus: Gewalt macht Angst

Gewalttätige Ausschreitungen militanter Extremisten führen zu großer Besorgnis in der Bevölkerung. Fast jeder zweite Befragte (47 Prozent, Platz 5) befürchtet, dass sich der politische Extremismus ausbreitet. Doch welches politische Spektrum haben die Deutschen dabei im Hinterkopf? Das R+V-Infocenter hat nachgefragt.

„Hier zeigt sich eine bemerkenswerte Reihung“, kommentiert Professor Schmidt. „Am meisten ängstigt die Befragten der als extrem gewaltsam eingestufte islamische Extremismus (38 Prozent). Als erheblich geringer gilt die Bedrohung durch den Rechtsextremismus (25 Prozent). Fast unbekümmert scheinen die Befragten den Linksextremismus zu bewerten (4 Prozent).“

Stark gesunken ist die Furcht vor terroristischen Attentaten

Diese Angst, die nach den massiven Anschlägen in Europa in den Jahren 2016/2017 auf weit überdurchschnittliche Werte von mehr als 70 Prozent geschossen war, liegt jetzt bei 44 Prozent (Vorjahr: 59 Prozent) und damit auf Platz neun im Ranking. Bei dieser Frage zeigt sich deutlich, dass die Deutschen auf reale Ereignisse reagieren, sagt Römstedt: „Die Langzeitbeobachtung belegt, dass die Angst nach spektakulären Terroranschlägen steigt – insbesondere, wenn sie in Deutschland oder den Nachbarländern passieren. Bleibt es relativ friedlich, wie im vergangenen Jahr, wird auch die Angst geringer.“

Hohe Mieten lösen Ängste aus

Knapper Wohnraum in vielen Regionen, explodierende Immobilienpreise und hohe Mieten: Zum ersten Mal hat das R+V-Infocenter die Deutschen auch nach diesen Themen befragt. Und das Ergebnis zeigt den Stellenwert des Problems. Nahezu jeder zweite Bürger hat große Angst davor, dass Wohnen in Deutschland unbezahlbar wird. Mit 45 Prozent springt diese Angst auf Anhieb auf Platz sechs im Ranking.

Umweltthemen sind Dauerbrenner bei den Sorgen

Der hohe Stellenwert „grüner“ Themen spiegelt sich auch in der 2019er-Studie „Die Ängste der Deutschen“ wider. „Umwelt- und klimapolitische Themen wühlen die deutsche Bevölkerung seit Jahr und Tag auf – schon lange vor dem Aufstieg der Fridays for Future-Protestbewegung“, erklärt Professor Schmidt. „Mitunter haben diese Themen mehr als die Hälfte der Bevölkerung mobilisiert. Aber selbst die niedrigsten Werte liegen oberhalb der 40-Prozent-Schwelle.“ 2019 haben 41 Prozent der Befragten Angst davor, dass der Klimawandel dramatische Folgen für die Menschheit hat. Ebenso viele Deutsche befürchten, dass Naturkatastrophen zunehmen und Deutschland immer häufiger von Wetterextremen wie Dürre, Hitzewellen oder Starkregen betroffen wird.

Hierzu Professor Schmidt: „Die Erhebungen der Ängste-Studien zeigen, dass die Deutschen Themen rund um Natur und Umwelt sehr ernst nehmen. Mehr noch: Gefährdungen der natürlichen Umwelt werten viele Deutsche als rational und emotional bedrohliche Herausforderungen – nicht nur als technische Probleme, deren Lösung den Politikern und den Spezialisten obliegt.“

Die Schere zwischen Ost und West klafft wieder auseinander

Die gute Nachricht: In Ost und West sind die Ängste rückläufig. Da sie im Westen jedoch erheblich stärker gesunken sind, gibt es in diesem Jahr wieder deutliche Unterschiede zwischen den beiden Regionen. Im Osten sind alle Ängste größer – auch bei den Top-Themen. 64 Prozent der Bürger im Osten befürchten, dass der Staat und die Bürger durch die große Zahl der Flüchtlinge überfordert sind. Im Westen sind es zehn Prozentpunkte weniger. Fast zwei Drittel (64 Prozent) der Ostdeutschen hat Angst davor, dass es durch den weiteren Zuzug von Ausländern zu Spannungen zwischen Deutschen und hier lebenden Ausländern kommt (West: 53 Prozent).

Und noch eine dritte Sorge erreicht im Osten die 60-Prozent-Marke: 60 Prozent der Ostdeutschen finden die Politik von Donald Trump bedrohlich. Im Westen sind es 54 Prozent, was ganz knapp Platz eins auf der westdeutschen Ängste-Skala ist. Auch wirtschaftliche Themen flößen den Ostdeutschen mehr Angst ein. Den größten Unterschied gibt es bei der Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten: Im Osten hat die Mehrheit der Bürger (55 Prozent) Angst davor, dass alles immer teurer wird. Diese Sorge teilen im Westen 41 Prozent der Befragten.

Weitere Ergebnisse der R+V-Studie in Kurzform:

Unterschiede bei Männern und Frauen: Frauen sind bundesweit traditionell etwas ängstlicher als Männer. Erheblich mehr Sorgen machen sich die Frauen um Krankheit (Frauen: 41 Prozent, Männer: 30 Prozent) und Pflege (Frauen: 49 Prozent, Männer: 40 Prozent), aber auch um Schadstoffe in Nahrungsmitteln (Frauen: 47 Prozent, Männer: 37 Prozent).

Interessant: Etwas gelassener als die Männer sind die Frauen bei der Angst vor der Überforderung des Staats durch die Flüchtlinge (Frauen: 54 Prozent, Männer: 58 Prozent). Während bei den Männern diese Angst auf Platz eins steht, ist es bei den Frauen die Furcht vor den Folgen der Trump-Politik.

EU-Schuldenkrise: 44 Prozent der Deutschen sorgen sich darum, dass die EU-Schuldenkrise teuer für den deutschen Steuerzahler wird (Platz 8). Zum Vergleich: In den Jahren 2011/2012 – auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise – lag diese Angst noch bei extrem hohen Werten um die 70 Prozent. –

Pflegebedürftigkeit im Alter: Fast jeder zweite Deutsche (45 Prozent) fürchtet sich davor, im Alter pflegebedürftig zu werden. Da politische Themen diese Angst überschatten, liegt sie nur auf Platz sieben im Ranking. Deutlich weniger Sorgen machen sich die Deutschen hingegen um ihre Gesundheit. Nur etwa jeder Dritte (35 Prozent, Platz 15) hat Angst davor, schwer zu erkranken. –

Steigende Lebenshaltungskosten: Auf Platz zehn steht mit 43 Prozent die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten. Der Dauerbrenner der 1990er und 2000er Jahre hat seit 2011 stark an Bedeutung verloren. In der Vergangenheit lag diese Sorge jahrelang unangefochten auf Platz eins.

Wirtschaftliche Themen: Wie im vergangenen Jahr spielen wirtschaftliche Sorgen in der Umfrage eine untergeordnete Rolle. Lediglich jeder vierte Deutsche (24 Prozent) fürchtet sich davor, den eigenen Job zu verlieren – so wenige wie nie zuvor. Kaum höher ist die Angst vor steigenden Arbeitslosenzahlen in Deutschland (28 Prozent). Die derzeit leicht schwächelnde Wirtschaft spiegelt sich damit noch nicht bei den Ängsten der Deutschen wider. Mit 35 Prozent erreicht die Angst vor einem Abwärtstrend der Wirtschaft sogar den niedrigsten Wert seit 20 Jahren (Platz 14).

Krieg: Nur noch etwa jeder vierte Deutsche (24 Prozent, Vorjahr: 35 Prozent) hat Angst vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung. Damit ist diese Sorge so gering wie nie zuvor im Verlauf der Umfrage.

Über die Studie

„Die Ängste der Deutschen“ ist die bundesweit einzige Umfrage, die sich über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren alljährlich mit den Sorgen der Bevölkerung befasst. Bereits seit 1992 lässt das R+V-Infocenter jedes Jahr rund 2.400 Männer und Frauen im Alter ab 14 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland nach ihren größten politischen, wirtschaftlichen, persönlichen und ökologischen Ängsten befragen. Die repräsentative Umfrage startet immer im Sommer – dieses Mal lief sie vom 13. Mai bis zum 23. Juli 2019 mit insgesamt 22 Fragen.