Von Arn StrohmeyerWenn es einen Satz gibt, der das Leben und Wirken von Felicia Langer in wenigen Worten zusammenfasst, dann ist es der Titel eines ihrer Bücher: „Lasst uns wie Menschen leben!“ Das war der kategorische Imperativ ihrer Arbeit als Rechtsanwältin in Israel und später als Publizistin in Deutschland: sich unermüdlich und mit aller Kraft für die Rechte der unterdrückten Palästinenser einzusetzen. Solidarität mit und Kampf für die Entrechteten, Geschundenen und Vertriebenen – das war ihr ganzer Lebensinhalt. „Sich fügen heißt Lügen!“ hat sie in diesem Zusammenhang oft gesagt. Auch dieser Maxime ist diese außergewöhnliche Frau kompromisslos gefolgt, was in Konsequenz zum völligen Bruch mit dem zionistischen Israel führen musste, das für sie – je mehr sie dessen Realität verstand – zur Inkarnation eines Unrechtsstaates wurde.Eine wunderbare, sehr mutige Frau und große HumanistinDie Legitimation für ihr Handeln und Denken hat sie aus dem Holocaust gezogen, indem sie die einzig mögliche Schlussfolgerung aus diesem Mega-Verbrechen ableitete: „Meine Lehre aus dem Holocaust war und ist, angesichts jeglichen Unrechts und Verbrechens nicht zu schweigen, sondern alle Formen von Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und die Würde und Rechte der Menschen zu verteidigen.“ Damit wollte sie sich von all jenen absetzen, „für die die Lehre des Holocaust Hass, Grausamkeit und Gefühllosigkeit gegenüber dem Nachbarvolk (den Palästinensern) bedeutet.“Sie wusste, wovon sie sprach, und schrieb, wenn sie auf den Holocaust einging, denn sie selbst musste als Jüdin vor dem Nazi-Vernichtungs-Terror in die Sowjetunion fliehen. Ihr Mann Mieciu hat fünf NS-Todeslager überlebt. Und so wurde sie mit ihrer Lehre aus dem Holocaust und ihrer Kritik an Israels verbrecherischer Besatzungs- und Okkupationspolitik eine wichtige Repräsentantin des „anderen“ Israel, das sich einem humanistischen Universalismus verpflichtet wusste und nicht der partikularistisch-chauvinistischen Ideologie eines Unrechtsstaates, der Millionen Menschen hinter Mauern und Zäunen in Geiselhaft hält und ihnen jedes Menschenrecht verweigert.Und sie verfügte nicht nur über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, sondern auch über eine Eigenschaft, die den meisten Israelis heute gegenüber ihren palästinensischen Nachbarn völlig abgeht: Empathie – also mitleiden können mit den Unterdrückten und Entrechteten. (Wenn die Israelis nur eine Spur von Empathie hätten, gäbe es den Konflikt mit den Palästinensern gar nicht.) Dieses Mitfühlen-Können war neben ihrem Gerechtigkeitssinn die Quelle für ihr ganzes Schaffen, ihren Einsatz für eine bessere Welt – vor allem in Palästina!Nach ihrem Bruch mit Israel ist sie ins Land der Täter gezogen. Womit sie kein Problem hatte. Sie hat das so begründet: „Wir haben kein Recht, als Opfer von gestern Täter von heute zu sein und die Schuldgefühle der anderen, insbesondere der Deutschen, zu instrumentalisieren, um sie, was unsere Taten angeht, zum Schweigen zu bringen. Man muss klar sagen, dass die Instrumentalisierung des Holocaust zur Rechtfertigung unserer Taten gegen die Palästinenser unzulässig ist.“Dass ihr politisches Wirken mit dem Alternativen Nobelpreis belohnt wurde, belegt, dass ihre Arbeit weit über Deutschlands Grenzen hinaus anerkannt und gewürdigt wurde. Ihre Zivilcourage, ihr Mut und ihre kompromisslose Aufrichtigkeit sollten für uns alle, die wir uns für einen wirklich gerechten Frieden in Palästina einsetzen, stets ein großes Vorbild sein. Aber Felicia hatte auch erbitterte Feinde – etwa den Schriftsteller Ralph Giordano (der das ihm verliehene Bundesverdienstkreuz zurückgab, als Felicia Langer es auch bekam): Anfang der 90er Jahre veröffentlichte dieser einen bösen Aufsatz über sie: „Ihr Feind heißt – Israel. Gedanken zur Nahost-Pathologie der Felicia Langer“. Der Titel dieses Textes sagt schon aus, dass Giordano in einer Hass-Pathologie gegen diese Frau befangen war. In diesem Aufsatz warf der Schriftsteller Felicia Langer vor, nicht nach den Gründen zu fragen, warum Israel im Krieg von 1967 das Westjordanland und den Gazastreifen besetzt haben. Und diese“ Gründe hielt er für durchaus stichhaltig sowie moralisch und politisch für in Ordnung. Erschreibt: „Nach Felicia Langer sind die Gebiete offenbar besetzt, weil es einer israelischen Mehrheit Spaß macht (oder weil die Moralistin sie für so ‚schlecht‘ hält), über rund zwei Millionen Menschen regieren zu wollen, die ganz offensichtlich nicht israelisch regiert werden möchten. Indes die einzig plausible historische Erklärung dafür, bestärkt durch den Golfkrieg [1991], doch nur sein kann, dass sich diese [israelische] Mehrheit ohne die Besetzung noch bedrohter fühlte als mit ihr. Und das natürlich nicht durch die Palästinenser, sondern durch die arabischen Militärmächte!“Felicia Langer kannte im Gegensatz zu Giordano die „einzig plausible Erklärung“ sehr gut, warum Israel die „Gebiete“ besetzt hat und auch nicht bereit ist, sie für einen Frieden mit den Palästinensern wieder herzugeben. Es ist das unumstößliche zionistische Dogma: möglichst viel Land zu erobern mit möglichst wenig Arabern bzw. Palästinensern darauf. Wenn Giordano Felicia Langer in seinem Aufsatz zudem „notorische Täuschung des Publikums über Totalität und Kausalität des Nahostkonflikts und ideologisch bedingte Einseitigkeit und Teilung der Humanitas“ vorgeworfen hat, dann fällt dieses vernichtende Urteil auf ihn selbst zurück. Die Behauptung von der Bedrohung Israels durch die arabischen Militärmächte war immer ein Scheinargument, um die aggressive Politik dieses Staates zu verschleiern und zu rechtfertigen. Von der arabischen Bedrohung redet heute niemand mehr und ob der Iran wirklich eine Bedrohung für Israel ist, sei dahingestellt. Und die Besatzung im größten „Gebiet“ – dem Westjordanland – ist inzwischen für Israel zu einem solchen Problem geworden, dass die Zukunft und Existenz des Staates gefährdet sind. Der Gang der Geschichte hat Felicia Langer und nicht Ralph Giordano Recht gegeben.
Auch interessant
– Buchrezension –
Klaus J. Bade – vom armen Jungen zum Pionier der Historischen Migrationsforschung
Prof. Klaus J. Bade hat die Migrationsforschung und den Migrationsdiskurs in Deutschland bestimmt wie kein anderer – pointiert, kritisch und mit Weitblick. In seinem neuen Buch nimmt er den Leser mit auf eine autobiografische Zeitreise.
Klaus J. Bade – vom armen Jungen zum Pionier der Historischen Migrationsforschung