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Kommentar
Prof. Dr. Hans-Christian Günther zur „Spitzel-App“ der türkischen Polizei

"Am legitimen Umgang des Verfassungsschutzes mit Bespitzelung darf sicher auch gezweifelt werden, nicht nur seit der neuerlichen Affäre Maaßen, auch wegen der NSU-Akten, der Amri-Affäre etc." - Ein Kommentar.

(Symbolfoto. AA)
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Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Als es zum letzten Programmpunkt des Erdoganbesuches in Deutschland kam, der Eröffnung der DITIB-Moschee, wurde ein alter Vorwurf wieder in den deutschen Medien laut: Erdogan lasse über seine Anhänger und über DITIB-Imane ganz offiziell in Deutschland lebende Türken bespitzeln und Regimegegner dann beim Türkeiurlaub sogar verhaften.

Nur wegen kleiner Facebookbeleidigungen im türkischen Stil (d.h. Böhmermann ohne Reim), in Deutschland ,Kritik‘ genannt. Dazu kamen jetzt noch härtere Vorwürfe: die Rede war von einer neuen App der türkischen Polizei, die jeder kostenlos herunterladen könne. Erdogantreue Türken seien dazu aufgefordert, auf dieser App Erdogans Kritiker systematisch zu denunzieren.

Nun, ich hab mich in der Türkei erkundigt. Die ominöse App gibt’s seit 2016. Die ist eine App der türkischen Polizei zur Meldung von Internetkriminalität, etwa in sozialen Netzwerken, genau so wie es das in Deutschland und überall gibt, ob als App oder in anderer Form. Da kann man auch keine anonymen Anzeigen machen: man muss seine Identität vollständig offenlegen.

Selbstverständlich geht’s dabei besonders um Terrorismus. Niemand wird also so etwas berechtigterweise kritisieren können.
Aber trotzdem: schon da gibt’s, so wie es heute zwischen Türkei und Deutschland steht Probleme. So äußert sich in einem empörten Report der ARD ein ,Geheimdienstexperte‘ Erich Schmidt-Eenboom dahingehend, dass Erdogan den Begriff Terrorismus ungebührlich ausweite.

Man könne ihn für die PKK gelten lassen, nicht aber für Gülenisten und andere. Nun ist die Gülenbewegung in Deutschland nicht als Terrororganisation eingestuft, in der Türkei schon. Kein ungewöhnlicher Vorgang; da gibt es Unterschiede zwischen Staaten. Dass Erdogan Gülenanhänger als Terroristen betrachtet, ist aber sicher verständlich. Noch verständlicher ist es, dass er die in Deutschland ausspähen lassen will, da die dort frei ihr Unwesen treiben können.

Nun wird freilich behauptet, Erdogan lasse die App benutzen, um gewöhnliche Türken in Deutschland, die ihn nicht mögen, auch ausspähen und sie so einschüchtern. Wer auf Facebook etwas Erdoganfeindliches postet, muss Angst haben, ein Erdogananhänger meldet das der türkischen Polizei; sobald er die Türkei betritt, wird er verhaftet. Zwei derartige Fälle mit Aussagen der Betroffenen wurden kurz nach Erdogans Besuch in der Presse gemeldet. Eine derartige Bespitzelung von Normalbürgern ist peinlich und wäre unangemessen. Medien berichten nur von einer allgemeinen Sorge.

„Report Mainz“ etwa berichtet von einem „kurdischen Flüchtling Murat Ü“, der einen Anwalt aufsuchte, da er aufgrund seiner Erdogan beleidigenden Äußerungen eine Nachricht erhielt, er sei angezeigt worden, und sich jetzt fürchtet in die Türkei zurückzukehren.

Dies sieht gewiss eher nach der Drohung einer übereifrigen Erdoganfans aus. Dass die türkische Polizei einer derartigen Anzeige, wenn sie denn erfolgte, auch nachgehen würde, ist zumindest völlig unbewiesen.

Man würde sich wünschen, die türkische Polizei hat Besseres zu tun, als Facebookposts von irgendwelchen völlig harmlosen Türken in Deutschland zu verfolgen. Erdogan täte sich mit derartigen Kleinlichkeiten auch keinen Gefallen.
Nun, ob es wahr ist, dass diese App zur Verhaftung in der Türkei nur aufgrund von deftig-türkisch formulierter Erdoganschelte führt, bleibe zunächst einmal dahin gestellt. Es bleibe auch dahingestellt: kommt es zu derartigen Denunzierungen einfach durch übereifrige Erdoganfans oder wird es systematisch gefördert?

Die aber Fragen, die sich eigentlich aufdrängen, sind aber vor allem die:

1) warum ist die Situation zwischen Türken in Deutschland so polarisiert, dass gegebenenfalls selbst einfache türkische Bürger ohne jede Terrorismusaffiliation vielleicht tatsächlich denunziert werden?

2) warum ist die Situation zwischen Deutschland und der Türkei so gespannt, dass man über den Standpunkt der Gegenseite nur noch mit Anfeindungen und Hass reden kann?
Und da muss ich sagen, daran ist glasklar Deutschland schuld, nicht die Türkei.

Was erwartet man von in Deutschland lebenden Türken, die Erdogan wählen, wenn hier in Deutschland Themen des türkischen Wahlkampfes die gesamte öffentliche Diskussion beherrschen?

Wenn deutsche Politiker sich anmaßen, Türken vorzuschreiben, was sie wählen müssen, um in Deutschland noch willkommen zu sein? Wenn deutsche Politiker für eine türkische Kleinpartei emphatisch werben und fordern, dass auch in der Türkei tun zu dürfen?

Dem gewählten Präsidenten der Türkei und seiner Partei wird dagegen verboten, hier in Deutschland Wahlkampf zu machen. Ist es nicht selbstverständlich, dass das die Türken, die Erdogan verehren, wütend macht – auf Deutschland und auf Türken, die sich – in ihrer Sicht – auf die Seite der Deutschen stellen, die ihnen ihre Meinung verbieten und – jedenfalls in ihren Augen – ihr ganzes Land grob beleidigen? Und wie permanent und grob Erdogan in Deutschland systematisch beleidigt wird, brauche ich wohl nicht zu erklären.

Und wenn das so ist: ist es dann noch möglich, dass sich Deutschland und die Türkei sachlich darüber unterhalten, was die Türkei legitimerweise an polizeilicher Aufklärung in Deutschland tun darf und was nicht?

Was immer man über die Gülenbewegung denkt, hier bestehen Unterschiede zwischen der Rechtslage in Deutschland und der Türkei. Zivilisierte Staaten reden über solche Dinge sachlich und höflich hinter verschlossener Tür. Wenn aber Deutschland sich in unverschämter Weise in den türkischen Wahlkampf einmischt, ist das nicht mehr möglich.

Dasselbe gilt für Bespitzelung von harmlosen Privatpersonen. Wären die Verhältnisse zwischen der Türkei und Deutschland nicht aufgrund deutschen Verhaltens vergiftet, könnte man sachlich darüber reden oder eher: es gäbe so etwas nicht.

Zudem: wie unangenehm und unangebracht es auch sein mag, wenn es solche Bespitzelung geben sollte – auch in Deutschland kann ich nicht über jeden Politiker öffentlich sagen oder gar schreiben, was ich will: ich muss mich immer fragen, ob das, was ich sage, geg. justiziabel ist oder nicht. Wenn es justiziabel ist, kann ich leicht Ärger kriegen. Türken hier in Deutschland müssen sich im Klaren darüber sein, was in der Türkei justiziabel ist, bevor sie ihrer politischen Meinung in der Sprache Böhmermanns formulieren.

Und jetzt noch was zu Überwachung durch die türkische Polizei und die deutsche. Was ist eigentlich mit dem bayerischen Polizeigesetz, wo man in der Theorie jedenfalls auf unbeschränkte Zeit in Untersuchungshaft kommen kann? Was ist mit der Tatsache, dass die Polizei ohne konkreten Tatverdacht meine Internetaktivitäten und mein Handy abhören darf?

Und außerdem: es gibt in Deutschland nicht nur eine Seite zur Meldung von Internetkriminalität, es gibt auch ein Telefon und eine Mailadresse des Verfassungsschutzes speziell zur Meldung islamistischen Terrors: Hinweistelefon Verfassungsschutz . Der Text ist so formuliert, dass es hier wirklich nur um Terrorismus geht. Das ist legitim, wie die türkische App legitim ist, wenn sie von der türkischen Polizei korrekt benutzt wird. Deutsche Medien bezweifeln, dass das so ist.

Am legitimen Umgang des Verfassungsschutzes mit Bespitzelung darf sicher auch gezweifelt werden, nicht nur seit der neuerlichen Affäre Maaßen, auch wegen der NSU-Akten, der Amri-Affäre etc. Und das muslimische Gemeinden rund um die Uhr bespitzelt werden und das unangenehme Folgen haben kann, dazu eine Geschichte, die wohl kaum jemand noch kennt: 2010 musste der Imam der Frankfurter Hazrat-Fatima Gemeinde, Sabahattin Türkyilmaz, zurücktreten nur weil er in einer Predigt gesagt hatte, er bete für die Befreiung Palästinas aus den Händen der Zionisten und weil er an einer legalen, polizeilich genehmigten friedlichen Demonstration, dem Al-Quds-Tag in Berlin, teilgenommen hatte.

Sabahattin Türkyilmaz, in Qom ausgebildet, ist einer der intelligentesten und integersten Imane, die es in Deutschland gibt. Seine Predigten waren es wert, dass ich sie auf der Internetseite der Moschee regelmäßig gelesen habe (https://freitagskanzel.wordpress.com). Er hat viel für die Integration von Muslimen geleistet, und sich z.B. energisch dafür eingesetzt, Muslimen unmissverständlich klarzumachen, dass Zwangsehen und Ehrenmorde Ausdruck einer primitiven Mentalität und mit dem Islam unvereinbar sind. Aber Meinungsfreiheit für Muslime, die gibt es eben in Deutschland – oder besser Europa – nicht. Und dann beschwert man sich über Erdogan.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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Prof. Dr. Hans-Christian Günther

Lebenslauf

Geb. am 28.4.1957 in Müllheim / Baden

Professor für klassische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität. Zahlreiche Publikationen und Gastprofessoren. Lange Aufenthalte in der VR China. Im Bereich der Altertumswissenschaft besonderer Schwerpunkt auf der politischen Dichtung der Augusteer und allgemein der Reflexion antiker Autoren auf ihre gesellschaftliche Stellung und Verantwortung

Seit 2004 Tätigkeit im Bereich des Dialogs der Religionen und Kulturen mit zahlreichen Veröffentlichungen.