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Le Monde-Artikel
Professor Jean Filiu: „Die PKK hat die Kurden verraten“

Die renommierte französische Tageszeitung Le Monde, die als linksliberal gilt, veröffentlichte am einen Blogbeitrag von Professor Jean Filiu, der für große Überraschung gesorgt hat.

(Symbolfoto: nex24)
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Dortmund (nex) – Eine Kritik der immerhin auch in der EU flächendeckend verbotenen Terrororganisation PKK ist im Vergleich zu den 1990er Jahren in westlichen Medien kaum noch zu finden. Obwohl es vor allem Kurden selbst sind, die unter dem Dominanzstreben der linksextrem ausgerichteten PKK und ihres syrischen Ablegers PYD leiden – und für viele Kurden, die der PKK/PYD-Doktrin nicht folgen, die Kritik an ihnen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist – stellen westliche Medien die beiden Organisationen fast ausschließlich als legitimes Sprachrohr der Kurden dar.

Umso überraschender, dass nun die als linksliberal geltende, angesehene Tageszeitung Le Monde am vergangenen Sonntag einen Blogbeitrag von Professor Jean Filiu veröffentlicht hat, der in seinem Text die Terrororganisationen beschuldigt, den Kurden, in deren Namen sie sprechen, einen Bärendienst erwiesen zu haben.

Filiu lehrt Geschichte an der internationalen Eliteuniversität Sciences Po Paris und ist Gastprofessor an der Columbia University in New York sowie der Georgetown University in Washington. Seine Werke über die arabisch-islamische Welt wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Der ausgewiesene Experte für den arabischen Raum war unter anderem Berater des ehemaligen Premierministers Lionel Jospin.

NEX24 veröffentlicht übersetzte Auszüge aus der Analyse mit dem Titel:

Wie Cemil Bayiks PKK die Kurden in Syrien verraten hat

Die syrischen Kurden zahlen gerade einen hohen Preis für einen neuerlichen Verrat. Die separatistische Guerilla PKK und ihr Chef Cemil Bayik haben sie ihren eigenen wahnsinnigen Zielen in der Region geopfert. Die PKK hat ihre Präsenz in Syrien auf einer Partnerschaft mit dem Assad-Regime aufgebaut, dessen panarabische Ideologie die kurdische Realität leugnet.

Die 1978 gegründete marxistisch-leninistische PKK schickt im Jahr 1984 ihre separatistischen Guerillas in die Türkei. Ihr Gründer Abdullah Öcalan lässt sich in Damaskus nieder. Die Partnerschaft zwischen Syrien und der PKK dauert 14 Jahre, bis ein Ultimatum Ankaras an Damaskus über Umwege zur Ausweisung Öcalans an die Türkei führt.

Die PKK wendet sich infolgedessen gegen Hafez al-Assad, dem im Jahr 2000 sein Sohn Baschar folgt. Als der „Arabische Frühling“ ausbricht, beschließt Baschar al-Assad, die Opposition zu spalten. Er spielt die Kurden gegen die Araber aus. Den syrischen Ableger der PKK, die PYD, legalisiert er, ihr Anführer Salih Muslim kann aus dem Exil zurückkehren. 3000 PKK-Kämpfer kommen über die nordwestirakische Grenze nach Nordostsyrien.

Im Jahr 2012 versucht die Regierung der autonomen kurdischen Gebiete (KRG), eine Einigung zwischen der PKK/PYD und dem kurdischen Nationalrat zu erreichen. Doch der von Bayik vom Kandilgebirge im Nordirak aus angeführte militärische Flügel der PKK beschließt, statt dieser Einigung sein Bündnis mit Assad zu stärken. Während im Herbst 2012 die Öcalan-loyalen PKK-Mitglieder die Friedensgespräche mit der Türkei aufnehmen, sind die „Falken“ um Bayik von einer unvermeidlichen Wiederkehr der Feindseligkeiten in der Türkei überzeugt.

In einem Gespräch mit Le Monde im August 2013 spricht sich der zum politischen Führer der PKK gewählte Bayik für einen „autonomen kurdisch-syrischen Staat“ als Auftakt zu einem unabhängigen Kurdistan aus, dessen späteres Zentrum sich in der Türkei befinden soll. Im November 2013 dringen Bayiks Anhänger auf die Ausrufung eines Rojava oder „Westkurdistan“ innerhalb syrischer Zonen und unter der geteilten Kontrolle durch die PKK und Assad.

Die PKK im Irak führt im Sommer 2014 einen kühnen Kampf gegen den IS im Sindschargebirge, dem letzten Zufluchtsort der Jesiden vor dem IS, der das Pentagon und die CIA schwer beeindruckt. Letztere sind sehr enttäuscht von der mangelnden Entschlossenheit der Peschmerga in den autonomen kurdischen Gebieten, sich an der Zurückdrängung der Dschihadisten zu beteiligen. So entsteht ein sich immer mehr ausweitendes neues Bündnis zwischen den US-Spezialkräften und der PKK – trotz der lautstarken Proteste aus Ankara. Diese Kollaboration erinnert an die massive Unterstützung der kosovarischen UCK im Jahr 1999 vonseiten der Amerikaner, die ebenfalls eine marxistisch-leninistische Ideologie vertritt, gegenüber der gemäßigten kosovarischen Opposition, die als zu wenig „effizient“ erachtet wird.

Während der Schlacht um Kobane von September 2014 bis Januar 2015 wird klar, wie sehr die USA im Kampf gegen den IS (Daesh) bei der Rückeroberung der Stadt an der Grenze zur Türkei auf die PKK setzen. Sie stellen den Öcalan-Anhängern eine beispiellose Unterstützung aus der Luft zur Verfügung. Die PKK-Führung im Irak spielt mit der emotionalen Komponente der Schlacht, um die Kurden in der Türkei gegen die Regierung in Ankara zu mobilisieren. Bayik versteckt seine Absicht, den bewaffneten Kampf in der Türkei wiederaufzunehmen, gar nicht mehr. Das Schicksal von Kobane wird auf zynische Weise instrumentalisiert. Die PKK-Anhänger sind zu allem bereit, um der Bevölkerung ihre Vision eines „Wiederaufbaus von Kobane“ aufzuzwingen, die zu den Ruinenfeldern der „befreiten“ Stadt zurückgekehrt ist.

Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes gegen den türkischen Staat im Sommer 2015 geht mit der Ausdehnung von Rojava entlang der türkisch-syrischen Grenze einher – und zwar auf Kosten des IS, mit vielseitiger Unterstützung durch die USA sowie einer „ethnischen Säuberung“ des Gebietes von Nichtkurden. Im Dezember 2015 erklärt Bayik in einem weiteren Gespräch mit Le Monde, dass der Bürgerkrieg in der Türkei sich noch verschlimmern würde. Bayiks bewaffneter Arm in Syrien besteht aus den Demokratischen Kräften Syriens (FDS) – der Name ist ein Euphemismus für eine von „militärischen syrisch-kurdischen Strukturen“ dominierten Miliz.

Bayiks Ziel ist die Gründung eines geschlossenen Gebietes an der Grenze zur Südtürkei, um den Guerillakrieg in der Türkei selbst zu intensivieren – das wiederum ist sein strategisches Ziel.

Die Entwicklungen der letzten Monate müssen in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Die FDS, der PKK untertan und weit davon entfernt, einen Angriff auf Rakka, die IS-Hauptstadt in Syrien, zu starten, ist in die im August 2016 „befreite“ Stadt Manbidsch zurückgekehrt. Im Westen haben die Bayik-Anhänger ihren Beitrag zur Besetzung der revolutionären Viertel in Aleppo durch das Assad-Regime geleistet, die die Rebellen jedoch, ebenfalls im August, wieder beendeten.

Ich hatte bereits im Mai darauf hingewiesen, dass die PKK ihre Kapazitäten im Kampf gegen den IS erschöpft hat. Ihre expansionistischen Bestrebungen haben dazu geführt, dass sowohl ihr ehemaliger Partner Moskau als auch ihr neuer Verbündeter Washington der türkischen Offensive mit ihren syrischen Verbündeten zur Vertreibung der PKK-Anhänger vom Ostufer des Euphrat ihre Zustimmung gegeben haben.

Zum Abschluss lässt sich sagen, dass es ebenso vereinfachend wie falsch wäre, die Kurden ausschließlich als PKK-Anhänger zu betrachten. Es ist unbestreitbar, dass die Kurden in Syrien von Bayik und der militärischen Führung der PKK verraten wurden, die die syrische Front dem Befehl aus dem Hauptquartier im Irak entsprechend dem Krieg gegen den türkischen Staat untergeordnet haben, der für sie absolute Priorität hat.


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