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Buchrezension
Klaus J. Bade – vom armen Jungen zum Pionier der Historischen Migrationsforschung

Prof. Klaus J. Bade hat die Migrationsforschung und den Migrationsdiskurs in Deutschland bestimmt wie kein anderer – pointiert, kritisch und mit Weitblick. In seinem neuen Buch nimmt er den Leser mit auf eine autobiografische Zeitreise.

(Foto: „Klaus-J-Bade 2013“ von Salut! C'est moi - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons)
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Von Yasin Baş

Migration macht vielen Menschen Angst, sagt Klaus J. Bade in der autobiographischen Einführung seines neuen Buches. Für den Historiker und Migrationsforscher aber ist der Menschen ein ‚Homo migrans‘, ohne den die Welt nicht so wäre wie sie heute ist.

Massenwanderungen gehören zu den Grunderfahrungen der Menschheitsgeschichte. Dennoch ist die Sorge vor ihnen immer noch groß. „Trotz wachsender Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt neigten Ende 2017 rund 39 Prozent der im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung befragten Deutschen zu antipluralistischen Aussagen“, so Bade, der entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Forschung zu Migration und Integration, zu Minderheiten, Flucht und Asyl in Deutschland verspätet, aber stark voranschreiten konnte.

Bades Erinnerungen im neuen HSR-Band

Mitte Mai 2018 erscheint ein neues Buch des berühmten, dann 74jährigen Forschers, Publizisten und Beraters. Er lehrte bis 2007 als Neuzeithistoriker an der Universität Osnabrück, wo er  auch das Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) aufbaute und lebt heute in Berlin.

Bade hatte auswärtige Gastprofessuren und Fellowships an den Universitäten Oxford, Harvard, an der Niederländischen Akademie der Wissenschaften, aber auch am Wissenschaftskolleg zu Berlin und wurde für seine Lebensleistung in Migrationsforschung und Kritischer Politikbegleitung unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.

‘KJB’, wie er in der Regel unterschrieb, hat sich mit seinem im April 2017 vorgestellten Werk ‘Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der ‘Gastarbeiterfage’ bis zur ‘Flüchtlingskrise’ mit dem Untertitel ‘Erinnerungen und Beiträge’ aus der politikkritischen öffentlichen Diskussion verabschiedet. Er wurde dann vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim (GESIS) gebeten, als Wissenschaftler seinen ganz persönlichen Weg zum ‘Pionier der Historischen Migrationsforschung’ in Deutschland nachzuzeichnen.

Sein etwa 370 Druckseiten starkes neues Buch erscheint nun als Sonderband der Mannheimer Zeitschriftenreihe ‘Historical Social-Research’ (HSR).
Im wissenschaftlich-autobiographischen ersten Teil des Buches skizziert Bade seinen Weg zur Historischen Migrationsforschung. Der zweite Teil bietet eine Auswahl seiner wissenschaftlichen Beiträge dazu. Sie erörtern Konzept- und Methodenfragen, bieten epochenübergreifende Perspektiven und diskutieren zeithistorische sowie aktuelle Fragen von Migration, Flucht und Integration.

„Familiengeschichte als Migrationsgeschichte“

Der autobiographische Teil des Buches gliedert sich in zehn Abschnitte. Im ersten Abschnitt überblickt Bade seine „Familiengeschichte als Migrationsgeschichte“, die sein Gespür für Migrationsfragen weckte und intensivierte. Er beschreibt, wie einige seiner Vorfahren aus Hessen teils nach Frankreich, teils in die USA, nach Australien, ins Ruhrgebiet sowie ins Elsass aus-, weiter- oder auch zurückwanderten.

Kindheit auf dem Lande

Migration war in Bades Jugend oft auch eine Verlusterfahrung. Tragisch erscheint dem Leser beispielsweise im zweiten Abschnitt des autobiographischen Teils die erste Begegnung von KJB nach seiner Promotion mit dem aus einer preußisch-polnischen Migrantenfamilie stammenden, ihm bis dahin nicht persönlich bekannten Vater. (Vater: „Sie sind also mein Sohn, dann könnten wir uns eigentlich duzen!“ – Sohn: „Einverstanden!“.)

Ergreifend ist auch die Erinnerung, dass er sich in seiner Kindheit nach Familienbezügen sehnte, selbst nach „väterlichen Ohrfeigen“, die er bei seinen Spielkameraden manchmal beobachtete. Denn er wurde von den Großeltern in einem winzigen Dorf im hessischen Burgwald aufgezogen, ohne leiblichen Vater und später auch ohne die Mutter, die mit dem Stiefvater nach Nürnberg gezogen war, weshalb er in seinem Dorf, mit dem ihn eine „Hassliebe“ verband, als der „oohme Jonge“ („arme Junge“) galt.

Der emeritierte Professor beschreibt seine Kindheit im Dorf als Wechselwirkung zwischen Isolation, Rückzug und Selbstisolation. Identitätssuche, Migrationsprobleme und Integrationsfragen führen wie ein roter Faden durch das Buch.

Vom hessischen Walddorf in die fränkische Trümmermetropole

Bade beherrscht die Kunst, den Leser mit einer Mischung aus Selbstironie und Humor zu fesseln. Humorvoll zu lesen sind zum Beispiel die Schilderung des ersten Schultags in der noch immer von Ruinen übersähten Großstadt Nürnberg, wohin er im zehnten Lebensjahr geholt wurde, oder die Erinnerung an ein interkulturelles Missverständnis, das ihm in der neuen Heimat zuerst einmal eine Tracht Prügel von Gleichaltrigen eintrug.

Eine typische Erfahrung für Neuankömmlinge bzw. Migranten ist – auch heute – oft das Problem, Beziehungen zu Einheimischen aufzubauen. Diese Erfahrung machte auch Klaus J. Bade in seiner Kindheit. Auch Bildung bzw. Schule können zu den schwierigen Herausforderungen für Menschen mit Migrationserfahrung gehören. Vor allem Startschwierigkeiten und verspätete Bildungserfolge gehören dabei nicht selten zum Alltag von jungen Migranten.

Bades Erinnerungen bestätigen dies, auch wenn es in seinem Falle nicht um transnationale, sondern um interne Migration ging – vielleicht ein Grund, weshalb er Jahrzehnte später seine Konzepte zur ‚Nachholenden Integrationsförderung‘ entwarf?

Vom Schüler zum Akademiker

Nach einigen Startschwierigkeiten findet der umständehalber zunächst schüchterne Junge in der Großstadt bald zunehmend Halt an sich, Selbstvertrauen und Erfolgserlebnisse wachsen. Dazu trägt in den Jahren vor dem Abitur in Nürnberg auch eine Nebenbeschäftigung in der Frankfurter PR-Agentur seines Onkels bei.

Als Autor, Redakteur und Lektor finanziert er damit auch die ersten Jahre seines Studiums, in dem es einen eher „zufälligen Weg“ zum Historiker gibt. Er führt von der Kolonialgeschichte über die Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu den Kernfragen von Migration und Integration in Geschichte und Gegenwart, für die der Migrationshistoriker durch frühe Jugenderfahrungen besonders sensibilisiert worden ist.

Die Zeit als Pionier

In den 1970er/80er Jahren erhitzt der Streit um die ‚Zeitbombe Gastarbeiterfrage‘ die Gemüter. Bade gehört zu den ersten, die hinter diesen Problemen eine echte ‚Einwandererfrage‘ erkennen. Diese Skalierung der laufenden Integrationsprozesse in Deutschland schöpft er aus der wissenschaftlichen Beschäftigung von abgeschlossenen, also historischen Migrations- und Integrationsprozessen.

In von ihm begründeten interdisziplinären Zusammenschlüssen und Forschungseinrichtungen entwickelt der zunächst in Erlangen und Augsburg, seit 1983 in Osnabrück lehrende Professor für Neueste Geschichte Konzepte und Lösungsvorschläge für brennende Fragen der Gegenwart im Feld von Migration, Integration, Minderheiten, Flucht und Asyl. Stationen sind dabei unter anderem das schon erwähnte Forschungszentrum IMIS in Osnabrück, der bundesweite Rat für Migration (RfM) und schließlich der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

Die Politik überhört die Vorschläge der anfangs kleinen, aber engagierten Gruppe von Migrationsforschern lange und entdeckt sie oft erst Jahrzehnte später wieder (Bade: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen!“). Bade eilt in seinen Arbeitsgebieten auch hier seiner Zeit voraus.

Es folgen Standardwerke, epochenübergreifende Bücher, Taschenbücher und Broschüren. Seine Ideen und Ratschläge werden zwar zunehmend von der wissenschaftlichen und weiteren Öffentlichkeit, weniger jedoch von den politischen Handlungs- und Entscheidungsträgern aufgenommen. Aber es gibt auch Minister, Staatssekretäre, Verbands-, Behördenleiter und kommunale Repräsentanten, die sich beraten lassen.

Der Migrationshistoriker, der von der ‚Angewandten Migrationsforschung‘ (Applied Migration Research) aus seit längerem auch den Weg in die praktische Flüchtlingsarbeit und die Seenotrettung im Mittelmeer gefunden hat, stellt leider zurecht fest, dass sich in Fragen von Flucht, Asyl, Zuwanderung und Integration, trotz vieler Fortschritte, vieles seit langem   im Kreise dreht.

Die Diskussionen, Debatten und Vorurteile wiederholen sich in bestimmten Abständen. Das führt manche wissenschaftliche und publizistische Akteure in die Resignation. Es frustriert auch den Migrationsforscher, Politikberater und kritischen Politikbegleiter Bade. Dass die Bekämpfung von Fluchtursachen, die eine zentrale Stellung einnehmen müsste, nach wie vor vernachlässigt wird, enttäuscht nicht nur ihn. Umgekehrt Bade bezeichnet Deutschland aber auch als den demographisch „kranken Mann Europas“. Denn nach Schätzungen verlassen Deutschland jährlich 140.000 oft gut qualifizierte Abwanderer, von denen ca. 80.000 dem Land dauerhaft den Rücken kehren.

Den Staffelstab weiterreichen

Bades Buch nimmt den Leser mit auf eine autobiographische Zeitreise durch seine Lebensstationen vom ‚armen Jungen‘ zum Forschungspionier, Publizisten, Politikbater und Politikritiker. Er bleibt dabei ein konzeptorientierter und konstruktiv denkender Wissenschaftler, der nicht Probleme beklagen, sondern im Rahmen des Möglichen durch deren kritische Analyse und durch wissenschaftlich fundierte Vorschläge zu ihrer Lösung beitragen möchte.

Bleibt zu hoffen, dass die Nachfolger/innen von Bade, an die er den „Staffelstab“ weitergereicht hat, seine Pionierarbeit engagiert fortführen werden.

Klaus J. Bade, Historische Migrationsforschung. Eine autobiografische Perspektive.  Historical Social Research  (HSR),  Supplement 30,  GESIS: Köln, Mai 2018, ISSN 0963-6784, 366 S., € 15.- (inkl. MwSt. u. Versand).


Yasin Baş

Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.