Kabul (dts) – Der afghanische Präsident Aschraf Ghani will sich an Erfolgen im Kampf gegen die Korruption messen lassen: „Wir haben eine räuberische Elite“, sagte Ghani im Interview der „Süddeutschen Zeitung“.
„Um das zu ändern, bin ich gewählt worden.“ Tatsächlich sind seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 und dem darauffolgenden Einsatz der westlichen Staaten in Afghanistan etliche Milliarden Dollar an Hilfsgeldern versickert. Während nach Angaben Ghanis 41 Prozent seiner Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze lebt und mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen muss, haben sich korrupte Amtsträger in den vergangenen Jahren massiv bereichert.
Es sei eine „menschliche Tragödie“, dass so viel Geld nach Afghanistan geflossen sei, die wirklich Bedürftigen davon aber nicht profitiert hätten, betonte Ghani, der seit September 2014 als Nachfolger von Hamid Karsai im Kabuler Präsidentenpalast regiert. Auf die Frage, wie es sich für ihn anfühle, dass zahlreiche Afghanen ihre Heimat verlassen wollen, erwiderte Ghani: „Fürchterlich.“ Aber angesichts der Flüchtlingskrise dürfe auch nicht vergessen werden, dass es „für jeden Afghanen, der geht, Hunderte gibt, die bleiben wollen“. Es sei Aufgabe seiner Regierung, Perspektiven und Hoffnung zu erzeugen, damit die Menschen in Afghanistan blieben.
Die Bundesregierung möchte angesichts der hohen Zahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, auch einige Afghanen wieder in die Heimat zurückschicken. Ghani betonte, es gebe in Deutschland und Europa eine fest etablierte rechtliche Tradition, Asylverfahren gewissenhaft durchzuführen. Ob es sicher oder unsicher sei, einen Menschen nach Afghanistan abzuschieben, sei somit Aufgabe der Justiz. „Die Gerichte in Deutschland müssen diese Entscheidung treffen, die Gerichte in Schweden müssen diese Entscheidung treffen.
Diese Entscheidungen werden wir anerkennen“, betonte Ghani. Zur Sicherheitslage in seinem Land sagte der Präsident, dass die Definition von Sicherheit „nicht absolut, sondern relativ“ sei. Menschen hätten unterschiedliche Auffassungen, was sie als sicher oder unsicher empfänden. Es gebe sichere Gebiete in Afghanistan und die Taliban hätten auch keines ihrer strategischen Ziele erreicht. Dass Beobachter die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes als prekär einstufen, wollte Ghani nicht akzeptieren: „Analysten sehen Finsternis, meine Aufgabe ist es, Hoffnung zu schaffen.“ Allerdings hat die Zahl der toten und verletzten Zivilisten einen neuen Höchststand erreicht.
11.002 Fälle hätten die Vereinten Nationen im Jahr 2015 verzeichnet, sagte die Chefin der Menschenrechtsabteilung der UN-Mission Unama, Danielle Bell, bei der Vorstellung des Zivilopferberichts in Kabul am Sonntag. Darunter seien 3.545 Tote und 7.457 Verletzte – ein Anstieg um vier Prozent im Vergleich zu 2014. „Die Taliban haben unseren Menschen einen verheerenden Krieg aufgezwungen, und sie verlieren die Menschen. Sie werden für diesen Krieg verantwortlich gemacht“, sagte Ghani. Die afghanische Regierung hat sich in den vergangenen Monaten verstärkt darum bemüht, zusammen mit der pakistanischen, chinesischen und der US-Regierung einen Fahrplan für Friedensgespräche mit den Taliban zu entwickeln, um den Krieg am Verhandlungstisch zu beenden.
Ghani sagte, beim nächsten Treffen dieser Vierergruppe am 23. Februar in Kabul solle möglichst ein konkreter Termin für Gespräche mit den Aufständischen genannt werden. Tatsächlich ist die Einigkeit neu, mit der die internationalen Akteure in dieser Angelegenheit auftreten. In der Vergangenheit waren Gespräche mit den Taliban immer wieder torpediert worden, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatten. Es ist jedoch nach wie vor nicht geklärt, ob und unter welchen Bedingungen sich die Taliban für Verhandlungen mit der afghanischen Regierung an einen Tisch setzen.
Dass aber zumindest Teile der inzwischen überaus fragmentierten Taliban-Gruppierungen für Kontakte offen sind, zeigt sich daran, dass sie ihr politisches Büro in Doha wiederbeleben möchten. Ghani sprach sich im SZ-Interview dafür aus, dass die Taliban in Afghanistan in den politischen Prozess integriert werden müssten. Sie sollten als Partei bei Wahlen antreten, forderte der Präsident. Dass ein Talib dann bei den nächsten Wahlen sein Nachfolger werden könnte, sei zwar möglich, er halte dieses Szenario aber für wenig wahrscheinlich: „Daher bin ich auch so zuversichtlich, dies von Menschen entscheiden zu lassen“, betonte Ghani.